Der Altweibersommer geht in diesen Tagen zu Ende, der Winter steht vor der Tür, und auch konjunkturell wird es von nun an zunehmend kälter. Die Frühindikatoren sprechen eine klare Sprache: Der jüngste Einbruch des Ifo-Geschäftsklimaindex auf Rezessionsniveau war ein Indiz, der Rückgang der realen Auftragseingänge um 7,3 Prozent (annualisiert) in den sechs Monaten bis August ein anderes. Trotz schwachem Euro gehen die Auftragseingänge rapide zurück. Im Euroland nimmt die Arbeitslosigkeit bereits seit März Monat für Monat zu, auch wenn die Quote noch unverändert beim zyklischen Tief von 7,3 Prozent liegt. Deutschland konnte sich wegen seiner strukturellen Vorteile eine Zeitlang in einer Art „splendid isolation“ wähnen, damit ist es jetzt aber vorbei.
Die Finanzkrise greift inzwischen auf die Realwirtschaft über. Allein der Rückgang des DAX um 44 Prozent in diesem Jahr bedeutet einen Buchverlust von €436 Mrd. Er entspricht 18 Prozent des deutschen BIP und 23 Prozent des Volkseinkommens. Da die Immobilienpreise stagnieren, wenn nicht sogar fallen, wird es insgesamt zu massiven negativen Vermögenseffekten kommen. In den europäischen Nachbarländern dürfte es eher noch schlimmer aussehen. Die Leute fühlen sich ärmer und werden versuchen, ihre finanzielle Situation durch mehr Sparen zu verbessern. Wenn aber alle auf einmal anfangen weniger auszugeben, braucht auch nicht so viel produziert zu werden. Daraus kann sich leicht ein Teufelskreis entwickeln.
Für die Banken bedeutete die Finanzkrise bisher, dass sie vor allem bei amerikanischen und britischen Asset Backed Securities (ABS) Abschreibungen vornehmen mussten. Da sich ihre Bilanzrelationen durch diese Verluste verschlechtert hatten, mussten sie das Kapital erhöhen, bei der Kreditvergabe strengere Maßstäbe anlegen oder Aktiva verkaufen. All das hat bereits die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gedämpft. Nun kommen die Effekte der beginnenden Rezession hinzu: Die Qualität des Kreditportefeuilles wird sich zunehmend verschlechtern, weil die Haushalte wegen der kommenden Probleme am Arbeitsmarkt und der rückläufigen Zinseinnahmen immer mehr in Zahlungsschwierigkeiten kommen und zudem auch die Gewinne und der Cash Flow der Unternehmen zurückgehen. Das stellt die Banken vor neue ernste Bilanzprobleme, die sie zu neuen Konsolidierungsmaßnahmen zwingen. Der gesamtwirtschaftliche Abwärtstrend verstärkt sich.
Damit die Banken sich erholen können und der Transmissionsmechanismus zwischen Geldwirtschaft und Realwirtschaft wieder in Schwung kommt, muss die EZB dafür sorgen, dass die Zinsstrukturkurve möglichst steil ist. Das bedeutet, dass der Refinanzierungssatz von jetzt 3,75 Prozent innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne auf 2 Prozent oder weniger gesenkt werden muss. Größere Schritte als gewöhnlich sind vor allem deshalb erforderlich, weil der Geldmarkt immer noch verstopft ist: Der zentral wichtige 3-Monats-Euriborsatz liegt bei 4,91 Prozent und damit um nicht weniger als 116 Basispunkte statt der sonst üblichen 20 Basispunkte über dem Notenbanksatz. Um den Euribor beispielsweise unter die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen zu drücken, müsste die EZB die Zinsen noch mal mindestens 125 Basispunkte zurückfahren.
Politisch wird das kein Problem sein, weil jetzt auch die Inflationsraten bei den Verbraucherpreisen rückläufig sind. So wie die Hausse der Rohstoffpreise die Headline-Inflation Eurolands auf 4 Prozent getrieben hatte, wird die gegenwärtige Baisse die Inflationsraten in kurzer Zeit in Richtung 2 Prozent drücken. Dass die Lohninflation schon wieder im Abklingen ist, kaum dass sie sich etwas beschleunigt hatte, ist wohl auch ziemlich sicher.
Niedrige Zinsen sind wichtig, sie reichen in der heutigen Konstellation aber nicht. Die Reparatur der Bilanzen von überschuldeten Banken, anderen Unternehmen und Haushalten braucht, wie wir es in Japan nach dem Platzen der Blasen an den Märkten für Immobilien und Aktien erlebt haben, selbst bei Nullzinsen viele Jahre; viele Jahre, in denen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht ausreicht, das Produktionspotential auszulasten. Wir stehen vor einer dauerhaften Schwäche der privaten Nachfrage.
Damit die Kapazitäten am Arbeitsmarkt und in den Produktionsunternehmen nicht zu lange unterausgelastet bleiben und auf diese Weise Ressourcen verschwendet werden, wird der Staat nicht anders können als die Lücke zu füllen. Man mag es Konjunkturprogramm nennen, Infrastrukturprogramm oder Umweltprogramm, es muss was geschehen.
Es fehlt ja nicht an sinnvollen Aufgaben. Nicht alles, was der Staat macht, ist a priori verschwendetes Geld. Man sehe sich nur den Zustand der Bahn, der Straßen oder Schulen an. Wollen wir nicht endlich auch mal richtiges Geld in die Hand nehmen, um die Ausbildung und Fortbildung auf das Niveau anzuheben, das in einem rohstoffarmen und alternden Land entscheidend für den künftigen Wohlstand ist? Wichtig ist natürlich, dass die Anreizsysteme stimmen. Eine Senkung der Einkommenssteuer bringt relativ wenig. Vor allem sollte es keine neue Subventionierung der Pendler und keine Verminderung des Grenzsteuersatzes geben.
Ich würde, wenn es denn eine Steuersenkung sein muss, die Mineralölsteuer und die Steuern auf den Energieverbrauch allgemein anheben (da die Ölpreise so schön gesunken sind) und dafür die Mehrwertsteuer senken. Das sollte nicht aufkommensneutral sein, sondern vor allem den Verbrauchern mit einer hohen Konsumquote netto eine Entlastung bringen. Wir stehen unter mehr Zeitdruck, als wir das vielleicht wahrhaben wollen. So wie die Dinge stehen, steuern wir – genauso wie der Rest der Welt – auf eine tiefe Rezession, wenn nicht sogar auf eine Depression zu. Wohin das führen kann, haben wir in den dreißiger Jahren erlebt.