Ich habe heute in der Pressekonferenz der EZB Präsident Trichet gebeten, doch mal zu erklären, warum er Privatunternehmen wie Ratingagenturen Macht und Gütesiegel gibt, über unsere Staatshaushalte urteilen zu dürfen. Nach meinem Demokratieverständnis ist die Verabschiedung des Haushaltes das höchste und zugleich vornehmste Recht eines jeden Parlamentes. Wo, wenn nicht hier, wird Politik gemacht: Panzer oder Ökostrom? Niedrige Steuern für die Reichen oder mehr Geld für Arbeitslose, Rentner oder Kranke?
Solche Fragen müssen im demokratischen Prozess, der nach Mehrheiten sucht, gelöst werden.
Die Entscheidung der EZB vor vier Wochen, nur noch solche Staatsanleihen als Sicherheiten zu akzeptieren, die von mindestens einer der drei großen Ratingagenturen Fitch, Standard&Poor’s oder Moody’s mit der Note „A minus“ oder besser bewertet werden, ist skandalös. Das habe ich ausführlich in der ZEIT dargelegt („Demokratisch ist das nicht“). Mit dieser Entscheidung zieht sich die staatliche EZB aus der Verantwortung der Beurteilung der Staatshaushalte und übergibt die Frage nach der Kreditwürdigkeit an die privaten Ratingagenturen, die niemandem Rechenschaft schuldig sind. Dabei hinken sie mit ihren Urteilen in der Regel sogar deutlich hinter den Preissignalen am Markt hinterher.
Drei Dutzend Volkswirte könnten in Zukunft Dank Monsieur Trichet mehr Einfluss auf das Budget nehmen als die Bürger Europas. Dabei ist es mir ganz egal, ob diesen Ratingvolkswirten ein neoliberales oder linkes Weltbild vorschwebt. Ich finde es einfach unerträglich, dass die Wertvorstellungen dieser Volkswirte ein Gewicht bekommen soll, das unzulässig ist.
Und was hat Trichet auf meine Frage geantwortet?
Er hat abgewiegelt. Seit die Financial Times die Entscheidung exklusiv verbreitet hat, bemüht sich die EZB darum, sie als altbekannt zu verkaufen. Das sei schon immer so gewesen. So auch Trichet heute: „Die Entscheidung ist nicht neu.“ Das stimmt nicht. Erstens kenne ich Journalisten, die dieser Frage nachgehen, ohne bislang auf alte Dokumente gestoßen zu sein, die der EZB Recht geben könnten. Zweitens weiß ich von einigen Hedgefundsmanagern, dass sie die Entscheidung wie ein Blitz getroffen hat. (Was sie für Händler und Papiere bedeutet, hat mein Kollege David Shireff vom Economist gut aufgeschrieben.) Und drittens weiß ich von Mitarbeiter der EZB, dass sie Ende März diesen Jahres den Auftrag bekommen haben, sich mit dem Rating-Thema für Staatsanleihen zu beschäftigen. Die Strategie des Abwiegelns ist natürlich geschickt, weil so niemand das Thema aufgreift.
Darüber hinaus hat Trichet gesagt, dass die EZB Schuldtitel von privaten Schuldnern wie Unternehmen und Banken nicht anders behandeln könne, als öffentliche Papiere. Das Argument leuchtet nur auf den ersten Blick ein. Denn im Gegensatz zur öffentlichen Hand, die dem Parlament alle Informationen zum Haushalt und zur wirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung stellen muss, gelangen Ratingagenturen bei ihren Gesprächen mit Finanzchefs von Banken und Unternehmen durchaus an privilegierte Informationen. Deshalb könnte ich gut damit leben, wenn die EZB bei den privaten Anleihen auf das Urteil der Ratingagenturen hört. Das verstieße auch nicht gegen mein Demokratieverständnis.
Auf die Frage, ob er keine Sorge habe, dass die Ratingagenturen demokratische Entscheidungen aushöhlen könnten, hat er geschwiegen.