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Finanzmarktkeynesianismus à la USA

 

Von dem, was in den USA gerade geschieht, können europäische Anhänger des britischen Ökonomen John Maynard Keynes nur träumen: Die Amerikaner überlassen ihr Wirtschaftswachstum nicht mehr den Marktkräften, sondern greifen kräftig ein. Die Zentralbank Federal Reserve mit ihrem Chef Ben Bernanke senkt die Zinsen und nimmt eine höhere Inflation in Kauf, damit bloß die Wirtschaft nicht abschmiert. Gleichzeitig zahlt der Staat den finanzschwachen Bürgern Steuern zurück, damit sie weiterhin kräftig konsumieren.

Und das Merkwürdige: Würden die Deutschen so etwas machen, wären Unternehmer und Banker hierzulande zutiefst skeptisch. Noch mehr Schulden! Drohende Inflation! Das wären die ersten Reaktionen, wenn man die Möglichkeit einer keynesianischen Politik nur erwägen würde. In den USA aber jubeln die Wall Street-Banker über den eingeschlagenen Kurs. Ist die Welt so viel anders jenseits des Atlantiks? Sind die konservativen Republikaner George W. Bush und Ben Bernanke samt der Wall Street heimliche Sozialdemokraten?

Kaum. Die US-Regierung benutzt zwar keynesianische Instrumente zur Rettung der Wall Street, von der mittlerweile das ganz Land abhängig geworden ist, aber mit den politischen Zielen John Maynard Keynes‘ hat das wenig zu tun. So schreibt der Ökonom Thomas Palley in seinem Weblog, dass sich die US-Regierung mit ihrer Politik weit von den eigentlichen Zielen Keynes‘ entfernt hat, nämlich einen hohen Beschäftigungsgrad zu sichern und die Einkommensungleichheit zu verringern.

Zwar scheinen die USA im Vergleich zu vielen europäischen Ländern besser Ergebnisse am Arbeitsmarkt zu erzielen. Doch trotz der relativ kurzen Rezession 2001 hatte es vier Jahre gedauert, bis die Beschäftigung in der privaten Wirtschaft wieder auf dem Niveau war, das sie vor dem Abschwung hatte. Das haben die Amerikaner „Jobless Growth“, also Wachstum ohne Beschäftigungszuwachs, genannt.

Das Keynes’sche Ziel, die großen Einkommensunterschiede zu vermindern, ist allerdings glatt verfehlt. Die Ungleichheit in den USA ist so groß wie in keinem anderen OECD-Land. So beklagt der angesehene Princeton-Ökonom und Kolumnist Paul Krugman in seinem neuen Buch „Nach Bush“, dass die Produktivität des Durchschnittsarbeiters zwar um 50 Prozent gestiegen ist, das Medianeinkommen der Haushalte aber nur um 13 Prozent. Dass das Einkommen überhaupt gestiegen ist, kommt nur deshalb zustande, weil viele Haushalte nun Doppelverdienerhaushalte sind und insgesamt mehr Stunden als früher arbeiten.

Gleichzeitig, so Krugman in einem Artikel für das New York Times Magazine, ist das Durchschnittseinkommen der 100 best bezahlten Manager vom 39fachen des Einkommens eines durchschnittlichen Angestellten auf das 1000fache gestiegen. Die Ungleichheit in den USA ist mittlerweile wieder so groß wie im 19. Jahrhundert, meint Krugman.

Diese Entwicklung, so Thomas Palley, zeigt, dass es beim Einsatz keynesianischer Politikinstrumente in den USA offensichtlich nicht mehr um Beschäftigung und wachsende Reallöhne geht. Vielmehr gehe es darum, die Preise von Aktien und Immobilien möglichst hoch zu halten. Die USA seien in den letzten 25 Jahren zu abhängig von den Finanzmärkten geworden, schreibt er in einem Artikel, der sich kritisch mit der Ära Greenspan auseinander setzt.

Die große Bedeutung, die der Finanzsektor gewonnen hat, erklärt, so Palley, warum die Amerikaner trotz ihrer stagnierenden Einkommen so viel konsumieren: Sie können sich ihre Konsumwünsche auf den liberalisierten Finanzmärkte per Kredit finanzieren. Kein Wunder, dass sich die Schulden der US-Haushalte seit 1980 von 47 auf knapp 100 Prozent der jährlichen US-Wirtschaftsleistung verdoppelt haben. Zwar besitzen sie heute auch mehr Vermögen in Form von Aktien und Immobilien, nur neigen Immobilien- und Aktienpreise zu starken Schwankungen. Schulden müssen aber weiterhin bedient werden, egal welchen Wert das Vermögen gerade hat. Deswegen treffen die fallenden Immobilienpreise viele US Bürger jetzt sehr hart.

Die Fed muss in einer Finanzkrise – wie schon nach dem Aktiencrash 2000/2001 – aggressiv die Zinsen senken, um die Vermögenspreise aufrecht zu erhalten. Nur so kann sie die Wirtschaft stabilisieren, denn ein Großteil der amerikanischen Unter- und Mittelschicht hängt über ihre Häuser und privaten Pensionsfonds an den Finanzmärkten. Da will Palley dem Ex-Chef der amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, keinen Vorwurf machen. Dass es aber erst zu dieser Abhängigkeit der US-Volkswirtschaft von den Finanzmärkten gekommen ist, dafür macht Palley auch Greenspan verantwortlich. Besonders kritisiert er am ehemaligen Chef der Fed, dass dieser bei der Deregulierung und damit der Explosion des Finanzsektors geholfen hat. Die wichtigste Regulierung, die durch die Greenspan-Fed aufgeweicht und vom Kongress 1999 schließlich aufgehoben wurde, war der Glass-Steagall Act von 1933.

Das Gesetz sah eine strikte Trennung von Investment- und Geschäftsbanken vor. Geschäftsbanken durften nicht mehr in Hypotheken, Anleihen oder Aktien investieren, sondern sollten nur noch Kredite vergeben. Dadurch sollte verhindert werden, dass sie sich wie in der Großen Depression der 30er Jahre verspekulierten. Noch 1987 argumentierte der damalige Vorsitzende der Fed, Paul Volcker, dass Kreditgeber bei einer Rücknahme von Glass-Steagall rücksichtslos ihre Kreditstandards lockern und schlechte Kredite anbieten würden, um lukrative Wertpapiere vermarkten zu können.

Solche Argumente nahmen die Banker nicht ernst. Sie hielten dem entgegen, dass die amerikanische Wertpapieraufsicht SEC, gut informierte Investoren und professionelle Rating-Agenturen die Banken von außen kontrollieren würden. Sie würden sicherstellen, dass sich die Banken bei ihren Risiken nicht übernehmen. Die heutige Finanzkrise zeigt: Volcker hatte Recht, die Banker Unrecht.

Das Lobbying und direkte Wahlkampfspenden an Mitglieder des US-Kongress gegen den Glass-Steagall-Act hat die Finanzindustrie sich an die 300 Millionen US-$ kosten lassen. Die Lobby-Gelder der Banker waren gut angelegt. Die Profite des Finanzsektors haben sich seit 1989 versechsfacht. Ihr Anteil am Nationaleinkommen, der seit dem zweiten Weltkrieg relativ konstant bei 1,5 Prozent lag, ist von 1,6 auf zuletzt 3,9 Prozent gestiegen. Der Anteil an den von US Unternehmen gezahlten Dividenden erhöhte sich von 21,5 Prozent auf rund 38 Prozent. Kein Wunder, dass die Bezahlung der Investmentbanker explodiert ist.

Doch die Banker haben sich verspekuliert. Und weil mittlerweile die ganze amerikanische Volkswirtschaft in ihrem Boot sitzt, bleibt der Regierung nichts weiter übrig, als die Vermögenswerte und den US-Konsum durch keynesianische Maßnahmen aufrecht zu erhalten. Vielleicht hätten die Amerikaner jetzt weniger Probleme, wenn sie nicht dem Finanzmarkt die Finanzierung des Konsums überlassen hätten, sondern steigenden Reallöhnen einer gesunden Mittelschicht – so ganz, wie sich Keynes das gewünscht hätte.