Ich gebe zu: Das niedrige und asymmetrische Inflationsziel der Europäischen Zentralbank ist mir seit 1998 ein Dorn im Auge und ich habe es schon oft kritisiert (hier, hier und hier). Doch nie war die Zeit günstiger! Niemals zuvor bin ich in Expertenkreisen damit auf solch offene Ohren gestoßen wie derzeit. Denn das Problem, manche nennen es Dilemma, der EZB ist offensichtlich. Die Globalisierung hat unverkennbar ihren Modus gewechselt: Von preisdämpfend zu inflationstreibend.
Die Hausse bei den Agrarrohstoffen ist nur der jüngste Beweis. Der Ölpreis ist schon seit 2005 kaum mehr zu halten. Und in China, der Quelle aller globalen Disinflation der vergangenen zehn Jahren, steigen nicht nur die Löhne rasant, auch der Wechselkurs zieht an.
In den vergangenen Tagen hatte ich mal wieder Tuchfühlung mit EZB- und Buba-Größen. Die Gespräche haben mich doch leicht verstört. Denn es scheint tatsächlich nicht gut auszusehen an der Inflationsfront. Die Inflationsprognosen der EZB, die im Juni herauskommen werden, kennen nur eine Richtung: up, up and away. Und selbst das Versprechen von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet auf der vergangenen Pressekonferenz in Frankfurt, in 18 Monaten werde die Inflation in Euroland wieder unter die zwei Prozent abtauchen, scheint äußerst mutig zu sein.
Aber kann man mit Zinserhöhungen oder einer zu restriktiven Geldpolitik und deshalb aufwertenden Währung gegen die Rohstoffpreiserhöhungen ankämpfen? Wie schaut denn der Transmissionsmechanismus aus? Fragen, die wir in den nächsten Wochen Trichet und den anderen Zentralbankratsmitgliedern stellen müssen. Meine Antwort: Beim Ölpreis könnte eine Rezession in Euroland, ausgelöst durch eine zu restriktive Geldpolitik der EZB, Erfolge zeitigen. Wenn Amerika und Euroland gleichzeitig schrumpfen, müsste der Ölpreis abstürzen. Aber die Preise für Weizen, Reis, Fleisch und Milch? Arbeitslose Menschen müssen zumindest essen. Hier kann die Geldpolitik nichts, aber auch gar nichts ausrichten.
Wie kamen Otmar Issing, der gerade sein langweiliges Buch über die Geburt des Euro vorgestellt hat, und Konsorten im Sommer 1998 eigentlich auf das Inflationsziel „unter zwei Prozent“; das dann 2003 als Deflation drohte, auf „unter, aber nahe zwei Prozent“ leicht verbessert worden ist? Dazu gibt’s im Buch leider nichts Neues. Issing erzählte mir kurz vor seinem Ausscheiden im Frühjahr 2006, dass die Inflation damals bei einem Prozent lag und wollte sagen, dass er unheimlich mutig gewesen sei, mit zwei Prozent so deutlich über die damals vorherrschende Inflationsrate hinaus gegangen zu sein. Das aber zeigt nur, dass selbst Issing kein lupenreines Kriterium kennt, mit dem man auf die optimale Inflation kommt. Ich glaube, Issing findet eine Inflation von null am besten, eine Inflation, die in einem dynamischen kapitalistischen System einfach systemwidrig ist.
Warum lag denn 1998 die Inflation so niedrig? Na? Der Ölpreis war in den freien Fall übergegangen und schrammte an der Zehn-Dollar-Marke entlang! Und diesem Preissturz haben wir heute das viel zu enge Inflationsziel zu verdanken.
Die harte D-Mark hat es zwischen 1949 und 1999 auf eine durchschnittliche Inflation von 2,8 Prozent gebracht. Reicht doch, oder?
Deshalb mein ceterum censeo: Die EZB muss sich ein modernes Inflationsziel geben: 2,5 Prozent plus/minus einem Prozentpunkt. Besser heute als morgen.