Renten müssen, genau wie die Erziehung der Kinder oder das Arbeitslosengeld, immer von denen finanziert werden, die arbeiten. Wenn die Renten also hoch oder, aktueller: „sicher“, sein sollen, gibt es prinzipiell drei Wege, wie das zu erreichen ist. Am besten werden sie alle drei simultan beschritten:
- Es ist dafür zu sorgen, dass die, die das Sozialprodukt schaffen, möglichst produktiv sind. Das wird erreicht durch eine hohe Investitionsquote, einen guten Ausbildungsstandard sowie Innovationen und erfordert vor allem eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, also eine Politik, die eine Fehlallokation von Ressourcen minimiert, also den Wettbewerb fördert und die Infrastruktur im weitesten Sinne ständig verbessert.
- Der Input an Arbeit sollte erhöht werden, aber nicht indem man die Leute zwingt, statt 38 Stunden wieder 45 Stunden, oder bis zum Alter von 70 Jahren zu arbeiten, sondern indem man mehr Wahlmöglichkeiten und bessere Rahmenbedingungen schafft. Dazu gehört alles, was zu einer höheren Erwerbsquote der Frauen (Stichwort „Kindertagesstätten“), zu einer längeren Lebensarbeitszeit, zum Abbau der Arbeitslosigkeit, einer steigenden Geburtenrate und mehr Einwanderung beiträgt.
- Wenn die heutige Bevölkerung grundsätzlich für eine geringe Kinderzahl optiert, auch wenn die Rahmenbedingungen so kinderfreundlich sein sollten wie heute etwa in Schweden, und wenn eine aggressivere Einwanderungspolitik nicht durchsetzbar ist, gibt es einen Ausweg, über den noch nicht genügend diskutiert wird: Ein Teil der künftigen Renten sollte von schnell wachsenden und zur Zeit noch kapitalarmen Ländern bezahlt werden.
Einige, meist kleine Länder mit stagnierender oder schrumpfender Bevölkerung verfolgen eine solche Strategie schon seit Jahren, ob explizit oder implizit. Sie besteht darin, heute in großem Umfang netto Kapital zu exportieren, dadurch Auslandsvermögen anzusammeln und darauf zu setzen, dass man aus dessen Erträgen den künftigen Lebensstandard sichern kann. Das erste Schaubild zeigt, wie hoch die Kapitalexporte einiger Länder bereits sind. Der Saldo der Leistungsbilanz ist definitionsgemäß das Spiegelbild der Nettokapitalströme, denn wenn man netto mehr Güter und Dienstleistungen ausführt als einführt, muss man dem Ausland in Höhe des Saldos Kredit gewähren oder sonstige Forderungen und Aktiva erwerben.
Je größer der Überschuss in der Leistungsbilanz, desto rascher erhöht sich das Auslandsvermögen – und umgekehrt. Die Schweiz, Japan und Schweden, als reiche und relativ rasch alternde Gesellschaften, gehören demnach zu den größten Kapitalexporteuren. Sie erzielen bereits heute bedeutende Einnahmen aus dem Ausland, was sich daran zeigt, dass die Überschüsse in den Handelsbilanzen deutlich kleiner sind als die Salden ihrer Leistungsbilanzen. Andererseits sind junge oder rasch wachsende Länder wie Spanien, die USA, Irland oder Indien Nettoempfänger von Kapital, weisen also große Defizite in ihren Leistungsbilanzen auf.
Wie immer, wenn man zu apodiktisch sein will, kann man sofort auch Gegenbeispiele finden. Ein solches ist Singapur – da wächst die Bevölkerung sehr rasch und trotzdem wird netto in großem Stil Kapital exportiert. Das gilt ebenso für die Energieexporteure Saudi-Arabien oder Norwegen. Die grundsätzliche Gültigkeit der Aussage wird dadurch aber nicht infrage gestellt, denke ich.
Deutschland gehört ganz eindeutig in die Gruppe der alternden und massiv Kapital exportierenden Länder. Das muss nicht unbedingt heißen, dass das inländische Wirtschaftswachstum gering sein muss. Entscheidend ist, dass die Investitionsquote trotz Kapitalexport hoch ist, dass also auch der inländische Kapitalstock kräftig wächst. Schweden macht uns vor, wie das gehen kann, aber auch China und Russland. Zur Zeit gelingt der Spagat von raschem Wachstum und großem Leistungsbilanzüberschuss auch bei uns, weil die Geldpolitik immer noch einigermaßen akkommodierend ist, der reale Wechselkurs auf der Stelle tritt, die Finanzpolitik nicht weiter verschärft und die Bauwirtschaft endlich die Kurve gekriegt hat.
Die zweite Graphik zeigt, dass Deutschlands Nettokapitalexporte wieder in Richtung 5 Prozent des Sozialprodukts steigen. Das hatten wir schon einmal, bevor die Wiedervereinigung gewissermaßen dazwischen kam. Inzwischen ist die zehnjährige Interimsphase vorüber, als wir zum Aufbau Ost Kapital von außen benötigten. Wir sind wieder ein kapitalreiches Land.
Wenn die Nettokapitalexporte weiterhin bei etwa 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, wird das Nettoauslandvermögen in weniger als 20 Jahren etwa so hoch sein wie das künftige Bruttoinlandsprodukt. Unter der Annahme, dass sich die ausländischen Aktiva mit 5 Prozent verzinsen, steht im Inland ständig 5 Prozent mehr zur Verfügung als an Mehrwert geschaffen wird. Daraus können Zusatzeinkommen für den nicht im Erwerbsleben stehenden Teil der Bevölkerung bezahlt werden. Das bedeutet, die Rentner ernten die Früchte ihrer heutigen Sparsamkeit.
Wie kann das konkret gehen? Da der Staat nur in geringem Maße Kapital exportieren wird, solange das Umlageverfahren in der Rentenversicherung dominiert, läuft die Ansammlung von Auslandsaktiva über den privaten Sektor: Sparer erwerben Investmentfonds, die im Ausland anlegen, oder sie kaufen – billiger – ausländische Aktien direkt; viele dürften auch Immobilien jenseits der Grenzen erwerben; deutsche Unternehmen verlagern einen steigenden Anteil ihrer Investitionen ins rascher wachsende Ausland; Versicherungen und Banken erhöhen ständig den Anteil der Auslandsaktiva an ihrer Bilanzsumme.
Dem normalen künftigen Rentner, der heute vielleicht nicht in der Lage ist, privat vorzusorgen, nützt es nicht direkt, dass Deutschland als Ganzes immer mehr von seinen Auslandsaktiva leben kann. Es ist ein Verteilungsproblem. Ein Teil der Auslandseinkünfte der Unternehmen kann zwar über Steuern abgeschöpft werden und in den Rententopf eingespeist werden, aber da die Körperschaftsteuer langfristig gegen Null zu tendieren scheint, ist das nicht sehr erfolgversprechend. Der Alterungsprozess der Bevölkerung macht es daher immer dringender, dass der Staat einen steigenden Teil seiner Einnahmen im Ausland investiert, so wie das etwa Singapur, Norwegen oder China tun.
Noch wichtiger ist natürlich, dass die Wachstumsrate der Produktivität durch eine gute Wirtschaftspolitik wieder frühere Werte erreicht und dass das Arbeitsangebot zunimmt. Vor allem dadurch werden sowohl diejenigen, die arbeiten, als auch die, die vorwiegend auf die Rentenumlage angewiesen sind, real ständig über signifikant mehr Kaufkraft verfügen. Das Ziel muss sein, dass es beiden Gruppen immer besser geht. Das heißt, es wird vor allem auf die in der Einleitung genannten Punkte eins und zwei ankommen. Einkünfte aus dem Ausland dürften künftig wichtiger sein für die Aufrechterhaltung des Lebensstandards als das den meisten bewusst ist, aber das ist fürs Erste vor allem eine Sache des privaten Sektors.