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Von nun an sinken die Inflationsraten

 

Nach den ersten Resultaten aus einigen Bundesländern, die am Mittwoch bekannt gegeben wurden, lagen die deutschen Verbraucherpreise im August offenbar nur noch 3,1 Prozent über ihrem Vorjahreswert, nach 3,3 Prozent im Juli. Saisonbereinigt sind sie um 0,3 Prozent gegenüber Juli gefallen. Es ist allerdings noch eine Menge Druck in der Pipeline. Im Juli betrugen die Inflationsraten bei den Einfuhrpreisen und industriellen Erzeugerpreisen noch 9,3 Prozent und 8,9 Prozent. Das an die Verbraucher weiter zu geben, wird aber nicht leicht sein. Denn trotz der bis zuletzt gestiegen Beschäftigung, ist es um die Einkommen der privaten Haushalte insgesamt nicht gut bestellt.

Die realen Stundenlöhne sind nach wie vor rückläufig. Im zweiten Quartal übertrafen die Tariflöhne ihren Vorjahreswert um 1,7 Prozent, die Verbraucherpreise den ihren dagegen um 3,0 Prozent. Auch die Zuwachsrate des verfügbaren Einkommens der Haushalte (2,9 Prozent gg. Vj.), in der die positiven Beschäftigungseffekte bereits enthalten sind, war geringer als die Inflationsrate. Kein Wunder, dass der reale private Verbrauch im Frühjahrsquartal mit einer Verlaufsrate von 2,6 Prozent gesunken ist und damit zusammen mit dem Einbruch beim Bau der Hauptverantwortliche für den Rückgang des realen BIP um saisonbereinigt 0,5 Prozent gegenüber dem ersten Quartal war. (Die 0,5 Prozent entsprechen einer Verlaufsrate von 2,0 Prozent).

Das Hauptproblem war, dass die realen Einkommen durch den Terms-of-trade-Schock deutlich langsamer gestiegen waren als die Produktion. Seit dem Herbst 2007 hatten sich die Einfuhrpreise explosionsartig erhöht, während sich die Ausfuhrpreise im Vergleich dazu nur moderat entwickelt hatten. Im Juli war die Inflationsrate der Einfuhrpreise fast dreimal so hoch wie die der Ausfuhrpreise. Der Effekt auf die Einkommen von Haushalten und Unternehmen lässt sich unter anderem daran ablesen, dass der Preisindex des BIP, also der Produktion, im zweiten Quartal nur um 1,2 Prozent über seinem Vorjahreswert lag, der Deflator des privaten Verbrauchs, der wiedergibt, wofür das Geld ausgegeben wird, aber um 2,3 Prozent.

Bei der Verteilung des Volkseinkommens hatten die Arbeitnehmer im zweiten Quartal etwas die Nase vorn, waren also von den schlechteren Terms-of-trade weniger betroffen als die Unternehmen – ihr Einkommen hatte saisonbereinigt gegenüber dem Vorquartal um 0,8 Prozent zugenommen, das der Unternehmen war um 0,4 Prozent gesunken. Um das in die richtige Perspektive zu setzen, seit dem letzten konjunkturellen Tiefpunkt, dem zweiten Quartal 2003, ist das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 46,4 Prozent gestiegen, das Arbeitnehmerentgelt aber nur um 8,3 Prozent. In den nächsten ein oder zwei Jahren wird sich, wie das in einer Abschwungphase üblich ist, die Einkommensverteilung zugunsten des Faktors Arbeit verbessern. Es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass es sich dabei um eine Trendwende handeln könnte. Nach wie vor mangelt es weder bei uns noch global an Arbeitskräften. Solange die Grenzen offen gehalten werden, wird der Druck auf die Löhne bleiben. Der einzige Ausweg besteht aus Arbeitnehmersicht darin, alles zu tun, damit die Produktivität wieder stärker steigt. Das bedeutet ständige Weiterbildung und eine immer kapital- und wissensintensive Produktion. Darauf haben sie natürlich nur teilweise einen Einfluss.

Dass sich die finanzielle Lage der Verbraucher in der nahen Zukunft verbessern wird, kann ausgeschlossen werden. Wenn die Unternehmer, die vom Ifo-Institut zu ihrer Zukunft befragt werden, ihren Antworten Taten folgen lassen sollten, dürfte das Beschäftigungswunder der letzten Jahre erst einmal zu Ende sein. Bisher waren sie wohl noch der Meinung, dass die Konjunktur nur eine kleine Delle von den weltwirtschaftlichen Turbulenzen und dem starken Euro abbekommen würde. Daher hatten sie netto weiterhin Leute eingestellt.

Wie es aussieht, ist „Delle“ ein völlig unzureichender Ausdruck für das, was sich global und auch hierzulande anbahnt. Die vier größten Volkswirtschaften, die USA, der Euroraum, Japan und Großbritannien, stehen allesamt auf der Kippe zwischen Stagnation und Rezession. Auch in den dynamischen Schwellenländern hat sich die Lage in jüngster Zeit etwas eingetrübt. Nach dem rasanten Fall ihrer Aktienmärkte zu urteilen, müssten sie eigentlich ebenfalls vor einer Rezession stehen. Die Vermögenseffekte sind jedenfalls stark negativ. Langsam geht der Weltwirtschaft der Sprit aus.

JPMorgan schätzt, dass das reale BIP der OECD-Länder im jetzigen dritten Quartal gegenüber dem zweiten stagnieren wird: Zwar kommt es im Euroraum, in Japan und in Großbritannien zu weiteren Rückgängen, die USA jedoch expandieren trotz der Krisen im Wohnungsbau und im Finanzsektor mit einer Verlaufsrate von 0,5 Prozent. Sieht mir stark nach „home bias“ aus. In den „emerging markets“ hat sich das Wachstumstempo laut JPMorgan inzwischen auf nur noch 4,5 Prozent verlangsamt, was fast schon einer Rezession gleichkommt. Vor nicht allzu langer Zeit, im Jahr 2007, betrug die Zuwachsrate noch 7,5 Prozent (auch das war schon ein kräftiger Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren).

Für die künftige Inflation – und damit für die EZB – sind das allesamt gute Nachrichten. Seit Anfang Juli sinken die Ölpreise so rasch wie sie vorher gestiegen waren, und das trotz des stark erhöhten politischen Risikos durch die russische Invasion Georgiens. Auch die Preise für andere Rohstoffe haben eine fallende Tendenz, Nahrungsmittel eingeschlossen. Der Schweinezyklus ist in seiner ganzen Schönheit zu bewundern.

An den Märkten wird fest damit gerechnet, dass die Inflation auf viele Jahre hinaus sehr niedrig sein wird. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen nur 4,11 Prozent beträgt? In den USA kann sich die Treasury ihr Geld in diesem Laufzeitenbereich sogar für 3,78 Prozent leihen, gar nicht zu reden von der japanischen Regierung, der das Geld angesichts einer Rendite von 1,42 Prozent geradezu nachgeworfen wird. Entweder wird das Wachstum sehr niedrig sein, oder die Inflation, wahrscheinlich sogar beides. Die Märkte haben natürlich nicht immer recht, sie geben aber einen Eindruck davon, was die Anleger zur Zeit bewegt. Sie trauen den Regierungen mehr als den Unternehmen.

Im Übrigen wette ich mal, dass die deutsche Inflation bei den Verbraucherpreisen im Dezember bei 2 Prozent liegen wird (Vorjahresvergleich). Ich war versucht, 1,8 Prozent hinzuschreiben, bevor mir einfiel, dass ja die Preise für Gas, Strom und öffentlichen Nahverkehr mit zeitlicher Verzögerung an die Ölpreise angepasst werden und ein richtig starker Rückgang der Headline-Inflation trotz des günstigen Umfelds damit erst mal nicht so wahrscheinlich ist. Das sind die augenblicklich relevanten Zweitrundeneffekte. Trotzdem: Es ist nur eine Zeitfrage, bis wir wieder bei 1,8 Prozent angelangt sind.