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Lektüre für die Sommerferien

 

In ein paar Stunden packe ich meine Sachen und mache für drei Wochen Urlaub. Dem harten Kern von HERDENTRIEB möchte ich noch eine Lektüre ans Herz legen, die wir nach dem Urlaub hier diskutieren werden. „Die Wachstumsspirale“ von Hans Christoph Binswanger (Metropolis, Juni 2006). Binswanger ist ein emeritierter Professor aus St. Gallen, der im Gegensatz zu den meisten Volkswirten sein ganzen Leben versucht hat, den Kapitalismus zu verstehen. Ein Professor, der während seiner Habil die Schwächen der Neoklassik erkannt hat und sich seither auf den Weg gemacht hat, eine alternative Theorie zu entwickeln. Ich werde sie unten in Grundzügen aufschreiben, ein paar Absätze aus einer vorläufigen Buchbesprechung, die noch nicht druckreif ist.

Davor aber noch ein paar Gedanken zur aktuellen Lage in der Weltwirtschaft, Deutschland und an den Kapitalmärkten. Ich habe lange nichts mehr drüber geschrieben, weil sich nichts großartig geändert hat.

1. Die japanische Notenbank hat gestern ihren Leitzins nach sechs Jahren wieder positiv gemacht: Sie hat ihn auf 0,25 Prozent angehoben. Die japanische Wirtschaft läuft rund. Die Normalisierung hat begonnen. Das sind gute Nachrichten für die Weltwirtschaft und schlechte für die Finanzmärkte.

2. Die Europäische Zentralbank wird Anfang August auf 3 Prozent erhöhen, zumindest wenn kein Aktien- oder Dollarcrash dazwischen kommt. Das ist mir etwas zu hektisch, aber in der Tendenz geht es in Ordnung. Die haben ihre unbegründete Angst vor Inflation noch nicht abgelegt und sind beim Erhöhen immer zu schnell, beim Senken immer zu langsam. Aber die Wirtschaft Eurolands ist recht robust, vor allem, weil Deutschland kommt. Die Gefahr liegt eher auf einigen heißgelaufenen Immobilienmärkten, vor allem in Spanien. Hoffentlich piekst die EZB dort die Blase nicht an.

3. Die amerikanischen Daten der nächsten Wochen werden die Finanzmärkte in Atem halten und darüber entscheiden, ob noch ein nächster Zinsschritt nach oben folgen wird. Bernanke bleibt, wie erwartet, im Zweifel zu restriktiv, um sich den Ruf des Inflationsbekämpfers zu verdienen.

4. Deutschland macht mir Freude, weil sich meine große Wette bewahrheiten könnte. Der Anpassungsprozess scheint überwunden, die Binnenachfrage zieht an, die Beschäftigung wird in den nächsten Monaten zunehmen, ja, auch de sozialversicherungspflichtige! Ich kann mir gut vorstellen, dass das zweite Quartal mit einer Rate um die 1,0 Prozent gegenüber Vorquartal herauskommt.

5. Meine Einschätzung zu den Märkten ist unverändert: Bis September sollte man zuschauen. Der Dax wird sein altes Tief bei 5.200 noch mal testen, die Bundesanleihen dürften auch noch neue Renditehochs aufstellen, wenn das Wachstum in Euroland überrascht, wovon ich ausgehe.

Hier ein kleiner Appetithappen auf Binswangers Wachtumsspirale:

Während die herrschende Theorie die Wirtschaft als statisch oder als Kreislauf beschreibt, ist sie für Binswanger eine Spirale. Ein System mit Wachstumsdrang und Wachstumszwang. Stabilisierung auf einem einmal erreichten Niveau, Nullwachstum also, ist im Kapitalismus unmöglich. Wenn die Wirtschaft nicht wächst, gerät sie in die Krise mit all den schlimmen Folgen wie Pleiten, Bankzusammenbrüchen und höherer Arbeitslosigkeit. Dazwischen gibt es nichts. Das heißt natürlich auch, dass der Kapitalismus kein System ist, dessen Hauptaufgabe es ist, knappe Ressourcen zu verteilen. Er ist ein System, das die Armut zu überwinden trachtet und Reichtum schafft, ein System, das auf das Mehr programmiert ist. Sein Versprechen. Das Morgen wird besser als das Heute.

Während die Neoklassik, die von Zeit und Geld abstrahiert, das Wirtschaftswachstum nur exogen erklären kann, etwa durch technologischen Fortschritt, ist das Wachstum in Binswangers Theorie endogen. Es kommt durch die permanente Erhöhung der Geldmenge zu Stande. Der Prozess läuft wie folgt: Die Unternehmen, die mit nichts starten, außer einer guten Idee, benötigen einen Vorschuss an Kapital – Eigen- und Fremdkapital. Nur so können sie Arbeitsleistung, Energie und Maschinen kaufen, Produkte herstellen und diese dann später am Markt verkaufen. Deshalb ist Kapital auch kein Produktionsfaktor, der mit irgendwelchen Grenzprodukten entlohnt wird. Binswanger nennt Kapital Promotionsfaktor, der die Arbeitsteilung und damit die Produktivität in der Wirtschaft vorantreibt.

Der Produktionsprozess ist mit Risiken behaftet, da niemand sicher weiß, ob das Unternehmen seine Produkte später mit Gewinn am Markt verkaufen kann. Oder ob es Verluste macht und im schlimmsten Fall pleite geht. Dann ist der Vorschuss perdu. Deshalb verlangen Kreditgeber und Eigenkapitalgeber einen Ausgleich für dieses Risiko, nämlich Zinsen beziehungsweise Gewinn. Zinsen und Reingewinn sind Teile des Unternehmensgewinns, den die Unternehmung erwirtschaften können muss, um überhaupt Kapital zur Verfügung gestellt zu bekommen. Nur wenn der Unternehmenssektor in seiner Gesamtheit dauerhaft Gewinne macht, werden Banken und Eigenkapitalgeber bereit sein, Kapital vorzuschießen.

Ein positiver Durchschnittsgewinn bedeutet, die Unternehmen müssen zusammen mehr einnehmen als sie ausgeben. Und schon braucht man Wachstum. In einer Kreislaufwirtschaft würden die Unternehmen ja genau das einnehmen, was sie zuvor für Löhne und Vorleistungen ausgegeben haben, sprich die Entlohnung des eingesetzten Kapitals entfiele. Deshalb muss in jeder Periode neues Geld zufließen. Wie fließt Geld zu? Auf Basis der Geldschöpfung. Dank des Papiergeldes können Banken immer neue Kredite gewähren, solange das Risiko dies rechtfertigt. Das Risiko rechtfertigt sich, solange Banken, Eigenkapitalgeber und Unternehmer von einem dauerhaften Wirtschaftswachstum ausgehen können. Dank der Zuversicht in weiteres Wachstum und neuen Kredites können die Unternehmen mehr investieren.

Wenn in jeder Periode mehr investiert wird, ist in jeder Periode die Nachfrage in Geld größer als das Angebot. Denn das aktuelle Angebot an Gütern setzt sich aus Produkten zusammen, die in der Vorperiode angefertigt worden sind. So können die Unternehmen ihre bereits produzierten Produkte mit Gewinn verkaufen. Wenn in jeder Periode mehr investiert wird, heißt das auch, dass das Güterangebot ständig wächst, ein Gleichgewicht nie erreicht werden kann. Der Kapitalismus mit Papiergeld, dessen Produktion nicht begrenzt ist, ist ein Perpetuum mobile. Der Prozess kann unendlich weiter gehen, wenn die Bedingungen, positive Unternehmensgewinne im Mittel und Aussicht auf permanentes Wachstum, erfüllt sind. Denn die Geldschöpfung ist unendlich wie die Imaginationskraft der Menschen und wohl auch die Bedürfnisse.

Na, hört sich das nicht vielversprechend an?