Am Freitag und Samstag treffen sich in Essen die Finanzminister der G7-Staaten. Ganz oben auf der Agenda werden wie so oft in der Vergangenheit die Wechselkurse stehen. Neben der chinesischen Währung, dem Renminbi, könnte diesmal auch der japanische Yen ins Zentrum der Kritik geraten. Das beabsichtigen zumindest einige europäische Finanzminister und Jean-Claude Juncker, der Chef der Euro-Group. Denn sie halten den Yen für total unterbewertet. Länder wie Italien und Frankreich sehen dadurch ihre Chancen im internationalen Wettbewerb beeinträchtigt, was ihr Wachstum hemmt und den Abbau der Arbeitslosigkeit behindert. Ein stärkerer Yen könnte auch dazu beitragen, das Loch in der amerikanischen Leistungsbilanz zu schließen. Die Regierung in Washington zeigt sich, was den schwachen Yen angeht, aber wesentlich gelassener als die Europäer. Finanzminister Paulson hat in den letzten Tagen mehrfach signalisiert, dass man hier kaum Handlungsbedarf sehe. Das politische Gerangel um die japanische Währung zeigt auf den Devisenmärkten Wirkung. In den letzten Tagen hatte der Yen etwa 1,3 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar gewonnen. Heute ist er wieder gefallen, nachdem von offizieller japanischer Seite kein Interesse an einer Diskussion über eine Yen Aufwertung bekundet wurde. So verständlich und berechtigt die Klagen der Europäer sein mögen, unproblematisch ist ein aktive Politik in Richtung Yen Aufwertung nicht. Im Gegenteil.
Zunächst einmal zur Klarstellung: Wie schwach ist die japanische Währung nun wirklich? Seit Mitte 2005, dem Beginn ihrer jüngsten Schwächephase, hat sie gegenüber Euro und Renminbi rund 15 Prozent verloren, gegenüber dem Dollar 10 Prozent. Wenn durch diese Abwertungen nur eine höhere Inflation in Japan ausgeglichen worden wäre, könnte man von einer ’normalen‘ Wechselkursanpassung sprechen und zur Tagesordnung übergehen. Davon kann aber überhaupt nicht die Rede sein. Denn nach wie vor herrscht in Japan Deflation. Dass die Verbraucherpreise ihren Vorjahresstand um 0,3 Prozent übertreffen, kann man noch nicht als Inflation bezeichnen – die Inflationsrate ohne Nahrungsmittel und Energie, die Kerninflationsrate, liegt bei -0,3 Prozent und ist damit seit Herbst 1998 nicht mehr aus dem negativen Bereich herausgekommen. Der Deflator des Sozialprodukts ist um 0,7 Prozent niedriger als vor Jahresfrist. Die japanische Wirtschaft profitiert nicht nur von der Abwertung, sondern darüber hinaus auch von der Tatsache, dass die Inflation deutlich niedriger ist als im Ausland.
Einen genaueren Eindruck von der wahren Stärke oder Schwäche einer Währung und damit der preislichen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes vermittelt daher der sogenannte reale handelsgewichtete (oder effektive) Wechselkurs. Bei dieser Größe werden neben den nominalen Wechselkursen zu den Währungen der Handelspartner auch die entsprechenden Inflationsdifferenzen berücksichtigt. Solche Zahlen veröffentlicht zum Beispiel die in Basel ansässige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. In unseren beiden Schaubildern kann man sehen, dass der Yen auch in dieser Rechnung im Sinkflug ist, und zwar schon seit dem Jahr 2000.
Ist also der Vorwurf berechtigt, dass Japans Wachstum auf Kosten des Auslands geht, dass es sich hier um eine kompetitive Abwertung, also eine beggar-thy-neighbor-Politik handelt? Im eigentlichen, engeren Sinne trifft das sicher nicht zu, denn es gab schon seit einigen Jahren keine Interventionen Japans mehr. Der Vorwurf gilt höchstens indirekt dadurch, dass von der Politik zu wenig für die Binnennachfrage getan wird, so dass die Konjunktur vorwiegend vom Außenhandel getragen wird.
Man erinnere sich, dass das Bild, das die drei großen Währungen Dollar, Euro und Yen heute abgeben, dasjenige freischwankender Wechselkurse ist, wie sie seit Ende des Festkurssystems von Bretton Woods bestehen. Die Abkoppelung vom Dollar zu Beginn der siebziger Jahre hatte ja zum Ziel, eine eigenständige Geldpolitik zu ermöglichen und sich von Wechselkurszielen unabhängig zu machen. Der Markt sollte selbst die Währungsrelationen finden. Und wie man sieht hatte Japan bis in die neunziger Jahre tendenziell mit einer realen Aufwertung der eigenen Währung zu kämpfen.
Wenn die Europäer den Yen heute als zu schwach betrachten und dadurch ihre Wirtschaft im Nachteil sehen, haben sie sicherlich recht. Nur was könnten sie dagegen tun?
Wenn sie es ernst meinten mit ihrer Forderung nach einem festeren Yen, könnten sie das ohne Weiteres schaffen – sie brauchten ihn nämlich nur zu kaufen. Eine Unterstützung durch die Amerikaner wäre dabei natürlich sehr hilfreich. Wenn sie das zusammen entschlossen genug angingen, könnten sie seinen Wechselkurs dahin bekommen, wo sie ihn haben wollen. Die Mittel, mit denen sie Yen aus dem Markt nehmen, also verteuern können, stehen ihnen in praktisch unbegrenztem Maße zur Verfügung: für jeden Yen, den sie kaufen, begeben sie eine entsprechende Summe Dollar oder Euro, und sie sind dabei die Herren des Verfahrens. Sie müssten nur bereit sein, ihre Währungsreserven aufzustocken, und zwar in Yen.
Warum machen sie das nicht? Weil es aus amerikanischer Sicht hieße, den Status des Dollars als wichtigste Reservewährung der Welt zu unterminieren. Wer eine Reservewährung emittiert, darf kein Wechselkursziel verfolgen – die anderen haben sich an den Dollar anzupassen, nicht umgekehrt. Zur Erinnerung, es lohnt sich, Reservewährungsland zu sein, weil ein erheblicher Teil der Dollars (oder der Euros) im Ausland umläuft oder gehalten wird und entweder nur gering zu verzinsen ist oder auch gar nicht, wie beim Bargeld. Man bekommt vom Ausland sozusagen ständig etwas geschenkt. Warum sollten die USA diesen Vorteil aufgeben?
Im Euro-Raum ist die EZB verantwortlich für die Interventionen. Sie hat sich aber seit vielen Jahren vollkommen zurückgehalten. Inzwischen verfolgt sie ja das Ziel, den Euro zu einer Reservewährung im Range des Dollars zu machen. Wenn sie am Devisenmarkt eingriffe, um den Euro zu schwächen, verlöre sie ihre geldpolitische Autonomie und könnte den Reservewährungsstatus des Euro vergessen. Zudem: Würde sie unbegrenzt Yen kaufen, um einen bestimmten Wechselkurs zu fixieren, hätte das zwei weitere Nachteile: das Wachstum der Geldmenge, das manche ohnehin für viel zu hoch halten, beschleunigte sich noch einmal; zum anderen würde der preisdämpfende Nebeneffekt einer festen Währung verloren gehen. Der EZB dürfte der Wechselkurs des Yen vermutlich ziemlich einerlei sein.
Sie kann allerdings die Probleme Italiens und Frankreichs nicht völlig ignorieren und könnte durch ihre Zinspolitik überstützend wirken. Als Mitglieder der Währungsunion ist beiden Ländern das Instrument der Abwertungen abhanden gekommen. Das bedeutet, dass sie, mehr als früher, den Anstieg der Lohnstückkosten begrenzen, die Standortbedingungen verbessern und attraktive und preisunelastische Güter und Dienstleistungen anbieten müssen, wenn sie gegenüber der ausländischen Konkurrenz bestehen wollen. Das ist ziemlich mühsam und oft auch politisch nicht leicht durchzusetzen. Es ist daher verständlich, dass sie zumindest indirekt Druck auf die EZB ausüben, die Schraube nicht zu sehr anzuziehen. Höhere Zinsen bedeuten ja meist eine noch festere Währung. Monsieur Trichet und seine Kollegen werden nie zugeben, dass sie diesem Druck in irgendeiner Weise nachgeben, sie könnten aber nach der nächsten Zinserhöhung im März, auf dann 3,75 Prozent, erst einmal eine Pause einlegen – die überraschend niedrige Inflation legt das ohnehin nahe, oder?
Wie steht es mit Japan? Wenn es gewollt wäre, könnte auch Japan praktisch jeden Wechselkurs am Devisenmarkt durchsetzen. Schließlich verfügt das Land angesichts von mehr als 800 Mrd. Dollar an Währungsreserven über ausreichend Munition. Finge das Finanzministerium, das für solche Operationen verantwortlich ist, erst einmal an, Dollars auf den Markt zu werfen, wäre der Dollar in Nullkommanichts bei 110 oder 100 Yen, oder wo immer. Da die Marktteilnehmer ohnehin unterbewusst der Meinung sind, dass der Yen unterbewertet ist, brauchte man vermutlich nur einen Bruchteil der Reserven einzusetzen. Hauptsache ist, dass ein klar erkennbarer Wille da ist, den Yen zu festigen.
Es gäbe also Wege dem Wunsch nach einer Yen Aufwertung nach zu kommen. Der Teufel steckt hier allerdings im Detail, denn schon die glaubhafte Absicht tatsächlich solche Maßnahmen zu ergreifen, könnte zu kaum kontrollierbaren Reaktionen am Devisenmarkt führen. Es käme nämlich zu einer Umkehr der sogenannten Carry Trades, die ein wesentlicher Grund für die derzeitige Yen Schwäche sind. Bislang können sich die Anleger nämlich einigermaßen sicher sein, dass die japanischen Zinsen angesichts der Deflationsrisiken und des nur moderaten Wirtschaftsaufschwungs in der Nähe von Null bleiben werden, so dass der Yen entweder stabil ist oder sogar abwertet. Die Aussicht, dass er nicht aufwertet sondern eher fällt, macht es besonders lohnend, Yen zu leihen und in viel besser verzinslichen ausländischen Assets anzulegen. Das ist seit Jahren in großem Stil der Fall gewesen. Ein Mechanismus, der mit zur Schwäche des Yen beigetragen hat und sich so selbst verstärkt.
Sollten die Finanzminister und Notenbankchefs der großen drei Währungen dem europäischen Wunsch nachgeben, wäre es auf einmal aus mit dieser schönsten aller Welten. Die Anleger könnten dann leicht in Panik geraten und ihre Dollar-, Euro-, Pfund-, Franken- oder Rubelbestände wieder in Yen zurücktauschen, was diesen dann möglicherweise unkontrollierbar in die Höhe treiben würde. Die Bank von Japan hätte in diesem Fall auch nicht die Option, die Zinsen zu senken – sie sind ja schon heute kaum von Null verschieden. Es müsste zugunsten des Dollars interveniert werden. Mit ins Bild gehören bei einer solchen Abfolge der Ereignisse dann ein echter Dollarcrash und eine starke Aufwertung des Euro.
Es fragt sich, wie viele Banken, Hedge Funds und Spekulanten über die Klinge springen würden. Eine Finanzkrise im Weltmaßstab wäre nicht auszuschließen. Manchmal kann man sich nur wünschen, dass man nicht bekommt, was man sich wünscht.
Sollte die Bank von Japan vielleicht schon heute prophylaktisch die Zinsen erhöhen, damit es gar nicht erst zu solch unkontrollierbaren Geschehnissen kommt? Ich denke nicht. Man stelle sich nur vor, was ein wieder festerer Yen für die japanische Inflation bedeuten würde.
Nein, es gibt keine Alternative zu einem sich selbst überlassenen Yen, allerdings in Kombination mit finanzpolitischen und strukturellen Maßnahmen zur Stärkung der japanischen Inlandsnachfrage. Da besteht durchaus noch Spielraum, obwohl die Regierung das angesichts eines Budgetdefizits von 6 ½ Prozent am BIP abstreiten dürfte.
Der Yen ist deutlich unterbewertet. Sobald das in das allgemeine Bewusstsein eingedrungen ist, werden die Marktteilnehmer von sich aus in den Yen zurückkehren. Schließlich sind nominale Anleiherenditen von 1,7 Prozent sehr attraktiv, wenn man bedenkt, dass die Preise immer noch fallen. Auch die japanischen Aktien werden nicht mehr lange ein Dasein als Mauerblümchen fristen: sie haben sich viel schlechter entwickelt als die Aktien anderer Industrieländer, während die Unternehmensgewinne in Japan um nicht weniger gestiegen sind als andern Orts. Man darf gespannt sein.