Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. In diesem Fall war ich das blinde Huhn, als ich vor genau einem Jahr das Weblog HERDENTRIEB samt meiner Wachstumswette der Online-Öffentlichkeit vorgestellt habe.
„Zwei Prozent plus“ orakelte ich damals. Und ich schimpfte auf die tonangebenden deutschen Ökonomen, die anscheinend alle beim Pauken des Faches ‚Verkrustungstheorie und Globalisierungsuntauglichkeit‘ ihre eigentliche Aufgabe vernachlässigten, nämlich den Kapitalismus und seine Dynamik zu analysieren. Der Sachverständigenrat hatte ein paar Tage zuvor für 2006 ein Wachstum von 1,0 vorhergesagt und die Forschungsinstitute eines von 1,2 Prozent. Jetzt dürften es sogar fast drei Prozent werden, nach den Zahlen fürs dritte Quartal samt den Aufwärtsrevisionen der Vorquartale. Sensationell.
Aber Deutschland hatte auch Glück. Die neue Regierung hat zum ersten Mal seit Jahren weder gespart noch die Menschen mit neuen Abgaben malträtiert. Der Dollar ist nicht kollabiert, und die Weltwirtschaft war und ist unheimlich dynamisch. Auch deshalb konnte sich meine Kreditgeschichte voll entfalten.
Ja, ich habe den richtigen Riecher gehabt und noch mehr Glück. Ich habe den Wendepunkt richtig vorrausgesagt. Prognosen sind immer vertrackt, weil das Wirtschaftssystem einfach zu komplex ist. Aber mit dem richtigen Verständnis für das System kann auch ein blindes Huhn einmal ein Korn finden.
Ich habe jahrelang gelitten unter dem Schlechtreden und Schlechtschreiben des Standorts Deutschland. Das hat mich angespornt, die wahren Gründe für die deutsche Malaise zu suchen. Gründe, die ich vor allem in der Makro fand: Wiedervereinigung und Bausektor, Euro-Einführung und der zu hohe Wechselkurs der D-Mark beim Eintritt in den Euro, der Stabilitätspakt und das Herbeisparen der Krise, und last but not least die Bankenkrise samt Kreditverknappung. All diese Belastungsfaktoren, die Deutschland lange Zeit zum Schlusslicht verdammt hatten, gehörten Ende 2005 der Vergangenheit an, oder waren gerade dabei sich aufzulösen. Deshalb war ich so optimistisch.
Und nun meine Prognose für 2007 – zum ersten Geburtstag von HERDENTRIEB. Ohne Mehrwertsteuererhöhung würde ich locker 2,5 Prozent plus wetten. Doch der Entzug von 20 Milliarden Euro aus der Wirtschaft wird nicht ohne Konsequenzen bleiben. Deshalb zwei Prozent plus/minus 0,5 Prozentpunkte. Feige? Von exakten Prognosen halte ich nichts, sie sind Scharlatanerie. Diesmal sagt der Sachverständigenrat fürs kommende Jahr 1,8 Prozent voraus und zählt damit zu den Optimisten. Das Gros der Prognosen liegt noch immer unter 1,5 Prozent.
Warum bin ich trotz Mehrwertsteuererhöhung optimistisch? Weil sich die deutsche Wirtschaft mitten im Aufschwung befindet. Und die Mär, dass dieses Land nur um 1,5 Prozent wachsen könne, wenn es gut läuft, glaube ich immer noch nicht. Die Auftragseingänge der Industrie sind beeindruckend. Die Investitionen im Inland legen deutlich zu. Neue Arbeitsplätze entstehen und der Bau hat die Schrumpfung hinter sich. Die jüngsten Ergebnisse des Bank Lending Survey für Deutschland zeigen, dass die Kreditklemme überwunden ist. Ich habe die Grafiken, mit denen ich im vergangenen Jahr den Aufschwung beschwor, mit den neusten Daten ergänzt. Alles deutet auf ein weiteres kräftiges Wachstum hin. Die Finanzierungsbedingungen sind fabelhaft.
Meine einzige große Sorge gilt der Lohnentwicklung in Deutschland. Sie ist das größte Risiko für meine Prognose. Die Löhne entwickeln sich noch immer viel zu schwach! Nicht nur die Unternehmen, auch die Menschen in diesem Land müssen den Aufschwung spüren. Eine durchschnittliche Lohnerhöhung um vier Prozent im nächsten Jahr sollte drin sein. Warum vier Prozent? Weil der Zuwachs der Arbeitsproduktivität im laufenden Jahr bei rund zwei Prozent gelegen hat, die von der Europäischen Zentralbank angestrebte Inflation bei 1,9 Prozent liegt. Zwei plus 1,9 macht 3,9. Eine solche Lohnerhöhung wäre verteilungsneutral, würde also an den Rekordgewinnen der Firmen nichts ändern.
Erst mit einer solchen angemessenen Lohnerhöhung gewinnt der Aufschwung an Breite, erst dann wird er tatsächlich selbsttragend. Nur mit dem Anziehen des privaten Verbrauchs, der den Investitionen der Unternehmen die Rendite bringt, die sie sich erhoffen, kann Deutschland seinen Beitrag zum Abbau der globalen Ungleichgewichte leisten. Nebenbei: Nur so kann sich Deutschland gegen eine globale Konjunkturabschwächung wappnen. Und mein cetrum censeo: Nur mit höheren Löhnen kann Deutschland den Abwertungswettlauf über die Lohnstückkosten in Euroland verhindern.
Die Wette gilt: Zwei Prozent Wachstum für 2007 (plus/minus 0,5 Prozentpunkte).