So überraschend es auf den ersten Blick scheint – je größer die Anzahl der Einwanderer, desto besser die Chancen, dass deutsche Arbeitslose einen Job finden. Aus den unterschiedlichsten Gründen nehmen uns Einwanderer keine Arbeitsplätze weg, sie bringen welche mit. Sowohl unsere Linken als auch unsere Rechten machen einen großen Fehler, wenn sie versuchen, so wenig Ausländer wie möglich ins Land zu lassen.
Die einen begreifen den Arbeitsmarkt im Wesentlichen als eine statische Veranstaltung, bei der eine feste Summe an Arbeit ständig umverteilt wird, so dass zusätzliche Zuwanderer den Deutschen de facto die Jobs wegnähmen und die Arbeitslosigkeit dadurch noch weiter stiege. Außerdem befürchten sie ein Lohndumping zu Lasten der Arbeitsplatzbesitzer und eine noch stärker verzerrte Einkommensverteilung. Ein anderes ihrer Argumente ist, dass die armen Länder durch den Brain Drain in die reichen Länder ihre besten Leute verlieren und dadurch nie zu diesen aufschließen können.
Die anderen sorgen sich um die nationale Identität und die sozialen Systeme – zu viele Muslime, zu viele Dunkelhäutige, zu viele Faulenzer, vielleicht auch zu viele Drogenhändler und potentielle Terroristen. Sie haben was gegen Multikulti. Wohin das führen kann, ließe sich in Kreuzberg besichtigen, oder noch krasser in den Banlieues der französischen Großstädte und den britischen und amerikanischen Slums.
Der Verweis, dass die Länder Europas, die am liberalsten mit der Einwanderung umgehen, Großbritannien, Schweden und Irland, aber auch die USA, gleichzeitig den kräftigsten Anstieg der Beschäftigung, Arbeitslosenquoten von 5 Prozent oder weniger und seit vielen Jahren die höchsten Wachstumsraten beim realen BIP aufweisen, verfängt bei den Gegnern einer liberalen Politik nur wenig. Sie argumentieren nämlich genau umgekehrt – und intuitiv auch plausibler: Eine Volkswirtschaft könne sich erst dann Einwanderung leisten, wenn die Wachstumsraten hoch sind und es Vollbeschäftigung gibt, wenn es also Engpässe in der Produktion gäbe. Die genannten Länder hätten ihre Hausaufgaben gemacht, sprich ihre Strukturen reformiert, was im Wesentlichen ein Codewort für eine Umverteilung zugunsten der Gewinne und der gut qualifizierten Arbeitnehmer ist. Einwanderung ist demnach nicht eine der Ursachen, sondern die Folge rascheren Wirtschaftswachstums. Ein Henne-oder-Ei-Problem.
Wie lässt sich meine These begründen, dass es uns allen gut täte, wenn wir unsere Grenzen durchlässiger machten? Zunächst muss man wohl feststellen, dass es sich bei den Einwanderern, egal ob sie hochgebildet sind oder fast gar keine Schulbildung haben, um sehr motivierte Menschen handelt. Sie haben ihre vertraute Umgebung verlassen, um ein besseres Leben zu beginnen. Das ist nicht allein materiell zu sehen, genauso gut, wenn auch seltener, wollen sie der politischen Unterdrückung in ihren Heimatländern entkommen. Sie haben also Risiken auf sich genommen, die oft so groß sind, dass viele, die es nicht schaffen, mit ihrem Leben dafür bezahlen Auf dem Weg nach Europa ertrinken jährlich Hunderte, wenn nicht Tausende, im Mittelmeer oder sie ersticken in Containern oder erfrieren in Frachträumen von Flugzeugen.
Sie sind also mutig, risikobereit, meist sehr jung, dabei fast immer flexibel und anspruchslos. Sie wollen arbeiten und ihr Glück bei uns machen. Sie wissen, dass das ein langer Prozess sein kann und dass es erst ihren Kindern, oder deren Kindern, gelingen wird, es zu Wohlstand zu bringen. Fast alle verlassen sich weniger auf den Staat als auf die Hilfe ihrer meist großen und intakten Familien. Sie versuchen zwar zu sparen, anfangs aber müssen sie ihr gesamtes Einkommen für ihren Unterhalt und die ersten Anschaffungen ausgeben. Volkswirtschaftlich ausgedrückt, haben sie eine hohe Konsumneigung und stimulieren dadurch die Inlandsnachfrage, wodurch die Konjunktur ein breiteres Fundament bekäme. Das ist aber nur ein Nebenaspekt.
Da die Einwanderer nicht in das normale Muster „Schule, Lehre, Hochschule“ passen und oft nur schlecht Deutsch sprechen, haben sie beruflich in den etablierten Betrieben, vor allem aber auch beim Staat, nur schlechte Berufschancen. Niemand gründet daher so viele Unternehmen wie die Ausländer. Intel, Google oder Ebay wurden allesamt von Einwanderern gegründet. Ich wette, dass auch bei uns eine überproportional große Zahl der Neugründungen von kleinen Dienstleistungsfirmen, Restaurants oder Lebensmittelläden auf diese Bevölkerungsgruppe entfällt. Wer Unternehmen gründet, schafft Arbeitsplätze – und es muss nicht immer nur um den High-Tech-Bereich gehen.
Einwanderer nehmen den Einheimischen weniger die Jobs weg, als dass sie es ihnen oft erst ermöglichen zu arbeiten. Das gilt vor allem für gut ausgebildete Frauen, die meist nur dann in ihren Beruf zurückkehren, wenn sie sich eine Haushaltshilfe leisten können. Deutsche Haushaltshilfen gibt es praktisch nicht, jedenfalls nicht zu erschwinglichen Konditionen. Um es wieder ökonomisch (also herzlos) zu formulieren: Die Ausländer tragen dazu bei, dass Humankapital besser genutzt werden kann, dass es für Frauen, aber auch für Männer, mehr Optionen gibt. Das erhöht den Wohlstand aller.
Ausländer lassen zudem selten den Kontakt zu ihren Heimatländern abreißen. Sie bilden Netze mit Landsleuten, die schon hier sind und solchen, die sie noch von früher kennen. Daraus ergeben sich vielfältige Geschäftsmöglichkeiten. Die Inder und Chinesen, die eine so große Rolle im Silicon Valley spielen, waren auch die treibenden Kräfte für das Outsourcing einfacher Jobs nach Chennai oder Shenzhen, also der internationalen Arbeitsteilung. Sie gründen in ihren Herkunftsländern Tochterunternehmen. Es kommt, wie das im jüngsten Economist (S. 55) ausgedrückt wurde, weniger zu einem Brain Drain als zu einer Brain Circulation.
Wie stets in solchen Fällen, steigert das Outsourcing, also die intensivere internationale Arbeitsteilung, den Wohlstand, geht aber auch einher mit einem Strukturwandel zulasten der weniger qualifizierten oder motivierten Einheimischen. Das hat in Amerika teilweise zu Ressentiments geführt, was wiederum für uns die Chancen verbessert, hochqualifizierte Einwanderer aus diesen Ländern anzuheuern. Denn Deutschland ist wegen der Sprachprobleme und des mittelmäßigen Rufs unserer Universitäten meist nur zweite Wahl.
Wir müssen uns auch klarmachen, dass wir die Einwanderung nach Europa ohnehin nicht verhindern können, es sei denn wir wandeln uns in einen eingemauerten Polizeistaat. Wie wir alle wissen, werden Mauern eines Tages sowieso fallen. Warum also nicht offensiv mit dem Thema umgehen und das Beste daraus machen? (Ein gutes Buch zum Thema hat kürzlich Philippe Legrain geschrieben; es heißt „Immigrants: Your Country Needs Them“, erschienen bei Little, Brown)