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Von der Schwierigkeit, kein Neoklassiker zu sein

 

Fragt man Ökonomen danach, was man mit einem Monopol anstellen soll, dass kein natürliches ist, haben sie die Antwort sofort parat: Mehr Wettbewerb, mehr Markt! Nur wenn es um den eigenen Markt geht, den Markt für das Produkt Wirtschaftswissenschaft, halten sie sich zurück. Ein Anbieter dominiert, die marktliberale Neoklassik, andere Angebote gibt es nicht oder nur unter dem Ladentisch. So sehen es zumindest die Ökonomen, die sich „heterodox“ nennen, und mit der Neoklassik und der Marktgläubigkeit nicht so recht zufrieden sind. Sie glauben, dass der Markt nicht alle Probleme löst und vor allem der Mensch sich nicht immer so rational verhält, wie es die Neoklassik unterstellt. Auch Ausbeutung, Geschlechterverhältnisse, die Umwelt oder soziale Normen hätten einen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen. Faktoren, die im Mainstream keine Rolle spielen und deshalb systematisch aus dem herrschenden wissenschaftlichen Diskurs ausgegrenzt werden.

Doch mit dem technischen Wandel werden vorher sicher geglaubte Monopole brüchig. Das Internet mit seinen Blogs bringt auch den Ideenmarkt der Ökonomen durcheinander – zumindest in den USA. Mit seinem Artikel „Hip Heterodoxy“ hat dort der Journalist Christopher Hayes eine interessante und viel beachtete Diskussion über den Stand der Wirtschaftswissenschaft losgetreten.

Hayes hat sich für die links-liberale Zeitschrift The Nation in der Ökonomenszene umgesehen und dort einige Heterodoxe, also Nicht-Neoklassiker getroffen. Die werfen der neoklassischen Orthodoxie vor, sie verhalte sich wie die Mafia: Wer die Grundsätze der herrschenden Lehre in Frage stellt, würde mit Ausschluss bestraft. Die Heterodoxen können ihre Arbeiten im oberen Bereich der strengen Hierarchie der wissenschaftlichen Zeitschriften, den sogenannten A-Journals, nicht unterbringen und würden nicht auf die Lehrstühle in den wichtigen Universitäten berufen.

Und wenn eine Wirtschaftsfakultät doch heterodox ausgerichtet ist, wird sie von der Universitätsleitung unter Druck gesetzt, „richtige“, das heißt neoklassische Ökonomie zu betreiben und sich den Regeln des Mainstreams zu unterwerfen. So berichtet David Ruccio, Wirtschaftprofessor an der Universität von Notre Dame, wie er und seine Kollegen unter Druck gesetzt wurden, in den fünf Top Zeitschriften zu veröffentlichen, um den Ruf der Universität zu heben. Nachdem sie sich erfolgreich gewehrt hatten – denn ihre Themen wie zum Beispiel postmoderne Ökonomie oder Frauen in Entwicklungsländern sind dort nicht unterzubringen – wurde die Fakultät kurzer Hand geteilt. Neben der bestehenden heterodoxen Abteilung wurde eine neue streng neoklassisch orientiert Abteilung eröffnet.

Auch wer aus dem Mainstream kommt und gegen die Grundsätze der herrschenden Lehre verstößt, dem droht Exkommunikation durch die Kollegen. Da ist zum Beispiel der Ökonom David Card, der 1995 mit seinem Kollegen Alan Krueger ein Buch über den Mindestlohn veröffentlichte. Die beiden Wissenschaftler untersuchten empirisch die Auswirkungen von Mindestlohnerhöhungen auf die Beschäftigung in einigen US-Bundesstaaten. Sie fanden heraus, dass trotz des Lohnanstiegs die Beschäftigung nicht sank. Das Ergebnis kam bei vielen seiner Ökonomen-Kollegen nicht gut an, denn es steht im klaren Widerspruch zum neoklassischen Standard-Arbeitsmarktmodell. Danach muss ein Eingriff in den Lohnbildungsprozess einen negativen Beschäftigungseffekt haben.

Auch Alan Blinder, Wirtschaftsprofessor in Princeton und früherer Vizechef der Fed, muss sich zur Zeit einiges von den Kollegen anhören. Er schrieb in verschiedenen Zeitungsartikeln (hier und hier), dass es durch die moderne Kommunikationstechnologie zu Verlagerungen von Arbeitsplätzen ins Ausland kommen werde, die bisher technikbedingt davor geschützt waren. Dies würde zu großen Beschäftigungsproblem führen. Die Profession sieht in solchen Thesen einen Verrat an einer ihrer Grundfesten: dem stets wohlstandsfördernden freien Handel. Gregory Mankiw, Harvard-Professor und ehemaliger Wirtschaftsberater von George W. Bush, warf Blinder in seinem Blog (hier und hier) vor, sich außerhalb des Mainstreams zu stellen, und lässt sich gar zu dem Vorwurf hinreißen, Blinder würde seine Texte nicht in den wichtigen Fachzeitschriften veröffentlichen.

Diese Auseinandersetzungen und Christopher Hayes Artikel haben eine interessante Diskussion in amerikanischen Blogs ausgelöst. Im TPM Café Bookclub haben sich auch Größen des Fachs wie Paul Krugman und Brad DeLong, die man nicht gerade als heterodox bezeichnen kann, kritisch geäußert. Beide können nachvollziehen, dass die Heterodoxen die marktliberalen Einstellungen des Mainstreams nicht teilen. Vom analytischen Instrumentenkasten der Neoklassiker wollen sie aber nicht lassen. Im Gegenteil: Mit dem könne man nämlich sehr gut zeigen, warum der Markt eben nicht immer effizient ist. Denn es liegen eine ganze Menge sehr unrealistischer Annahmen hinter den mathematischen Modellen, die die Orthodoxie zum Beweis der Markteffizienz gebraucht: Alle Akteure sind immer über alles informiert, es gibt keine Monopole und für alle Produkte gibt es zu jedem Zeitpunkt einen Markt. Wenn man die Bedingungen der Modelle verändert, könne man plötzliche sehr interessante Dinge herausfinden.

Thomas Palley, überzeugter Heterodoxer und Keynesianer, findet diese Argumentation nicht stimmig: Warum solle man seine Analyse mit unrealistischen Annahmen aus Alice‘ Wunderland beginnen, wenn man gleichzeitig direkt in der realen Welt anknüpfen kann?

In diesem Punkt haben die Heterodoxen einen starken Verbündeten gefunden: Den Nobelpreisträger George Akerlof. In einer viel beachteten Rede vor der renommierten American Economic Association hat er gegen die abstrakte mathematische Modellierung gewettert und eindringlich auf die Bedeutung der direkten Beobachtung der ökonomischen Akteure und der Berücksichtigung ihrer Motivation hingewiesen. Der Homo Oeconomicus hört nach Akerlof nicht nur auf sein kaltes Nutzenkalkül, sondern wird auch von sozialen Normen beeinflusst, deren Wirkung nur durch Experimente und Beobachtung untersucht werden können. Akerlof zeigt, wie alternative Forschungsansätze viele ökonomische Ergebnisse der letzten dreißig Jahre in Frage stellen insbesondere die Ergebnisse, mit denen keynesianische Erkenntnisse scheinbar wiederlegt wurden.

Es grummelt also in US-Ökonomenkreisen. Zwar kann man bezweifeln, dass die Heterodoxen in naher Zukunft eine größere Anerkennung erfahren. Die Zeichen stehen aber gut, dass die Zunft ernsthaft beginnt, über die Grundlagen zu diskutieren, auf denen ihr vorherrschendes Paradigma aufbaut: David Card hat zwar viele seiner ehemaligen Freunde aus Chicago verloren, ihm ist aber auch die John Bates Clark Medal verliehen worden – die neben dem Nobelpreis bedeutendste Auszeichnung für Ökonomen. George Akerlof konnte seinen Kollegen an prominenter Stelle die Leviten lesen und anerkannte Ökonomen wie Krugman und DeLong stellen sich ernsthaft der Diskussion.

James K. Galbraith, Sohn des berühmten John Galbraith und heterodoxer Professor in Texas, sieht die Lage ganz entspannt. In einem seiner Beiträge im TPM Café Bookclub schreibt er, dass die Neoklassik ihren Siegeszug über die amerikanische Wirtschaftswissenschaft erst in den 50er Jahren angetreten hat. Vorher sei die US-Ökonomenzunft von Institutionalisten vom Schlage eines Thorstein Veblen dominiert gewesen, für den Institutionen, soziale Normen usw. vollkommen ohne Mathematik Grundbestandteile der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse waren. Es gibt also keinen Grund, dass sich das Blatt nicht wieder gegen die Neoklassiker wenden könnte.