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Globalisierung nicht schuld an der Bankenkrise

 

Hat die gegenwärtige Finanzkrise etwas mit der immer weiter fortschreitenden Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu tun, wie hierzulande manchmal behauptet wird? Es geht dabei vor allem um zwei Fragen: Inwieweit es erstens zu einem Zusammenbruch der Kreditmärkte gekommen ist, oder noch kommen wird, und ob zweitens der Abbau der Kapitalverkehrskontrollen daran schuld ist.

Um mit den Antworten zu beginnen: Ich kann weder einen generellen Zusammenbruch der Kreditmärkte erkennen, noch kann ich daher irgendetwas Negatives darin sehen, dass der Kapitalverkehr zunehmend liberalisiert worden ist.

Ein Zusammenbruch der Kreditmärkte müsste sich ja irgendwie in den Zahlen zeigen. Tut er aber nicht. Die Expansion des Kreditvolumens geht bisher jedenfalls zügig weiter, sogar etwas rascher als vor dem Ausbruch der Krise im August. Sehen wir uns die Zahlen an: In den USA hat das Kreditvolumen im vergangenen halben Jahr mit einer Verlaufsrate von 12,5 Prozent zugenommen, für den Euroraum berechnet sich anhand der saisonbereinigten Zahlen der EZB für die Periode Juli bis Januar eine Verlaufsrate von 13,2 Prozent, und selbst in Japan ist das Kreditvolumen im vergangenen halben Jahr rascher gestiegen als zuvor (wenn auch immer noch mit nur 2,9 Prozent annualisiert, aber immerhin rascher als das nominale BIP).

Allerdings haben sich die Zinsaufschläge für riskantere Kreditnehmer überall erhöht. In den vergangenen Jahren hatte das Risikobewusstsein der Anleger stark abgenommen. Da das Renditeniveau durch die Kombination von niedriger Inflation (der Chinaeffekt!) und lange Zeit sehr niedrigen Notenbankzinsen tendenziell sank, die Anleger aber verzweifelt nach attraktiven Renditen suchten, hatten sie immer weniger Hemmungen, riskante Papiere in ihre Bücher zu nehmen.

Seit letzten Sommer sind sie wieder deutlich risikobewusster geworden. Die Schuldner bekommen ihr Geld daher nicht mehr länger zu supergünstigen, sondern im Grunde einfach nur wieder zu normalen Konditionen. Wir haben es mit einer überfälligen Normalisierung zu tun, nicht mit einem Credit Crunch.

Dieser Verteuerung der Kredite (und ihren negativen Folgen für die Konjunktur) wirkt die Fed durch aggressive Zinssenkungen entgegen, während sich die EZB auf Liquiditätsspritzen beschränkt und die Krise insgesamt nicht so ernst nimmt. Die Konjunktur läuft ja, und die Inflation ist weit über dem Zielniveau. Auch in Japan, China und Indien ist die Finanzkrise noch nicht angekommen.

Wir haben es mit einer vorwiegend auf die USA und Großbritannien beschränkten Krise des Investment Banking und der Hypothekenbanken zu tun, die dort eine Reihe von groß angelegten und unkonventionellen Notmaßnahmen erforderlich gemacht hat. Dabei ist das Schlimmste vermutlich noch nicht überstanden. Über die immer intensivere Verflechtung der Kapitalmärkte, beispielsweise durch die internationale Präsenz der großen Banken, sind auch andere Länder davon betroffen. Das zeigt sich vor allem am Geldmarkt, wo die Interbankensätze um mehr über den Notenbankzinsen liegen als je zuvor, jedenfalls soweit ich mich zurückerinnern kann. Die Banken trauen einander nicht mehr so recht. Sie leihen sich zwar noch Geld, haben aber ihre Risikoaufschläge erhöht. Das ist für den Sektor insgesamt ein Nullsummenspiel und nicht sehr bedrohlich, wenn ich das recht sehe.

Dass die Aktienmärkte einbrechen, ist auch nicht weiter beunruhigend. So ist das nun mal, wenn es in Amerika eine Rezession gibt. Bislang haben alle US-Rezessionen erhebliche negative Effekte auf die Konjunktur und die Aktienmärkte in anderen Ländern sowie auf den Welthandel gehabt. Allerdings nimmt das relative Gewicht der US-Wirtschaft ständig ab, und zwar offenbar immer rascher. Das erklärt vermutlich, warum die Rohstoffmärkte trotz der amerikanischen Konjunkturprobleme weiter brummen. Unsere Währungsunion mit ihren 320 Millionen Einwohnern ist ja inzwischen vom Sozialprodukt her so groß wie die USA, und die Schwellenländer haben sich zu den wichtigsten Grenznachfragern für Rohstoffe gemausert.

Wir erleben allerdings einen dramatischen Strukturwandel der Finanzmärkte, wie er alle paar Jahre vorkommt. Diesmal geht es um das zumindest vorläufige Ende der „originate and distribute“-Strategien, die sich vor allem für die Investment Banken und ihre Manager zu wahren Gelddruckmaschinen entwickelt hatten. Es ist zu erwarten, dass wir eine Rückbesinnung auf das lange verpönte traditionelle Bankgeschäft erleben werden, also eine geringere Gewichtung des Investment Banking. Die Banken lernen wieder, die Bonität der Schuldner selbst einzuschätzen, und die Kredite, die sie vergeben, behalten sie dann.

Im den vergangenen Jahren war es immer mehr so, dass Kredite vergeben oder von anderen Banken gekauft wurden (das „originate“), um sie dann zu gedeckten Wertpapieren zu bündeln. Gleichzeitig wurden Rating-Agenturen beauftragt, ihnen ein attraktives „Rating“, also Bonitätszeugnis, zu geben, woraufhin sie dann an Hedge Funds, Versicherungen, Pensionsfonds, Universitätsstiftungen, die IKB oder Landesbanken weitergereicht wurden (das „distribute“). Dabei verdienten die Investment Banken Gebühren, wie normale Immobilienmakler, hatten aber, wie diese, im Idealfall keine Risiken mehr – die hatten sie im Markt abgeladen. Das führte im Übrigen dazu, dass immer weniger auf die Konditionen der ursprünglichen Kredite geachtet wurde. Die Risiken waren ja durchlaufende Posten. Von der anderen Seite her gesehen war die Kombination von relativ hoher Rendite und gutem Rating für die Käufer, also die Anleger, oft unwiderstehlich, vor allem für solche ohne gewinnträchtiges eigenes Geschäftsmodell (wie die Landesbanken oder die IKB).

Die „originate and distribute“-Strategie funktioniert nun nicht mehr so richtig, weil sich gezeigt hat, dass die Ratings falsch waren, dass die wirkliche Qualität dieser Wertpapiere viel schlechter war als behauptet, vor allem nachdem die Blase am US-Immobilienmarkt geplatzt war. Die Abschreibungen auf diese „toxic assets“ wollen kein Ende nehmen. Es wird vermutlich Jahre dauern, bis die Finanzinstitute ihr Eigenkapital wieder aufgefüllt haben. Das ist die eigentliche Krise – es handelt sich aber keineswegs um einen Zusammenbruch der Kreditmärkte. Und was das mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu tun haben könnte, ist beim besten Willen nicht zu erkennen.

Ein Faktor, der entscheidend zu den jetzigen Problemen beigetragen hat, war das jahrelang außerordentlich niedrige Zinsniveau. Die amerikanische Notenbank hatte vor nichts so Angst wie vor einer Wiederholung der Prozesse, die in Japan nach dem Platzen der Immobilien- und Aktienblasen zu beobachten waren. Die Vermeidung von Vermögensverlusten hatte oberste Priorität. Das fiel umso leichter, als die Inflation sowohl in den USA als auch global unter Kontrolle war. Das niedrige Zinsniveau war nicht so schlecht, wie es jetzt im Nachhinein manchmal dargestellt wird – es gab ja schließlich große Erfolge bei der Beschäftigung und beim Aufbau des Kapitalstocks -, es hat sich aber negativ auf die Spartätigkeit der privaten Haushalte ausgewirkt und insgesamt die Verschuldung auf die riskanteste Weise in die Höhe getrieben. Eine Folge war unter anderem das riesige Defizit in der amerikanischen Leistungsbilanz.

Da viele Länder ihren Wechselkurs aus Wettbewerbsgründen an den Dollar koppeln, waren sie gezwungen, an den Devisenmärkten zu intervenieren, also Dollars zu kaufen und ihre eigene Währung zu emittieren. Die Devisenreserven sind ebenso wie die Dollarforderungen im Privatbesitz von Nicht-Amerikanern jahrelang mit Raten von rund 20 Prozent gestiegen. Inzwischen ist die ganze Welt mit Dollars überschwemmt. Dadurch sinkt der Wechselkurs des Dollars. Auch da ist noch kein Ende abzusehen.

Ich glaube nicht, dass es sich lohnt, darüber zu streiten, ob das alles mit dem Abbau der Kapitalverkehrskontrollen zu tun hat. Zu einem (weitgehend) freien Welthandel gehört ein freier Kapitalverkehr. Er funktioniert nicht perfekt, wie wir wissen – denn warum fließt das Geld heutzutage in Einzelfällen gewissermaßen bergauf, von den armen Ländern wie China, Taiwan, Malaysia oder Russland in die USA? Meistens geht es ja in die richtige Richtung: Die Schweiz, Norwegen, Saudi-Arabien, Deutschland, Holland, Schweden sind (relativ zu ihrem Sozialprodukt) die größten Kapitalexporteure, und Ungarn, Polen, die Tschechische Republik, Türkei, Indien und Südafrika, also arme Länder, die wichtigsten Kapitalimporteure. Das Kapital wandert in der Regel an die Stellen, wo die höchste Rendite zu erzielen ist. Ohne freie Kapitalmärkte wäre die Verteilung der Weltersparnis suboptimal, das Wachstum von globalem Wohlstand und BIP geringer als jetzt. Dass das aus vielerlei Gründen nicht überall so richtig funktioniert, ist eine andere Sache.

Wichtig ist, wie die Notenbanken und Aufsichtsbehörden auf die zunehmende Integration der Kapitalmärkte reagieren sollten. Wir stellen gerade fest, dass das Verschwinden der nationalen Grenzen im Kapitalverkehr neue Arten der Kooperation erfordert.

Grundsätzlich sind die Probleme aber beherrschbar. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist eine Wiedereinführung der Kapitalverkehrskontrollen, oder ein neuer Protektionismus. Wollen wir die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung wirklich aufgeben? Unsere Wirtschaftsstruktur wäre dafür gar nicht mehr geeignet und wir hätten sofort die größten Strukturprobleme, einschließlich deutlich höherer Arbeitslosigkeit. Klar ist allerdings, dass diese Offenheit, die uns den Wohlstand gebracht hat, gleichzeitig auch ziemlich anstrengend ist. Ständig müssen wir darauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Bisher habe ich in dieser Beziehung aber noch keine Bedenken.