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Die Russen kommen – die Chinesen auch!

 

Wie erwartet, gibt es einen großen Aufruhr, wenn Länder ihre Währungsreserven in etwas anderem anzulegen versuchen als in Forderungen gegenüber den Regierungen der USA oder Westeuropas, wenn sie also etwas Richtiges dafür kaufen wollen, statt nur Versprechen auf spätere Zahlung, die de facto unverbindlich sind. China und Russland verkaufen uns Computer, T-Shirts, Öl und Gas, warum sollte man ihnen im Gegenzug nicht erlauben, Siemens, SAP, Airbus, E.on oder die Deutsche Telekom zu kaufen? Wofür gibt es denn Aktienmärkte? Offenbar gibt es genehme und weniger genehme Eigentümer. Das Geld diktatorisch oder autokratisch regierter Staaten ist hierzulande jedenfalls nicht sehr willkommen.

Die Amerikaner haben jahrzehntelang vorgemacht, wie sich mit Realaktiva (wegen der Risikoprämien) mehr Geld verdienen lässt als mit festverzinslichen Wertpapieren: Obwohl die Auslandsverbindlichkeiten die Auslandsanlagen deutlich übertrafen, war ihre Kapitalertragsbilanz bis vor kurzem positiv. Pointiert gesagt: Die Gewinne, die Exxon, McDonald’s, Coca Cola, Citibank, Procter&Gamble, Haliburton oder Microsoft im Ausland erzielten, waren höher als die Zinszahlungen auf die Treasuries und Agency Bonds, die an die ausländischen Währungsbehörden überwiesen werden mussten. Sachanlagen sind zudem ein besserer Inflationsschutz, die bessere Methode, sein Vermögen zu erhalten als festverzinsliche Wertpapiere. Für die sogenannten Sovereign Wealth Funds, aus denen ein Teil der künftigen Renten finanziert werden soll, ist das ein entscheidender Gesichtspunkt.

Die Schweiz, Schweden, die Niederlande, Norwegen, Luxemburg, Singapur, Hongkong, Taiwan, Abu Dhabi, Kuwait oder Saudi Arabien investieren ihre großen Leistungsbilanzüberschüsse seit Jahrzehnten in ausländischen Sachwerten. Meistens erwerben ihre staatlichen Pensionsfonds Minderheitsbeteiligungen, oder überlassen Hedge Funds das Management des Vermögens, wenn es auf Flexibilität in der Anlagepolitik ankommt. Bis vor kurzem hat sich niemand darüber aufgeregt. Seit Russland, China und Indien mit im Spiel sind, schrillen auf einmal die Alarmglocken.

Bisher hatte ich gedacht, nur die Amerikaner oder Franzosen reagierten hysterisch, wenn Ausländer strategisch wichtige Unternehmen kaufen wollten. In Deutschland ist es aber genauso. Irgendwie kommen Urängste hoch, so wie bei der Landwirtschaft, die es immer zu schützen – und zu subventionieren – gilt. Martin Hellwig von der Uni Mannheim hat in der FAZ vom Wochenende für einen Genehmigungsvorbehalt für den sogenannten Kontrollerwerb durch ausländische Investoren plädiert. Das Beispiel, das er zur Begründung heranzieht, ist allerdings nicht überzeugend: „Wenn Gazprom die Kontrolle über deutsche Energieversorger bekäme, könnte der Konzern die Abhängigkeit von russischem Wohlwollen zementieren. Das bereitet mir Unbehagen.“

Schauen wir mal genauer hin: Wenn Gazprom heute E.on, die alte Veba, kaufen wollte, wäre ganz sicher ein Aufpreis von mindestens 20 Prozent auf die 87 Mrd. Euro fällig, die E.on heute kostet. Die Eigentümer von E.on wären auf einmal um 17 ½ Mrd. Euro reicher. Das ist erst einmal eine tolle Sache. Was wird mit den 81.000 Mitarbeitern geschehen? Werden sie umgehend oder vielleicht nur peu-à-peu entlassen? Warum sollte der neue Eigentümer das tun? Vielleicht traut er sich ja tatsächlich zu, die Produktivität und damit die Gewinne von E.on zu steigern, nicht zuletzt dadurch, dass Leute entlassen werden. Das wäre für das jetzige Management ein schlechtes Zeugnis. Wahrscheinlicher ist, dass Randaktivitäten in die Selbständigkeit entlassen oder verkauft würden, weil Gazprom sich auf das Erzeugen und Verteilen von Energie konzentrieren will. Das muss keine Arbeitsplätze kosten.

Könnte Deutschland auf einmal mehr Pressionen von russischer Seite ausgesetzt sein als das heute der Fall ist? Was meiner Ansicht nach übersehen wird, ist, dass die russischen Eigentümer viel mehr von unserem Wohlwollen abhängig wären als wir von ihrem – schließlich befinden sich die wahren Aktiva von E.on ja außerhalb des Einflussbereichs des russischen Staates. Überhaupt: was passiert denn, wenn uns die Russen den Gashahn abdrehen, wie das immer wieder an die Wand gemalt wird? Im vergangenen Jahr importierte Deutschland für 18,4 Mrd. Euro Erdgas, was 85 Prozent des Verbrauchs ausmachte; der Rest kam aus dem Inland. Auf Russland entfielen 41 Prozent der Erdgaseinfuhren, also 7,6 Mrd. Euro. Das entspricht 0,8 Prozent der deutschen Gesamtimporte an Gütern und Dienstleistungen und 0,3 Prozent des nominalen BIP. Außerdem hat Erdgas nur einen Anteil von 23 Prozent am deutschen Primärenergieverbrauch (2005). Mit anderen Worten, es fällt nicht leicht, die Gründe für die Russenangst zu verstehen.

Der zentrale Punkt bleibt aber, dass uns die Ausländer nichts abnehmen, was die Eigentümer nicht bereit sind abzugeben. Da diese einen stolzen Aufpreis erzielen, verbessert sich netto die deutsche Vermögensposition gegenüber dem Ausland. Vielleicht erwerben die Verkäufer von E.on-Aktien ja im Gegenzug Gazprom-Aktien, oder von High Tech-Firmen wie Pfizer oder Intel. Deutschland wird künftig höhere Einnahmen aus Auslandsanlagen erzielen – das ist wie ein Gewinn aus besseren Terms of Trade oder rascherem Produktivitätswachstum. Einer der Gründe für den rapiden Anstieg des britischen BIP pro Kopf ist die Unbefangenheit, mit der auch angeblich strategische Unternehmen an Ausländer verkauft wurden, ob im Finanzsektor oder in der Industrie. Der Beschäftigung auf der Insel hat es bisher eher genutzt.

So lange die Währungsreserven der Schwellenländer weiterhin rapide steigen, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass staatliche Pensionsfonds Gebote für deutsche Firmen abgeben. Das ist eher eine Chance als eine Gefahr, außer vielleicht im Verteidigungsbereich. Der zunehmenden Verflechtung im internationalen Handel entspricht eine immer intensivere Kapitalverflechtung, also auch eine größere gegenseitige Abhängigkeit in diesem Bereich. Politisch bedeutet das eine Reduzierung der Risiken, wirtschaftlich einen höheren Wohlstand.