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Katalanische Hirngespinste

 

Mit dem Regierungswechsel in Madrid bestünde die Chance auf konstruktive Entspannung im spanisch-katalanischen Konflikt. Aber leider drehen wesentliche Teile der Unabhängigkeitsbewegung jetzt durch.

© TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

 

Oft habe ich in den letzten Jahren über die politische Lage in Katalonien und immer wieder auch über das geschrieben, was ich den katalanischen Masochismus nenne. Nun scheint es mir, und das macht mich traurig, an der Zeit, über einen neuen wahnhaften Zug in der katalanischen Politik zu schreiben.

Carles Puigdemont, der Ex-President, in dessen Amtszeit sowohl der internationale PR-Coup des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober 2017 als auch die gründlich missglückte Ausrufung der „katalanischen Republik“ fielen, schlug in seinem belgischen und deutschen Exil anfangs eher versöhnliche Töne an. In letzter Zeit aber gebärdet er sich als machthungriger Fanatiker, der versucht, Katalonien aus der Ferne zu beherrschen.

Der jüngste Streich: Er gründet wieder einmal seine Partei neu. Ging in den vergangen drei Jahren die einst bürgerlich-gemäßigte und heikel korrupte CDC erst im Wahlbündnis Junts pel Sí auf und formte sich dann zur PDECat um, so soll sie nun als „Plattform“ namens Crida Nacional per la República – „Nationaler Aufruf zur Republik“, in deutschsprachigen Medien gelegentlich falsch, aber irgendwie doch treffend übersetzt mit „Schrei nach der Republik“ – Puigdemonts Agenda durchsetzen.

Es ist eine, gelinde gesagt, unpragmatische Agenda. Seit sich Puigdemont Anfang 2016 die Federführung im sogenannten katalanischen procés aufdrängen ließ und damit einen Krawallkurs gegen die erzreaktionäre Regierung in Madrid verantwortete (der auf wundersame Weise die Unabhängigkeit Kataloniens herbeiführen sollte und stattdessen zur Zwangsverwaltung Kataloniens nach Artikel 155 der spanischen Verfassung führte), hat sich ausgerechnet die traditionell moderate Fraktion des Independentisme hoffnungslos radikalisiert. Standen die Vorgängerparteien von Puigdemonts Crida Nacional im Ringen um den Status Kataloniens jahrzehntelang für ein konservatives Ethos der Machbarkeit, während die „Republikanische Linke“ (ERC) die reine Lehre vom eigenen katalanischen Staat verfocht, so verhält es sich heute umgekehrt: Nun ist die ERC für die konstruktive Variante des politischen Katalanismus zuständig. Und die Bürgerlichen drehen durch.

In den letzten Wochen sah ja alles nach Entspannung im spanisch-katalanischen Konflikt aus. Die Regierung von Mariano Rajoy in Madrid stürzte endlich über ihre endlosen Finanzskandale, und als neuer spanischer Ministerpräsident nahm der Sozialdemokrat Pedro Sánchez die Aggressivität aus der Debatte und zeigte sich gegenüber Puigdemonts Nachfolger (und Marionette) Quim Torra konziliant. Hinzu kam der jüngste Rückschlag für die spanische Justiz: Der übereifrige Ermittlungsrichter Pablo Llarena sah sich gezwungen, die internationalen Haftbefehle gegen Puigdemont und die anderen ins Ausland entwichenen katalanischen Politiker/innen zurückzuziehen.

Wie ein Besessener

Das heißt für Puigdemont zwar nach wie vor, dass ihm, sobald er wieder spanischen Boden beträte, Festnahme und Gerichtsverfahren wegen „Rebellion“ drohen würden. Außerhalb Spaniens aber kann er sich frei bewegen. Er könnte nun in aller Ruhe, von den katalanischen Independentistes zum politischen Märtyrer stilisiert, in Waterloo Hof halten, wo er sich nach eigenen Angaben pudelwohl fühlt. Und seine Parteifreunde und Bündnispartnerinnen in der Heimat könnten in Madrid verhandeln.

Doch wie ein Besessener hält Puigdemont am Fetisch der katalanischen Republik und an seiner eigenen Rolle als großer Strippenzieher fest. Der Sturz seines Gegenspielers Rajoy und der Regierungs- und Stimmungswechsel in Madrid passen ihm nicht in den Kram. Er will keine Signale der Gesprächsbereitschaft, sondern die Fortdauer der kompromisslosen Konfrontation mit dem spanischen Staat. Denn sie ist die Grundlage für „die Kampagne des Independentisme, die Spanien als faschistisches Land ohne jede Aussicht auf Reformen darstellt“, wie es der Journalist Enric Juliana formuliert.

Das Kalkül hinter dieser Kampagne ist haarsträubend. So gerne die Independentistes den Eindruck erwecken, ihnen sei es um den lang gehegten Herzenswunsch der katalanischen Bevölkerung zu tun, so genau wissen sie selbst: Die Unabhängigkeitsbewegung in ihrer heutigen Gestalt und Größe existiert nur, weil die Regierung Rajoy jahrelang auf jedes Anliegen Kataloniens nur mit Unverständnis und Ressentiment reagiert hat. Nicht glühender Eifer für einen katalanischen Staat, sondern Empörung über die harte Linie in Madrid ließ den Independentisme so erstarken. Werden in Madrid nun glaubhaft versöhnliche Töne angeschlagen, ist es mit diesem Höhenflug schnell wieder vorbei.

Puigdemont hat deshalb unlängst Rache genommen an der Generalsekretärin seiner Noch-Partei PDECat, Marta Pascal. Denn sie war es, die sicherstellte, dass die PDECat Anfang Juni das Misstrauensvotum im spanischen Parlament mittrug, und gilt als „die Frau, die Rajoy zu Fall gebracht hat“. Zur Strafe ist Marta Pascal bei der neu formierten Crida Nacional in keinem Führungsgremium mehr vertreten. Parteivorsitzender der Crida soll wiederum Puigdemont selbst werden. Und vom Ausland aus amtieren. Um eines Tages als Präsident der katalanischen Republik triumphal in die Heimat zurückzukehren.

Ungeahnte Irrlichtqualitäten

Wie gesagt, die Bürgerlichen drehen durch. Anstatt jetzt die Chance auf vorteilhafte Kompromisse mit Madrid zu nutzen, tun sie so, als würde dort immer noch Rajoy regieren. Sie pochen weiter auf die Erzählung vom reformunfähigen faschistischen Spanien. Und wie gehabt verwechseln sie die hauchdünne Mehrheit der Independentistes im katalanischen Parlament mit einem schicksalhaften Auftrag zur Staatsgründung.

Über diese Attitüde haben sich die beiden großen Prounabhängigkeitsparteien – die radikalisierte Noch-PDECat und die ERC – mittlerweile so zerstritten, dass das Parlament bis auf weiteres gar nicht mehr zusammentritt. Erst für Oktober, lange nach der regulären Sommerpause, sind wieder Plenarsitzungen anberaumt. Es ist allerdings nichts Neues, dass die Politiker/innen des katalanischen Independentisme kaum wirklich Politik machen, sondern lieber Hirngespinste und koalitionäre Rivalitäten päppeln.

Und Carles Puigdemonts Karriere hat, knapp drei Jahre, nachdem er sich an die Spitze seiner händeringend nach „sauberen“ neuen Gesichtern suchenden Partei drängen ließ, ungeahnte Irrlichtqualitäten angenommen. Nicht genug damit, dass er der President war, der Katalonien im Namen einer Republik, die niemand ernst nahm, politisch lahmlegte. Nun gibt er auch noch den exilierten Heilsbringer, der die Zukunft seines Landes untrennbar mit seiner eigenen verknüpfen will.

Zu befürchten ist – und da fällt der neue Wahn in den alten Masochismus zurück –, dass die katalanische Politik somit nach allem, was schon schief gelaufen ist in den Jahren des procés, auch noch die Chance vertändeln wird, mit der Regierung Sánchez in Madrid Grundlagen eines verbesserten Modells für die Eigenständigkeit Kataloniens innerhalb Spaniens zu schaffen.


Anmerkung der Redaktion: Lesen Sie hier einen Kommentareintrag von Michael Ebmeyer, in dem er darlegt, aus welcher Motivation er über Katalonien schreibt und wie er zu dieser Position gelangt ist.