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Rettet Frankfurt, aber vergesst nicht Neukölln!

 

Die Bundesregierung und besonders Finanzminister Peer Steinbrück hat in den letzten Wochen eine 180-Drehung vollzogen. Als erstes war für Peer Steinbrück die Krise nur eine US-Krise, mit der wir wenig zu tun haben – das deutsche Wirtschaftswachstum würde davon nicht berührt. Plötzlich musste die private Hypo Real Estate gerettet werden. Den Haushalt wollte Steinbrück aber weiterhin bis 2011 ausgeglichen sehen. Damit ist es jetzt endgültig vorbei. Die Bundesregierung stellt sofort hundert Milliarden Euro zur Verfügung, um eventuell Anteile an Banken zu kaufen und für deren Interbankenkredite zu bürgen, weitere 400 Milliarden Euro stehen bereit. Wo die Bundesregierung jetzt schon so weit beim Abpinseln amerikanischer Finanzrettungspolitik gegangen ist, sollte die Bundesregierung auf ihren Minister Glos hören und eines nicht vergessen: Da draußen gibt es nicht nur Banken, sondern auch verunsicherte Arbeitnehmer und eine sich verschlechternde Wirtschaft, die dringend Unterstützung braucht. Und zwar ganz, ganz schnell!

Die Gemeinschaftsprognose der Wirtschaftsforschungsinstitute geht davon aus, dass das deutsche Wachstum 2009 bestenfalls noch bei 0,2 Prozent liegen wird – ein Rückgang ist nicht auszuschließen. Und – entgegen den Analysen Peer Steinbrücks – nicht nur wegen der Finanzkrise. Die deutsche Wirtschaftsschwäche war schon lange absehbar, das starke Wachstum von vorraussichtlicht 1,8 Prozent in diesem Jahr ist vor allem das Ergebnis von Sondereffekten im ersten Quartal. Tatsächlich schrumpft die Wirtschaft schon jetzt. Und zwar wegen Ölpreis, Wechselkurs und nachlassender Weltkonjunktur, die Finanzkrise kommt noch verstärkend dazu.

Deswegen brauchen wir ein Konjunkturprogramm, das gezielt auf mehr staatliche Investitionen und die Entlastungen der unteren Einkommen gerichtet ist. Gleich werden die Verfechter der reinen Lehre aufschreien: Nein, das sei doch nur ein Strohfeuer, siehe siebziger Jahre, hat alles und kann alles gar nicht funktionieren, nur höhere Schulden etc. Die Bestimmtheit, mit der besonders viele Politiker diese Weisheiten voranbringen, ist aber verfehlt.

Konjunkturprogramme, in denen der Staat entweder die Steuern senkt oder die Ausgaben steigert und das durch Schulden finanziert, können durchaus funktionieren – wenn man sie denn richtig angeht. Für die USA haben verschiedene Studien ergeben, dass besonders schuldenfinanzierte Steuersenkungen einen anhaltenden Effekt auf Konsum und Produktion haben. Steuerchecks, die der Fiskus 2001 an besonders arme Haushalte geschickt hatte, hatten großen Erfolg. Die Haushalte gaben das Geld sofort aus und stützten die Volkswirtschaft. Deswegen hat die US-Regierung auch in diesem konjunkturell schwierigen Jahr wieder Steuerchecks verschickt. Außer dass sie gezielt armen und damit ausgabewilligen Haushalten zukommen, haben die Schecks den Vorteil, dass sie zeitlich begrenzt sind. Das heißt, der Staatshaushalts wird nur einmal belastet, so dass langfristig keine neuen Schulden aufgenommen werden.

Wie sieht es in Deutschland aus? Einer der ersten Befunde: Obwohl so viele Menschen Stein und Bein schwören, dass schuldenfinanzierte Staatsausgaben immer nur ein Strohfeuer entfachen können, gibt es nur sehr wenige empirische Studien, die das tatsächlich untersuchen. Der Ökonom Michal Roos von der Universität Dortmund hat die Hand voll Studien, die es gibt, zusammengetragen und ausgewertet. Die Studien kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Manche sehen sehr wohl positive Effekte auf Konsum und Wachstum, manche konstatieren sogar einen Rückgang beider Größen, wenn der Staat seine Ausgaben erhöht oder seine Steuern senkt. Alle sehen aber nur einen kleinen Effekt staatlicher Konjunkturpolitik. Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Ergebnissen?

Vielleicht deshalb, weil es in Deutschland so viel aktive Fiskalpolitik gar nicht gab. Und wenn es sie gab, dann wurde sie von der Zentralbank abgewürgt.

Weil die Deutschen ihr Staatsdefizit lieber nicht steigen sehen, schwächen sie jeden expansiven Impuls lieber durch eine sogenannte Gegenfinanzierung ab. Zu diesem Ergebnis kommen Michael Plötscher, Tobias Seidelmann und Frank Westermann in einer Ifo-Studie von 2004. Sie zeigen, dass die Bundeshaushälter alle Ausgabenerhöhungen oder Steuersenkungen sofort gegenfinanzieren. Würden sie das nicht tun, wäre die Wirkung der Fiskalpolitik wahrscheinlich sehr viel größer, schreiben die Ökonomen. Deswegen kommt der Sachverständigenrat in seinem Gutachten von 2005 auch zum Schluss, dass es den Politikern bei der Haushaltsplanung scheinbar gar nicht um die Beeinflussung der Konjunktur gegangen ist, sondern andere finanzpolitische Ziele im Vordergrund standen. Im Gegensatz dazu war die Fiskalpolitik in den USA sehr viel mehr auf die Stützung der Konjunktur ausgerichtet, wie der Internationale Währungsfonds in seinem aktuellen World Economic Outlook schreibt. Kein Wunder, dass man dort auch mehr Effekte dieser Politik auf das Wachstum feststellen kann.

Ein zweites großes Problem ist, dass Fiskalpolitik nicht allein steht. Wenn die Zentralbank ihre Zinsen erhöht, würgt sie die positiven Wachstumswirkungen aktiver Fiskalpolitik ab. So geschehen in Deutschland in den frühen 70er und frühen 90er Jahren. Beides mal folgte auf die Erhöhung der Staatsausgaben eine drastische Zinserhöhung der Zentralbank. Diesen Effekt stellt auch der Ökonom Roberto Perotti in seiner Studie über die Fiskalpolitik in Deutschland fest: Hier haben Staatsausgabenerhöhungen zu Erhöhungen der Zinsen geführt und damit den expansiven Effekt abgeschwächt.

Natürlich, falsch gemacht führt aktive Fiskalpolitik zu höheren Schulden – deswegen muss man sie generell zeitlich begrenzen und wirklich nur im Abschwung einsetzen. Die erste Instanz zur Stützung der Konjunktur sollte weiterhin die Zentralbank sein. Aber daraus kann man nicht ableiten, dass Fiskalpolitik gar nicht mehr einsetzbar ist. Besonders nicht im jetzigen Abschwung: Die Lage der Weltwirtschaft, von der Deutschland besonders stark abhängt, verschlechtert sich zusehend; die öffentliche Infrastruktur verfällt und die Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind in großer Gefahr. Der Fiskus darf die EZB jetzt nicht allein lassen und muss auch gegensteuern, und zwar so schnell wie möglich. Dass Angela Merkel und Peer Steinbrück das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts 2011 aufgegeben haben, ist ein Schritt in die richte Richtung. In den USA sagen man, dass der Staat nicht nur der Wall-Street, sondern auch der Main-Street beistehen soll. In Deutschland sollte man sagen: Rettet Frankfurt, aber vergesst nicht Neukölln!