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Des EZB-Beobachters Fata Morgana – ein Konferenzbericht

 

So langsam scheint sich Realismus auch am Aktienmarkt einzustellen. Das hat ein bisschen damit zu tun, dass auch die Notenbanker endlich beginnen, Klartext zu reden. Die EZB senkte am Donnerstag ihre Wachstumsprognosen. Gleichzeitig machte Präsident Jean-Claude Trichet klar, dass aus der deshalb eigentlich fälligen Zinssenkung nichts wird. Da mutet die mächtige Institution uns doch lieber eine richtige Rezession zu. Offiziell ist das immer noch eine „Delle“, wie sein Euphemismus für das lautet, was kommen wird. Es ist deprimierend.

Trotzdem hat mich die am Freitag nach der EZB-Sitzung folgende „ECB-Watchers-Conference“ nicht noch mehr deprimiert, sondern ein klein wenig aufgeheitert. Denn in einigen Vorträgen schimmerten, so schien mir, Ansätze durch, wie hinfort mit Finanzkrisen umzugehen, besser noch, wie sie zu vermeiden sind. Klar, man muss schon heftiger Optimist sein, um nach Vorträgen von Trichet und seinem Chef-Volkswirt Jürgen Stark ein silbernes Rändchen an der dunklen Wolke finster verstockter Notenbankpolitik zu erkennen. Stark sprach viel über Grundsätze und Prinzipien, wenig dagegen über deren Begründungen. Eine große Rolle spielt bei ihm das Prinzip der Trennung des Liquiditätsmanagements am Geldmarkt von der Zinssetzungspolitik also der geldpolitischen Ausrichtung („the policy stance“). Man versteht, warum ihm diese Trennung wichtig ist. Er kann damit Forderungen, oder wie Stark sich ausdrückte, „Sirenenklänge“ nach einer Zinssenkung besser abwehren. Elegant begrenzt er auch das Ziel der Geldmarktsteuerung darauf, nur den Tagesgeldsatz Eonia ganz nah an den von der Notenbank vorgegebenen Leitzins zu halten. Für Banken und Realwirtschaft ist allerdings von größerer Bedeutung, mit welchem Aufschlag auf den Leitzins Drei- und Sechsmonatsgeld gehandelt wird. Dass die Mehrheit EZB-Räte das auch so sieht, zeigt sich daran, dass die Notenbank viel größere Volumina länger laufender Gelder unter ihrer Bankenkundschaft verteilt hat.

Noch einen weiteren Grundsatz bemühte Stark: Die Finanzstabilität sei Sache der Marktteilnehmer, der Regulatoren und der Aufsicht. Die Zentralbanken könnten nur ganz bescheiden und wenig durch die Herstellung stabiler Preise zur Finanzstabilität beitragen. Auch dieser Grundsatz kommt mir wie eine opportunistische Entdeckung vor, die sich der aktuellen Lage verdankt. Hat nicht die EZB, genau so wie alle ihre Träger-Zentralbanken des Eurosystems, gerne und oft die wichtige Rolle der Notenbanken bei der Bankenaufsicht betont? Gerade diese Institutionen trügen schließlich mit ihrer tollen „makroprudenzielle Expertise“ zur Aufsicht bei. Wenn man das ernst nähme, könnten sich Stark und die EZB nicht mehr hinter dem eindimensionalen Auftrag der Inflationsbekämpfung verstecken, sondern müssten anerkennen, dass es entweder mit ihrer Expertise nicht weit her war oder dass sie fahrlässig darauf verzichtet haben, sie bei der Finanzaufsicht angemessen einzubringen.

Starks Direktoriumskollege Lorenzo Bini Smaghi empfahl allen Anwesenden den (von ihm verantworteten) Bericht der EZB über Finanzstabilität vom Juni 07 zu lesen. Dort stehe alles drin, was seitdem leider eingetreten ist. Da hat er nicht ganz unrecht. Nur, welche Konsequenzen hat die EZB damals daraus gezogen? War es mit der Veröffentlichung des Berichts getan? Wer hätte denn Konsequenzen daraus ziehen sollen? Und welche?

Thomas Mayer, Chefvolkswirt (Europa) bei der Deutschen Bank, brachte es mit seiner wohlwollend zart formulierten Kritik an der Notenbank auf den Punkt: Die EZB habe die Risiken für die Finanzstabilität im Eurogebiet durchaus erkannt, es jedoch versäumt, diese Erkenntnis in ihre Politik einzubringen. Zusammen mit Hans Genberg (von der Hongkong Monetary Authority) argumentierte Mayer schlüssig, dass Notenbanken die Entwicklung der Vermögenspreise genau beobachten sollten; noch besser, sie sollten möglichst schon die Ursachen für Preisblasen an den Vermögensmärkten festmachen, um sich dann rechtzeitig – analog zur rechtzeitigen Bekämpfung der Inflation auf den Gütermärkten -auch dagegen vorsichtig stemmen zu können. Leicht verwirrt war ich von Mayers Bemerkung, man brauche natürlich eine gute, funktionierende Finanzaufsicht. Der Satz ist zwar richtig. Eine solche Aufsicht im Argument allerdings vorauszusetzen, ist ein wenig realitätsfern. Denn dass es genau das nicht gibt, scheint mir zumindest evident.

Willem Buiter (London School of Economics) hatte schon einen Text mit dem Titel „Central Banks & Financial Crises“ ins Netz gestellt, aus dem er offenbar Auszüge beim Zentralbanker-Stelldichein im August in Jackson Hole vorgetragen hatte. Auch am Freitag befasste er sich in der Hauptsache mit den unterschiedlichen Methoden des Krisenmanagements der Zentralbanken. Eher nebenbei setzte er dabei zwei kluge Grundsätze in die Welt. Wenn sie befolgt würden, wäre der Weltfinanzmarkt ein sicherer Platz. Erstens meinte Buiter, sollte die Bildung von Preisblasen an den Vermögensmärkten weniger intensiv mit höheren Leitzinsen als mit regulatorischen Mitteln verhindert werden. Zweitens – und dafür verdient er besonderes Lob – sollten alle highly leveraged institutions ab einer gewissen Größenordnung ohne Ausnahme der Bankenaufsicht unterstellt werden. Was das bedeutet, fügte Buiter interpretierend auch gleich hinzu. Es werde der großen Mehrzahl der Hedge Fonds, Private Equity Fonds, Special Financial Vehicles und sonstiger außerbilanzieller Banktöchter das Lebenslicht ausgeblasen werden. Denn die Mehrzahl solcher Quasi-Banken verdanke ihre Existenz ohnehin der Flucht vor der Regulierung. Sonderbarerweise brüllte niemand im Saal protestierend auf.

Hoffnungsfroh stimmte mich auch Trichets Eingangsvortrag. Es gab da eine Passage, wo er den Preisanstieg am Markt für Rohöl mit der Tatsache in Zusammenhang brachte, dass er in eine Periode fiel, wo die Mehrheit der Marktteilnehmer nicht mehr die Produzenten/Verkäufer sondern branchenfremde Kaufinteressenten waren. Man könne also nicht ausschließen, dass der exorbitante Preisanstieg auf diese strukturelle Verschiebung zurückgehe. Er formulierte diese These so außerordentlich vorsichtig, dass ich das gar nicht wiedergeben kann. Eingangs hatte er Langfrist-Charts von 1980 bis heute an die Leinwand werfen lassen. Sie zeigten sinkende Inflationsraten, und dazu sinkende Risikoprämien bei Aktien, Bonds und Immobilien. Ich erinnere mich nicht, ob er sich zu irgendeiner Aussage dazu hinreißen ließ. Wahrscheinlich nicht, außer der, dass noch viel Forschungsarbeit zu leisten sei. Mich freuten die Charts, Trichet vor ihnen, seine vagen Andeutungen, die schöne, nahezu risikofrei erschienene Welt von vor der Krise könne vielleicht, unter Umständen etwas mit strukturellen Verschiebungen an den Finanzmärkten sowie der allzu erfolgreichen Notenbankpolitik der Vergangenheit zu tun haben.

Traumhafte Vorstellungen sind das, wo Notenbanker – und europäische zumal – das, was sie tun, selber in Frage stellen. Sicher eine Fata Morgana.