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Blümeranter Bekannter

Neulich saß Nagel als Begleitung im Publikum von Wer wird Millionär?, Kandidat war der Schlagzeuger seiner ehemaligen Band Muff Potter. Damit schied er als Telefonjoker schon mal aus, dabei hat Thorsten Nagelschmidt, so der bürgerliche Name, doch zu so vielen Themen etwas beizutragen: Er sang bei der klügsten Punkband Deutschlands, schreibt Bücher (Was kostet die Welt), fertigt schicke Linoldrucke, macht weiterhin Musik und ist außerdem immer gut angezogen. Selbst schuld. Nachdem Nagel erst vor Kurzem mit Bestsellerautor John Niven auf Lesereise war, kommt er jetzt alleine wieder. Bei der Tour Vielen Dank für die Blümeranz werden neue Texte vorgelesen, aus denen demnächst auch wieder ein Buch entstehen soll. Die multimediale Show mit einsichtsreicher Bebilderung verspricht erneut amüsant zu werden, der Mann ist schließlich Unterhaltungsprofi – egal, ob er vom Blatt liest oder sich selbst in die Geschichten quatscht.

TEXT: MICHAEL WEILAND

 

Irre Irin

Asymmetrischer Haarschnitt, eine bunt geschmückte Dreadlock, Piercing, ernster Blick, dann breites Grinsen – die irische Musikerin Wallis Bird wirkt authentisch exzentrisch, eine starke Frau mit starker Stimme, die nach Janis Joplin und Ani DiFranco klingt. Wallis Bird macht irischen Folk-Rock und begleitet sich selbst auf der Akustikgitarre. Energisch schlägt die 32-Jährige die Saiten an. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ihr als Kind von einem Rasenmäher alle Finger der linken Hand – ihrer „Greifhand“ – abgetrennt wurden und nur vier wieder angenäht werden konnten. Sie spielt ihre Rechtshändergitarre mit links, ohne die Saiten umgespannt zu haben und entwickelte eigene Grifftechniken. Nach Zwischenstationen in Dublin und London lebt Wallis Bird mittlerweile in Berlin. Dort entstanden die Songs für ihr neues Album The Architect, auf dem erstmals auch elektronische Klänge stattfinden – eindeutig von Berlin beeinflusst.

TEXT: LENA FROMMEYER

 

Künstliche Stadtaffen

Der Wolf hat ein Fell aus weißen Dreiecken, die wie ein Panzer wirken und hier und da in den Farben Grün, Magenta, Petrol und Ocker koloriert sind. In der grafisch anmutenden Schwarz-Weiß-Kulisse sind die Tierfiguren aus Keramik die einzigen Farbkleckse, die den Besucher regelrecht belauern. Man will sich mit dem Wald verbrüdern und gleichzeitig fühlt man sich als Stadtmensch in ihm fremd. Björn Holzweg installiert seinen Sherwood Forest als abstrakten Wald aus echten Bäumen, Skulpturen und mit viel Farbe ab dem 10. Mai in der Galerie Affenfaust auf St. Pauli. Der Titel der Ausstellung, der die Welt von Robin Hood und seinen Mitstreitern in die urbane Realität transferiert, darf in seiner Symbolik auch auf seine Ausstellung übertragen werden: Sherwood Forest als Sinnbild gegen Unterdrückung und für die Revolution und den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit. Noch bis zum 31. Mai kann man durch diesen in geometrische Formen übersetzten Lebensraum streifen.

TEXT: LENA FROMMEYER

 

Collagen-Buddies

Stichwort Networking: Zwei Frauen im Blaumann-Outfit lernten sich während einer Guerilla-Auktion für junge Kunst im Gängeviertel kennen, begutachteten gegenseitig ihre Kunst und fanden jeweils das, was die andere da macht, richtig gut. So gut, dass sie nun in der Ausstellung Ein Springbrett namens Kosmos gemeinsam ausstellen. Die eine von ihnen heißt Kalyani Hemphill und ist Mitglied der Ateliergemeinschaft in der Speckstraße. Ihre Kunst ist bunt und umfasst interaktive Installationen oder malerisch-collagierte Papierarbeiten, bei denen Farbe und Illustrationen auf Fotos treffen. Sie verpasst beispielsweise einem kleinen Kind, das schüchtern in die Kamera blickt, per Foto-Schnipsel ein stark geschminktes Auge. Die Zweite im Bunde ist die Kunstpädagogin Rike Ernst, die in der Ateliergemeinschaft Salon Valentina am Valentinskamp arbeitet. Auch ihr künstlerischer Schwerpunkt liegt auf Zeichnungen, Collagen und Rauminstallationen. Die Galerie Raum linksrechts, in der die Gemeinschaftsausstellung stattfindet, ist ein prädestinierter Ort für junge Kunst in Hamburg.

TEXT: LENA FROMMEYER

Vernissage: 10.5., Ausstellung: 11.-24.5.
Do-Sa 17–20 Uhr

 

Diskurs mit Athen

Unter dem Motto Face-to-Face mit den Vielen wird am 10. Mai im Internetcafé 3×23 eine Liveschalte nach Athen eingerichtet. Während der kollektiven Vernetzungs- und Kunstaktion im Rahmen der Präsentationswoche des Graduiertenkollegs Versammlung und Teilhabe ist jeder eingeladen, Teil des Diskurses zu sein. Vier Stunden lang steht die virtuelle Verbindung in den Süden Europas. Am anderen Ende der Leitung versammeln sich junge Griechen, die sich austauschen möchten über Themen wie Krise, Demokratie, Neofaschismus in Griechenland, die anstehenden Europa-Wahlen, Selbstorganisation und solidarisches Wirtschaften. Ein Moderator regelt die Abläufe, klassische Referenten gibt es hingegen nicht. Diskutiert wird online, aber auch offline, in Einzelgesprächen als auch in der großen Gruppe. Die Aktion ist sowohl digitale Kunst mit interaktiven Installationen, wie zum Beispiel einer multiperspektivischen Videowall und einer YouTube-Ausstellung, als auch politischer Versammlungsraum für zeitgenössische soziale Bewegungen. An den stündlichen Sessions kann jeweils nur eine begrenzte Anzahl an Menschen teilnehmen – Anmeldung per E-Mail oder unter 0157 / 78 68 52 53.

TEXT: LENA FROMMEYER

Ein Projekt von Margarita Tsomou mit Sotiris Mitsios and Sotiris Bakagiannis.

 

2nd-Hand Klampfe

So viele Musiker trifft man selten an einem Ort: Auf dem Flohmarkt vom No.1 Guitar Center in der Phoenixhalle wird von 10 bis 15 Uhr um gebrauchte Instrumente geschachert. Das lockt sowohl Anfänger als auch erfahrene Instrumentalisten aus ihren Musikzimmern. Und wo sonst kann man besser fachsimpeln als am Stand von anderen Musikern, während man eine 12-saitige Westerngitarre probespielt und erfährt, was der Besitzer schon alles mit dem Schätzchen erlebt hat. Denn das ist das Schöne an diesem Flohmarkt: hier wird ausschließlich von privat an privat verkauft. Und wer geprüfte B-Waren von Fender, Gretsch, Guild, Jackson oder Takamine bevorzugt, schaut sich nebenan beim Outlet-Sonderverkauf von No.1 Guitar um. Insgesamt ist die Atmosphäre toll: Es lohnt sich, hier und da stehenzubleiben und zuzuhören, wenn jemand Banjo, E-Gitarre oder Ukulele testet – da lauscht man erst folkigen Klängen und nickt ein paar Schritte weiter zu Metal-Riffs mit.

TEXT: LENA FROMMEYER

 

Das große Rennen

Flexibles Flimmern ist eine Art Pop-up-Kino, das Ort und Film nach thematischem Zusammenhang wählt. Einen Dokumentarfilm über das Sterben zeigt das mobile Kino im Bestattungsinstitut, einen Streifen über verlorene Orte präsentieren die Veranstalter im ehemaligen Güterbahnhof und die Fatih-Akin-Produktion Müll im Garten Eden lief auf dem Energieberg Georgswerder. Am 7. April zieht Flexibles Flimmern mit dem Zeichentrick-Klassiker Die Dschungel Olympiade (1979) von Steven Lisberger im Haus des Sports ein. Tintenfische im Zweierbob, Alligatoren beim Stabhochsprung und eine abgebrühte Reporterschildkröte sind ziemlich witzig, auch für Erwachsene. Passend zur Location gastiert außerdem die Ausstellung forgotten victories – lost matches von Immo Heske im Haus des Sportes. Der Künstler setzt Fragmente von Sporthallenfußböden zu neuen grafischen Bildern zusammen. Bei den unterschiedlichen Materialien und Linien-Rudimenten kann man dann raten, welche Sportart zu welchem Boden gehört. Es gibt Speisen und Getränke. Reservierungen per E-Mail.

TEXT: LENA FROMMEYER

 

Kokain-Krieger

Die in Hamburg lebende Regisseurin Suzan Sekerci wagte sich an jenen Ort, wo das Geschäft rund um die Herstellung von Kokain blüht und die Drogenmafia mordet: In Kolumbien sprach sie mit ehemaligen Rebellen, Bauern, Paramilitärs, Journalisten sowie Künstlern. Die Filmemacherin seziert in ihrer Dokumentation Mama Coca die komplexen Geschehnisse des Drogenkriegs in den vergangenen Jahrzehnten. Im Interview mit dem Hamburger Ex-Drogenboss Ronald „Blacky“ Miehling erfährt der Zuschauer schließlich, wie die Droge nach Hamburg geschleust wird, wer sie hier konsumierte und wie früher das Geschäft mit den großen Bossen ablief. Abseits des Business konzentriert sich Suzan Sekerci auch auf den tragischen Umstand, dass die verteufelte Cocapflanze für die Naturvölker Kolumbiens eine zentrale kulturelle Bedeutung hat. Die Yanacuna-Indianer in San Agustí etwa wehren sich gegen ein Anbauverbot und kämpfen für die Anerkennung der Pflanze als medizinisches Mittel. „Coca ist genauso wenig Kokain, wie die Traube Wein ist“, sagt der Stammesführer. Die Dokumentation eröffnet im Abaton die bundesweiten Kinowochen des Kinderhilfswerkes Terre des Hommes. Zur Podiumsdiskussion im Rahmen der Vorstellung sind unter anderem die Regisseurin und Ronald Miehling zu Gast.

TEXT: LENA FROMMEYER

 

Tanzschuhe polieren

Ist ja ziemlich praktisch, dass man in unserer digitalen Gesellschaft zu den Tracks von DJs im heimischen Wohnzimmer probetanzen kann, bevor man sich ausgehfein macht. Und auch bevor das Partyfolk am 9. Mai zum Fundbureau tingelt, empfiehlt sich ein Klick auf den Play-Button der neuen Electro Swing Crew Hamburg-Gruppe bei Soundcloud. Die Sets bereiten einen bestens auf die bevorstehende Nacht vor. Diesmal geben Louie Prima aka Johannes Maria Heretsch und Justin Fidèle aka Wolfram von Dobschütz den Ton an. Die Macher der Berliner Electro Swing Revolution – ihre Partys bringen monatlich die Roaring 20’s in die Berliner Clubs Frannz und Astra – haben sich in der europäischen Clublandschaft bereits einen Namen erspielt. Also, liebe Lindy Hopper, E-Swinger und E-Bopper: Schleife ins Haar binden und Tanzschuhe polieren.

TEXT: LENA FROMMEYER

 

Vokuhila im Club

Der Verein Clubkinder e.V. hat ja bei vielen skurrilen Veranstaltungen seine Finger im Spiel, seien es die Tagebuchlesungen oder Klamottentauschbörsen im Elektroclub. Deshalb sollte es nicht verwundern, dass die Truppe mit den Flausen im Kopf nun den Flusen auf dem Kopf einen Abend widmen: Haare ab für Deine Stadt ist das Motto vom zweiten Clubkinder Clubschnitt im Haus 73 am Schulterblatt. Für 10 Euro kann man sich hier von Friseuren von 19 bis 23 Uhr die Spitzen schneiden, den Bart stutzen oder clubfein schminken lassen – ein Getränk der Wahl und Mucke vom DJ inklusive. Nur ein komplett neuer Haarschnitt würde zu lange dauern und ist nicht drin. Wobei: Wer sich zum Horst machen möchte und einen Irokesen, Hulk-Hogan-Bart oder Vokuhila wählt, dem spendieren die Clubkinder sogar das Umstyling. Die Einnahmen und Spenden fließen in eine sommerliche Frisieraktion für Obdachlose und den Wohlfühlmorgen für Wohnungslose und Arme am 8. November, der ein Frühstücksbuffet, eine heiße Dusche, Zeitungen und Zeitschriften zum Schmökern, ein Friseur, Maniküre und Pediküre, (tier)ärztliche Versorgung und viel menschliche Wärme beinhaltet.

TEXT: LENA FROMMEYER