Beachtlich – diese Zinssenkung um ¾ Punkte, nur ein paar Tage vor der regulären Sitzung der US-Notenbank. Das riecht nicht nur nach Panik. Das ist Panik. Ben Bernanke und seine Leute haben Angst, nach dem Abgang des großen Meisters Alan Greenspan als Versager dazustehen. Ich vermute, dass sie es gerade deshalb taktisch falsch machen.
Meistens reagiert der Aktienmarkt auf lockere Geldpolitik oder auf Ankündigungen derselben mit Jubel. Gegen die Fed soll man nicht wetten, heißt es dann, und, die Zentralbank lässt Wall Street nicht im Stich. Heute war die Reaktion der Börse (zunächst) erschreckend rational. Die Aktienkurse in New York gaben kräftig nach. Die Abschläge waren zwar geringer als einen Tag zuvor in Europa und Asien. Das war aber nicht die freudige Begrüßung lockerer Geldpolitik, wie man sie bei der Fed erhofft hat. Das war nicht besser als am Freitag, als Präsident George W. Bush sein dem Inhalt nach vages, aber dem Umfang nach präzises fiskalisches Konjunkturprogramm der Öffentlichkeit vorgestellt hatte.
Warum die Fed die Zinsen drastisch senkt, leuchtet unmittelbar ein. Die USA stehen kurz vor einer Rezession oder die Rezession hat bereits begonnen. Vielleicht wissen die Notenbanker das etwas genauer. Jedenfalls ist es da sinnvoll und angemessen, auf der Finanzierungsseite die Lage der Unternehmen und Konsumenten zu erleichtern. Warum aber die Hektik? Hätte das Offenmarktkomitee nicht in Ruhe eine Woche warten können, um dann die Zinsen zu senken? Anscheinend nicht. Warum nicht? Die Frage macht ein wenig Angst.
Würde in den nächsten Tagen eine große Bank umkippen, wenn Tagesgeld wie bisher 4,25 Prozent statt 3,5 Prozent kosten würde? Vielleicht eine der zweiten Reihe, die nicht satte Kapitalspritzen von den neureichen Chinesen, Singapurianer oder Anrainern des Persischen Golfes akquirieren kann? Das ist kaum glaubhaft. Wenn die Fed konkrete Angst um eine Bank oder auch eine Schattenbank hätte, würde sie nicht zögern, sie mit gezielten Aktionen zu stützen. Dazu braucht sie keine Leitzinssenkung.
Wahrscheinlicher ist es, dass es den Notenbankern tatsächlich weniger um die Erleichterung der Finanzierungsbedingungen eine Woche früher als geplant ankommt als um den Ankündigungseffekt. Dieser Ankündigungseffekt wirkt, wenn überhaupt bekanntlich an der Börse. Die Börse verarbeitet Informationen, während die Realwirtschaft später langsam auf die gesunkenen Zinsen reagiert. Die Fed hat auf die Baisse von gestern reagiert. Ihr Ziel war es, die Baisse zu beenden und Aktien teuer zu lassen.
Letzteres dürfte schon seit langer Zeit eines der impliziten Ziele der Notenbank sein. Selten zuvor hat sie das durch ihr taktisches Handeln so deutlich gemacht. Mir scheint das schlechte Taktik. An der Börse wird jetzt schon eine weitere Zinssenkung um ½ Punkt in der nächsten Woche vermutet oder verlangt. Der Ankündigungseffekt nützt sich auf diese Weise ab.
Wir werden sehen. Der Großteil der Anfangsverluste an Wall Street ist schon wieder aufgeholt. Selbst wenn bis zum Abend in New York die Kurse kräftig zulegen, bleibe ich bei meinem Urteil: Diese Zinssenkung war im Prinzip richtig, taktisch aber stümperhaft ausgeführt.