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„Taxi“

Taxifahrerin Alex hat Krach mit dem Freund, eine Affäre und einen Affen als Fahrgast. Karen Duves „Taxi“ wurde verfilmt und feiert im Abaton Premiere.

Die ganze Stadt ist ihr Revier: Alex (Rosalie Thomass) ist dem Taxifahren verfallen. Trotz blöder Sprüche ihrer Taxifahrerkollegen und Anmachen durch nervige Fahrgäste kommt sie vom Bock einfach nicht runter. Die Beziehung mit dem verkrachten Maler Dietrich (Stipe Erceg) ist eine einzige Katastrophe, auch weil Alex ein intensives Sex-Leben mit dem kleinwüchsigen Marc (Peter Dinklage) teilt. Doch Konsequenzen zieht Alex erst, als ein echter Affe auf dem Beifahrersitz Platz nimmt … Taxi, der Roman von Karen Duve, in der die Autorin eigene Erlebnisse aus den Achtzigern verarbeitet hat, erzählt von rauen Begegnungen im Hamburger Großstadtdschungel. Die Verfilmung durch die Regisseurin Kerstin Ahlrichs gibt den Spirit von damals adäquat wieder und überzeugt durch ihr stimmiges Lokalkolorit. Zur Premiere im Abaton am Dienstag fahren Autorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin übrigens mit der Luxusversion des Taxis, einer Limousine, vor.

Text: Peter Patek

 

„Everywhere and Nowhere“

Wer, wenn nicht die Vorreiter-Elektro-Musikerin Holly Herndon, kann eine Ausstellung aus Klängen komponieren – zu hören im Kunstverein.

Holly Herndon ist sicher eine der richtungsweisendsten Elektronika-Künstlerinnen derzeit, und über ihren eigenen künstlerischen Output hinaus ist die Komponistin zudem Doktorandin am Stanforder Center for Computer Research in Music and Acoustics. Zusammen mit dem Kunstverein in Hamburg und dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe stellt Herndon nun mit Mathew Dryhurst eine ganz neue Arbeit, Everywhere and Nowhere, vor. Im Kunstverein macht sie im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel Musik zu einer Ausstellung. Im Klangdom hat sie 24 Lautsprecher verteilt, die mit einer Steuerungssoftware so bespielt werden, dass der Klang zu einer plastischen Raumerfahrung wird. Bis zum 13. September wird sie den Kunstverein beschallen. Wer außerdem an der Musik von Holly Herndon interessiert ist, dem sei ihr Konzert auf Kampnagel am 20. August ans Herz gelegt.

Text: Andra Wöllert

 

Break Even + Landscapes + Endless Heights

Bierdusche, Pogo und massenhaft Kurze: Im Hafenklang liefern vier Bands die volle Packung Punk, Rock und Hardcore ab.

Es kreischt und kracht mal wieder ordentlich rund um das Hafenklang. Am Mittwochabend kann sich hier jeder die volle Packung abholen, diesmal in zwei getrennten Konzerten mit verschiedenen australischen Akzenten. Auf dem Programm steht alles von Fun Punk bis Hardcore mit Botschaft. Im Hafenklang selbst drehen Break Even, Landscapes und Endless Heights die Verstärker auf. Besonders Break Even musste für die Europatour erst mal neue Energie tanken, nachdem sie in den vergangenen Jahren einiges an Höhen und Tiefen durchgemacht haben: ausgedehnte Tourneen, Kritiken als angesagte Hardcore-Band, dann der Selbstmord von Gitarrist Rowan Willoughby. Das Album, das die verbliebenen Bandmitglieder danach produzierten, nannten sie The Bright Side. Klingt zwar nicht so, ist aber – so posteten sie auf Facebook – als Ermutigung für alle gedacht, „die schönen Seiten in allem zu sehen, im Leben, in Träumen oder im Verlust“.

Die Botschaften, die The Rumjacks unters Volk bringen, sind etwas leichter verdaulich. Sie fackeln nicht lange und hauen im Goldenen Salon ehrlichen, rohen und brettlauten Celtic Folk Punk raus. Was das ist? Eigentlich genauso etwas wie die Dubliners, nur mit E-Gitarren, Bierdusche, Pogo und massenhaft Kurzen.

Text: Nik Antoniadis

 

Enno Bunger

Traurig-funkelnder Indie-Pop: Der friesische Barde spielt sich vor dem Knust schon mal warm, bevor im September sein neues Album herauskommt.

Der Ursprung von Enno Bungers berühmter Melancholie: Flachsmeer, Ostfriesland. Hier ist der Sänger und Songschreiber aufgewachsen, hat die ganze Schlicht- und Schönheit der Landschaft erlebt. Beides ist deutlich hörbar in Bungers Liedern, diesen traurig-funkelnden Indie-Pop-Stücken mit Fokus auf das Klavierspiel und den tiefgehenden Gesang des 28-Jährigen. Vielleicht der Höhepunkt seiner bisherigen Arbeit: Die Ballade Regen und der Auftritt damit in der Schwarz-Weiß-Musikshow TV Noir. Bungers neues Album Flüssiges Glück, das zudem eine feine elektronische Note enthält, erscheint am 18. September.

Bei der Knust Acoustics Sommersession folgen ihm Bender & Schillinger und das deutsch-amerikanische Singer-Songwriter-Duo Sarah & Julian auf die Bühne auf dem Lattenplatz.

Text: Erik Brandt-Höge

 

The Typhoons

Bequeme Nische zwischen Garage Punk, Retro-Nerds und Schlagerparade: „Schulaus Finest Surf Band“ geht an Bord der Hedi.

Ohne Quentin Tarantino wäre Surf wahrscheinlich auf einem Regal ganz hinten im Museum der Musikgeschichte verstaubt. Aber seit Pumpkin und Honey Bunny die grandiose Idee hatten, zu Dave Dales Version von Miserlou einen Diner zu überfallen (und so Pulp Fiction zu eröffnen), gibt es nur sehr wenig, das cooler ist als Surfmusik. Früher war sie natürlich auch schon cool. Link Wrays Rumble 69 kam – als Instrumental! – auf den US-Index und wurde im Radio nicht mehr gespielt: zu sexy! Aber das war 1958, sogar unsere Eltern haben das vergessen. Seitdem hat es sich Surf in einer Nische zwischen Garage Punk, Retro-Nerds und Schlagerparade bequem gemacht. Aus dieser Nische haben es sich die Typhoons ausgeliehen. „Schulaus Finest Surf Band“ holt die Klassiker genauso raus wie Surfversionen von Slayer bis Blondie, von Schulau bis Waikiki. Wo könnte das besser passen als auf der MS Hedi?

Text: Nik Antoniadis

 

„Berlin Calling“

Zwischen Party-Euphorie und Drogenapathie: Im Schanzenpark läuft der Techno-Kultfilm open air. Zur Einstimmung lädt vorher CnL zur Kopfhörer-Party.

„Vielleicht der beste Film, der je über Techno gedreht wurde“, urteilte der Spiegel einmal. Hannes Stöhrs Film ist längst Kult, der Soundtrack von Hauptdarsteller Paul Kalkbrenner ebenfalls. Kalkbrenner, selbst angesagter DJ und Produzent, ist in Stöhrs Techno-Drama DJ Ickarus, ein Plattendreher der Berliner Premier League, der den Underground und die internationale Clubszene aufmischt. Eingelullt von Party-Euphorie und Drogenapathie geht er schließlich vor die Hunde, als sein Erfolg am größten ist. Wer Techno bisher todlangweilig fand, wird beim Schanzenkino Open Air nicht bekehrt. Wer aber immer schon irgendwie drauf stand, wird sich hier an viele, lange und verschwitzte Nächte zurückerinnern. Zur richtigen Einstimmung beginnt ab 14 Uhr die sonntägliche LAUTlos-Kopfhörer-Party im Schanzenpark, diesmal mit CnL am Pult.

Text: Nik Antoniadis

 

Ceremony

Psychedelik, gesampelte Selbstgespräche, Robert-Frost-Zitate: Die Kalifornier um Ross Farrar kommen mit neuem Album und neuem Sound ins Hafenklang.

„I nearly choked on the u-cord till my dad came and cut me lose. He said, The pain you feel today, it will never go away, the best way out is always through.“ In dieser einen Textzeile aus Back in 84 scheint sich das ganze wütende Pathos von Ceremony zu verdichten – dessen Sänger Ross Farrar tatsächlich beinahe durch die Nabelschnur (auf Englisch umbilical cord) erdrosselt wurde, hätte sein Vater ihn nicht freigeschnitten. Dabei ist Ceremony im Verlauf von inzwischen fünf Studioalben musikalisch nicht stehengeblieben, sondern hat im Gegenteil große Schritte gemacht. Seit ihren Anfängen als rohe Hardcore-Punk- und Powerviolence-Band haben sich psychedelische Elemente eingeschlichen, gesampelte Selbstgespräche, Robert-Frost-Zitate, ein Mix aus New-Wave-Avantgarde und eruptiver Punk-Attitüde. Zeugnis von dieser Entwicklung legt das aktuelle Album The L-Shaped Man ab, das im vergangenen Mai releast wurde und das die Jungs aus Kalifornien auf ihre Europatour mitgenommen haben. Im Hafenklang erhalten sie Support von der jungen Hamburger Formation Monographic.

Text: Nik Antoniadis

 

Snntgs-Kaffeetänzchen

Kaffee und Kuchen für Nachtschwärmer mit Primärenergieüberschuss: Im Molotow kann man das Wochenende ganz entspannt ausklingen lassen.

Mit dem neuen Zuhause für das Molotow am Nobistor wuchs die Veranstaltungsfläche um einen (inzwischen fast schon als Garten zu bezeichnenden) Hinterhof. Und mit dem Hinterhof überwuchern die sonntäglichen Möglichkeiten nun im Zweiwochenrhythmus die Wahl zwischen Sofa und Afterhour um eine luftig-fluffige Alternative mehr: Denn seit Anfang Juni lädt die Veranstaltungsreihe snntgs regelmäßig ins oder besser hinters Molotow, um all das zu vereinen, wozwischen man sich am Wochenende noch nie entscheiden konnte. Hier gibt es neben dem klassischen Barsortiment Kaffee und selbst gebackenen Kuchen, neben der im elektronischen 4/4-Takt beschallten Tanzfläche gemütliche Sofas und somit Fläche sowohl für all jene, die Kopf und Körper noch von Freitag und Samstag entlüften müssen, wie auch für jene, die noch einen Energieüberschuss vor der neuen Woche tänzerisch oder plaudernd in die Welt zu entlassen haben. Das Line-up wechselt dabei zwischen den verschiedenen Spielarten der elektronischen Sommerklänge und zeigt vor allem, dass die drei Köpfe hinter snntgs schon in so einigen Club- und Open-Air-Projekten ihre Spürnasen geübt haben. An diesem Sonntag gibt es Kaffee und Kuchen mit Cranque, Doc Strange, Monodosis und Bauch.

Text: Miriam Mentz

 

„Am grünen Rand der Welt“

In üppigen Bildern erzählte Kostümschmonzette: Das Magazin zeigt am Sonntagmorgen die historische Love Story des Ex-Dogmatikers Thomas Vinterberg.

Es liegt ein bisschen unter dem Radar: Egal, wo man wohnt, das Magazin scheint immer irgendwie am Ende der Welt zu liegen. Dabei ist dieses älteste Hamburger Traditionskino, dieser wunderbare Backsteinbau in einer Seitenstraße von Winterhude, immer eine Reise wert. Da passt es gut, einen Film mit dem Titel Am grünen Rand der Welt zum Anlass zu nehmen. Wer fürchtet, ein Werk des Ex-Dogmatikers Thomas Vinterberg könnte ein bisschen schwere Kost sein für einen Sonntagmorgen, kann sich getrost beruhigen lassen: Es ist ein wahrer Sonntagsfilm, eine in üppigen Bildern erzählte Kostümschmonzette um eine junge Gutsherrin, die sich im prüden viktorianischen England frei von männlicher Dominanz entfalten will, nur um sich dann zwischen, ja, drei Männern entscheiden zu müssen. Es ist alles dabei: große Gefühle, echtes Drama, eine spektakulär in Szene gesetzte Landschaft. In Winterhude. Heimlicher Star bleibt aber das Kino.

Text: Nik Antoniadis

 

Bauchrednertreffen

Dennis Cooper liefert den Stoff, den Gisèle Vienne zusammen mit dem Avantgarde-Puppentheater Halle auf die Kampnagelbühne zaubert.

Weil William Shakespeare Berger seine Frau und seine Kinder überlebte, machte er sich Sorgen um die Zukunft seiner umfangreichen Puppensammlung. Schließlich gründete der Unternehmer und Hobbybauchredner eine Stiftung, aus der ein kleines Museum entstanden ist. Diese winzige, schrullige Attraktion, die in drei garagenartigen Gebäuden in einem Wohngebiet in Kentucky untergebracht ist, erlebt einmal im Jahr einen ganz außergewöhnlichen Besucherandrang, wenn Hunderte von Puppenspielern sich zur Vent Haven Ventriloquists‘ ConVENTion einfinden, eine Art Expo für Bauchredner. Auf der Grundlage von Dokumentaraufnahmen dieser Treffen hat der Autor und Performancekünstler Dennis Cooper ein schrilles und absurdes Bühnenstück geschrieben, das nun von Gisèle Vienne zusammen mit Mitgliedern des Avantgarde-Puppentheaters Halle auf Kampnagel aufgeführt wird. Spieler sprechen mit Puppen, Puppen mit Spielern und schließlich mischen sich auch körperlose Stimmen in die bizarren Dialoge. Vienne ist kein Neuling beim Sommerfestival. Zuletzt war sie 2013 mit ihrer Produktion THE PYRE in Hamburg, gemeinsam mit dem KTL-Trio, dessen Mitglied Stephen O’Malley mit seiner Drone-Band Sunn O))) an diesem Sonntag ab 21 Uhr die Bühne übernimmt.

Text: Nik Antoniadis