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Ein Sitz und eine Stimme für Euroland

 

Heute mal wieder eine extended version meines aktuellen Artikels in der ZEIT. Ich hatte zu spät ausreichend Platz angemeldet und die Kollegen in Hamburg mussten das Stückchen dann ganz schön eindampfen. Hier ist es in voller Länge.

Auf der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds in Singapur hat ganz leise eine neue Epoche begonnen. Doch die Aufregung um das Reformkonzept und die Neuaufteilung der Quoten und Stimmrechte war zu groß, als dass es die zwei Worte „multilateral surveillance“ zu mehr als einer Randnotiz gebracht hätten. Dabei ist die „multilaterale Überwachung“ das Vorreitergremium, das von den Gewichtsverschiebungen in der globalen Wirtschaft kündet. Sie ist das Vehikel, das die alten europäischen Großmächte der Weltwirtschaft, Deutschland, Frankreich und Italien, in die zweite Reihe schicken wird. Das spüren zwar auch der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück und Bundesbankpräsident Axel Weber. Doch anstatt der Globalisierung Rechnung zu tragen und den Einfluss Eurolands zu bündeln, haben sie in Singapur defensiv den Status quo verteidigt. Und waren sich ausnahmsweise ganz einig.

„Ich bin dagegen, dass die Eurozone auf eine einzelne Stimme reduziert wird“, sagte Steinbrück. Und Weber pochte auf ein angemessenes Gewicht für Deutschland, wenn die Quoten, die über den Einfluss beim IWF entscheiden, neu verteilt würden. Einen Vorab-Verzicht auf eine höhere Quote, wie sie IWF-Chef Rodrigo Rato den Europäern nahe gelegt hat, lehnte er strikt ab. Auch eine mögliche Erweiterung der G7 um China, stieß beim Finanzminister auf wenig Begeisterung. „Ich bin dagegen, dass immer wieder ein neuer Club gegründet wird“, gestand Steinbrück dem Handelsblatt. Die G7 sind ein informelles Gremium, in dem die globalen Themen angefangen bei Wechselkursen bis hin zur Terrorbekämpfung diskutiert werden. Die G7 vereinen die Wirtschaftsmächte Amerika, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, England und Kanada.

Aber schon die Zusammensetzung zeigt, dass die G7 die Welt von gestern widerspiegeln. Die Welt vor dem Fall der Sowjetunion, vor der Einführung des Euro, vor dem Aufstieg Chinas. Heute besitzt China mit knapp einer Billion Dollar die höchsten Devisenreserven der Welt. Und selbst gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist das Reich der Mitte bereits die Nummer vier hinter Deutschland. In zwei Jahren dürfte es auch Deutschland überrundet haben. Was bringe es heute noch, mit Deutschland die Probleme der Welt zu verhandeln?, lautete eine oft gehörte Frage auf den Fluren der IWF-Tagung. Deutschland könne weder in der Währungspolitik noch etwa in der Handelspolitik eigenständige Positionen beziehen. In der Währungspolitik ist die Europäische Zentralbank und der Chef der Eurogruppe, der Luxemburger Jean-Claude Juncker, erster Ansprechpartner, in der Handelpolitik ist es die Europäische Union. Die selben Vorbehalte gelten natürlich auch für die Euroländer Frankreich und Italien.

BRICS Beitrag zum Wachstum der Weltwirtschaft

Mit der „multilateralen Überwachung“ versucht der IWF nun die nicht mehr zeitgemäße globale Architektur zu umgehen, quasi eine neue G7 zu schaffen. Während die G7 am IWF vorbei 1975 auf Initiative des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt entstanden sind, um die Probleme nach dem Zusammenbruch des Festwechselkurssystems Bretton Woods sowie des Ölpreisschocks in den Griff zu bekommen, hält dieses Mal der IWF das Heft in der Hand. Er möchte die relevanten Staaten informell an einem Tisch bringen und vertraulich über die Lösung der globalen Themen diskutieren. Das erste Thema für das neue Gremium lautet „globale Ungleichgewichte“, handelt also vom hohen Leistungsbilanzdefizit Amerikas, das sein Spiegelbild in den Überschüssen Chinas und der ölexportierenden Länder hat. Fünf Länder hat der IWF in das Gremium eingeladen: Amerika, Japan, China, Saudi-Arabien und Euroland – das Land mit einer Währung aber ohne Regierung. Mit dem Gremium versucht der IWF seiner Aufgabe gerecht zu werden, die Weltwirtschaft in Hinblick auf Krisengefahren zu überwachen. Dabei ist noch nicht geklärt, wie weit der Fonds dabei gehen dürfe, sagt Steinbrück. Von der Analyse über die Koordinierung bis hin zu verpflichtenden Vorgaben, sei alles in der Diskussion. In IWF-Kreisen heißt es, im Idealfall werde es eine Mischung aus Koordinierung und Selbstverpflichtung der Länder, die potenziellen Krisen einzudämmen. So wie es bislang auch die G7 halten. Mit der multilateralen Überwachung betritt der IWF Neuland. In den vergangenen 60 Jahren gab es nur bilaterale Konsultationen zwischen dem Fonds und den einzelnen Ländern.

Gordon Brown, der britische Schatzkanzler und Chairman des IMFC, des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses des IWF, hat am Wochenende schon mal die weiteren Themen für die multilaterale Überwachung abgesteckt: Finanzstabilität, Öl und Energie sowie Handel und Protektionismus. Die Aufzählung macht klar, dass die Zusammensetzung des Gremiums variieren wird. Denn bei Finanzmarktstabilität dürfte England mit seinem globalen Finanzplatz London ein wichtigerer Gesprächspartner sein als Saudi-Arabien oder China. Doch an den Ländern mit den drei größten internationalen Währungen, an Amerika, Euroland und Japan, komme niemand vorbei, hieß es. Sie dürften gesetzt sein.

Das Prozedere der multilateralen Überwachung sieht nach Aussagen von Mitgliedern wie folgt aus: In der ersten Runde gibt es bilaterale Gespräche zwischen dem IWF und den fünf Staaten. Darin wird ausgelotet, was das jeweilige Land zum Abbau der Ungleichgewichte tun kann und welchen Beitrag es von den jeweils anderen Ländern erwartet. Darüber hinaus wird eruiert, welche Szenarien die Verantwortlichen für den Abbau der Ungleichgewichte für wahrscheinlich halten. Diese Informationen werden den anderen vier Ländern vor den gemeinsamen Treffen zur Verfügung gestellt.

Die Vertreter Eurolands sind auf Ministerebene der Luxemburger Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der Eurogruppe, dem Gremium der Finanzminister Eurolands, der Franzose Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der Spanier Joaquín Almunia, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Währungsfragen. Die Sherpas stellen der Franzose Xavier Muscat, Staatssekretär im französischen Finanzministerium und Chairman des Finanz- und Währungsausschusses, der Italiener Lorenzo Bini-Smaghi, EZB-Direktor, sowie der Deutsche Klaus Regling, Generaldirektor Wirtschaft- und Währung in der EU-Kommission. Die Vertreter Eurolands halten engen Kontakt zu den Nationalstaaten und stimmen mit diesen die Positionen ab.

Das passt natürlich weder den Deutschen, noch den Franzosen. Plötzlich gibt es einen Tisch, an dem für sie keine Stühle mehr stehen. Deshalb begeleiten sie das neue Gremium mit Skepsis, unken, dass sich die Idee der multilateralen Überwachung rasch als Flopp herausstellen dürfte und stempeln das Gremium als bürokratisch ab. Vor allem die deutsche Seite fordert, dass die Gespräche nicht exklusiv bleiben dürften, sondern im 24 Staaten umfassenden IMFC, dem Internationalen Währungs- und Finanzausschusses des IWF, behandelt werden sollte. Doch diese Forderung ist illusorisch. Der Charme des neuen Gremiums liegt ja gerade in der Exklusivität, in dem Versuch sich gegenseitig Versprechen zu geben, etwa im Gegenzug für mehr chinesische Wechselkursflexibilität die Handelsbarrieren für chinesische Güter auf den westlichen Märkten zu senken. So etwas kann nur informell gelingen.

Ein Treffen auf Ministerebene gab es noch nicht. Und die Hoffnungen der Amerikaner, mittels des neuen Gremiums könne der Druck auf China erhöht werden, seinen Wechselkurs rasch aufzuwerten, haben sich zumindest in Singapur nicht erfüllt. Aber allein deshalb die multilaterale Überwachung schon abzuschreiben, wie es deutsche und französische Delegationsmitglieder gerne tun, dürfte sich als Irrtum herausstellen. Alles beim Alten zu lassen, ist keine Lösung.

Denn das Grundproblem der Vertretung Eurolands auf globaler Ebene verschwindet nicht. In Singapur wurde unterschwellig massiver Druck auf Deutschland, Italien und Frankreich ausgeübt – und zwar von allen Seiten. Weder Amerika und Japan, noch die aufstrebenden Länder China, Brasilien und Indien akzeptieren das sture Festhalten der Europäer an ihren Privilegien. Der nächste Streit dreht sich um die Formel, nach der sich die neuen Quoten bestimmen. Bereits 2008 sollen sie beschlossen werden. Der Rest der Welt hält Euroland im IWF für deutlich überrepräsentiert. Die Länder der Währungsunion bringen es rechnerisch auf kapp 28 Prozent der Quoten, Amerika nur auf knapp 17. Und das kleine Belgien ist mit rechnerischen zwei Prozent theoretisch fast doppelt so einflussreich wie Indien (1,2 Prozent). Die hohe Quote für Euroland kommt auch daher, dass der internationale Handel in die Berechnung mit einfließt. Und natürlich zählt jedes Währungsunionsmitglied den Handel untereinander als internationalen Handel. Das erregt im Rest der Welt Widerstand.

Deshalb werden die neuen Quoten stärker auf die Wirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt, zielen. Beim Kriterium Bruttoinlandsprodukt käme Amerika auf 28 Prozent, Euroland auf 23 Prozent. Die geschickte Taktik der Amerikaner: Sie wollen ihre aktuelle Quote von 17 Prozent behalten, damit sie nach wie vor gegen alle Beschlüsse ihr Veto einlegen können. Denn der IWF entscheidet mit einer Mehrheit von 85 Prozent. Den Rest ihrer neuen Quote wollen sie an die Schwellenländer abgeben. IWF und Amerika fordern Europa auf, es ihnen gleich zu tun – und haben die Unterstützung aller anderen Länder. Doch die alten Großmächte Deutschland, Frankreich und Italien, genauso wie die kleineren Mitglieder der Währungsunion, wollen davon nichts wissen. Sie bestehen auf Prestige, verlieren darüber aber Einfluss und Gestaltungsmacht.

Wie politisch unklug ihr Verhalten ist, macht EZB-Direktor Bini-Smaghi in einer noch unveröffentlichten Arbeit für die Zeitschrift „International Finance“ deutlich: „Obwohl Euroland fünf Exekutivdirektoren des IWF stellt und es auf über 24 Prozent der Stimmrechte bringt, ist es weniger einflussreich als Amerika mit nur einem Exekutivdirektor und etwas über 17 Prozent der Stimmen.“ Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der Welthandelsorganisation WTO. Dort hat Europa in Form der EU-Kommission einen gemeinsamen Sitz und 8 Prozent der Stimmen, gilt aber als ebenso mächtig wie Amerika.

Die europäischen Staaten können im IWF mit ihrer Haltung vieles blockieren. Aufhalten können sie ihren Bedeutungsverlust nicht. Das neue Gremium für die multilaterale Überwachung sollte sie wachrütteln. An einem gemeinsamen IWF-Sitz für Euroland führt kein Weg vorbei.