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Nullzins und dann?

 

In vielen Kommentaren zur Zinssenkung der EZB am gestrigen Donnerstag wurde darauf verwiesen, dass der Tagesgeldzins dadurch schon stark in die Nähe von Null rückt. Die Verzinsung der Einlagefazilität der EZB, über die die Banken überschüssige Liquidität über Nacht bei der EZB parken können, ist nämlich mit der Senkung des Satzes für Hauptrefinanzierungsgeschäfte um einen halben Punkt auf 1,5 Prozent auf nun nur noch 0,5 Prozent abgesenkt. Und sonderbarerweise wird Tagesgeld in diesen Krisenzeiten nicht mehr um oder knapp über dem Hauptrefinanzierungssatz sondern knapp über dem um einen Punkt darunter liegenden Satz der Einlagefazilität gehandelt – sofern es überhaupt gehandelt wird.

Dieser Nachsatz ist der Punkt: In normalen Zeiten ist der Tagesgeldzinssatz der Einstandspreis der Banken für Geld. Aber die Zeiten sind alles andere als normal. Nach wie vor funktioniert der Geldmarkt schlecht. Noch gehen die Banken, wenn sie Geld brauchen nicht erst an den Markt sondern wenden sich direkt an die Zentralbank, die ihnen zum festgelegten Leitzins so viel gibt, wie sie gerade brauchen. Wer Geld übrig hat, schiebt es ins Zwischenlager der niedrig verzinslichen Einlagefazilität. Wenn er auf dem Weg dorthin zufällig einen Banker trifft, der über Nacht noch etwas Geld braucht, so tauschen die beiden ein paar Basispunkte über dem Zins der Einlagenfazilität ihre Bedürfnisse aus. Am Schluss stellt die Notenbank fest, dass der Eonia (der registrierte Marktsatz für Tagesgeld) auf diesem niedrigen Niveau lag.

EZB Zinssätze und Tagesgeldsatz

Mit dem tatsächlichen Einstandspreis für die Masse ihres Geldes hat dieser Tagesgeldsatz aber nichts zu tun. Da die Banken alle künstlich ernährt werden und am Tropf der EZB hängen, sollte man auch den offiziellen Refinanzierungssatz als den für die Banken relevanten Zins nehmen.

Der ist nun vernünftiger Weise langsam da, wo er in einer abstürzenden Wirtschaft hingehört: so niedrig wie möglich. Es ist auch nicht zu verstehen, warum die Notenbank zögert, gleich einen Nullzins zu verordnen. Die Lage ist so offensichtlich verheerend, dass sie die Banken und Sparkassen, die noch Kreditgeschäft betreiben, mit einer höheren Zinsdifferenz ruhig ein wenig aufpäppeln kann. Dass dann ihre Geldmarktsteuerung über Mindestreservepflicht und Verzinsung nicht mehr funktioniert, muss sie nicht fürchten. Dieses System hat schon lange nur noch formal so getan, als werde Geld als knappes Gut behandelt. Das ist es für die Banken, die ein paar Sicherheiten (oder auch Unsicherheiten) zur Hinterlegung haben, schon länger nicht. Wie gesagt, die Banken bekommen ohnehin so viel, wie sie wollen.

Die Kreditnachfrage wird auch durch einen noch so niedrigen EZB-Zins nicht an Fahrt gewinnen. Soll die Zentralbank nun wie die amerikanische, britische und japanische ihre Kredite gleich bei den Nichtbanken unterbringen und deren Commercial Paper (CP) kaufen? So toll ist diese Idee nicht. Im Eurogebiet hat nur eine Minderheit von Großunternehmen CP-Programme. Deren laufende kurzfristige Finanzierungskosten etwas abzusenken, scheint wenig dringlich. In den Fällen, wo Unternehmen Finanzierungsprobleme haben, sollten sie sich ruhig in der Art der frechen General-Motors-Manager an die Staaten wenden. Dort gibt es wenigstens parlamentarisch gewählte Regierungen, die ihre Entscheidungen für oder gegen ein bestimmtes Unternehmen vor dem Wähler verantworten müssen.

Viel vernünftiger wäre es, wenn die EZB in großem Stil die Ausgabenprogramme der Regierungen finanzieren würde. Nur durch massive Ausgaben der Staatshaushalte ist schließlich eine Ausweitung der Konsumnachfrage zu erreichen. Dazu müssten sie die Sätze der Sozialhilfe, die Renten und die Gehälter im öffentlichen Dienst anheben. Die Notenbank schließlich hat ein Interesse daran, die Konsumnachfrage zu erhöhen, weil sie ein weiteres Abrutschen des Preisniveaus auf der Konsumentenebene verhindern will.

Klar, der EZB-Vertrag lässt dergleichen vernünftige Dinge nicht zu. Die EU-Regierungen müssten den Vertrag schon ändern und der Notenbank explizit den Auftrag erteilen, für ein Sonderprogramm Nachfragestützung das Plus an Staatsschulden auf ihre Bücher zu nehmen. Das werden sie nicht tun, und so werden wir eine große, furchtbare Depression auszubaden haben.