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Industrieproduktion hebt ab – vom Kellerboden

 

Nur auf den ersten Blick waren die heutigen Zahlen für die Industrieproduktion vom September sensationell (+2,7% m/m), auf den zweiten Blick wird schnell klar, dass sie nun endlich, und auch nur teilweise, auf die Auftragseingänge reagiert haben, die bereits seit März im Aufwind sind: Deren Verlaufsrate betrug im Zeitraum Februar bis September 2009 real und saisonbereinigt nämlich nicht weniger als +34,6 Prozent, während die vergleichbare Zahl für die Produktion bei lediglich +12,0 Prozent lag.

Um die hohen Zuwachsraten in die richtige Perspektive zu rücken: Die Auftragseingänge waren im September immer noch um 13,0 Prozent niedriger als vor einem Jahr und um 26,1 Prozent unter ihrem Höchststand vom November 2007. Da gibt es noch eine Menge aufzuholen. Das gilt auch für die Produktion. Trotz des scharfen Anstiegs im August und September errechnet sich gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang um 12,9 Prozent von 15,8 Prozent gegenüber dem zyklischen Hoch von Februar 2008. Die Outputlücke, die Differenz zwischen dem, was tatsächlich produziert wird und dem was bei Vollauslastung produziert werden könnte, ist nach wie vor riesig. Sie beträgt etwa 20 Prozent.

Immerhin bewegen sich die Zahlen in die richtige Richtung. Mein Mitblogger Uwe Richter hatte vor einem Monat geschätzt, dass das reale Sozialprodukt Deutschlands im dritten Quartal gegenüber dem zweiten Quartal mit einer Verlaufsrate von rund 5 Prozent zugelegt haben dürfte. Er war damit deutlich optimistischer als die Konkurrenz in den Instituten und Banken. Chapeau! – es wird mit großer Wahrscheinlichkeit so kommen wie er es vermutet hatte (die erste offizielle Schätzung wird am 13. November veröffentlicht).

Es gibt aber keinen Anlass zur Euphorie: Das BIP, die gesamtwirtschaftliche Produktion, bewegt sich weiterhin auf äußerst niedrigem Niveau (-4,4 Prozent gegen Vorjahr, -6,9 Prozent gegenüber dem Produktionspotenzial). Selbst wenn es im vierten Quartal noch einmal einen kräftigen Zuwachs geben sollte – was die Frühindikatoren und der Arbeitsmarkt nahe legen -, bleiben die Kapazitäten deutlich unterausgelastet. Der Einbruch, zu dem es in den beiden letzten Winterquartalen gekommen war, lässt sich nicht so schnell wettmachen.

Grafik: Industrieproduktion und Ifo Geschäftserwartungen

Insgesamt entwickelt sich die Konjunktur jedoch viel besser als noch vor Kurzem befürchtet. Ich muss auch sagen, dass sich die Personalpolitik der Unternehmen, mit Hilfe von Kurzarbeit Entlassungen so weit es geht zu vermeiden, als richtig erwiesen hat – bisher jedenfalls. Ein wichtiger Nebeneffekt dieser Strategie war übrigens, dass die Inlandsnachfrage einigermaßen stabilisiert werden konnte. Wenn der Aufwärtstrend bei den Auftragseingängen anhält, werden zudem die Leute, die in den kommenden Monaten noch ihren Job verlieren, ziemlich leicht einen neuen finden.

Wird der Trend anhalten? Auf Sicht von zwei oder drei Quartalen bin ich optimistisch. So lange tragen noch die wirtschaftspolitischen Maßnahmen und die Wiederauffüllung der Lagerbestände. Es sieht auch danach aus, dass der Welthandel wieder Fahrt aufnimmt und dass die Abhängigkeit der globalen Konjunktur vom amerikanischen Konsumenten doch nicht so groß ist wie gedacht. Die Schwellenländer haben so hohe Sparquoten und so großen Nachholbedarf bei Konsum und Investitionen, dass sie erstaunlich positiv auf keynesianische Stimuli reagieren und offenbar den Sprung zu einem sich selbst tragenden Aufschwung schaffen. Erstmals könnte ein „Decoupling“ gelingen.

Für Deutschland stehen daher die Ampeln im Außenhandel auf Grün, während bei der Inlandsnachfrage die neuerdings wieder leicht steigende Beschäftigung sowie die kräftige Verbesserung der Terms of Trade (also der Kaufkraft – durch den starken Euro) stabilisierend wirken. Ich kann es fast nicht glauben, und ich weise daher vorsichtshalber auf die großen Risiken hin, die es nach wie vor gibt: die rückläufige Kreditvergabe an den privaten Sektor, den neuen Anstieg der Rohstoffpreise sowie die Gefahr, dass sich in den Schwellenländern schon wieder Asset Price Bubbles entwickeln, die irgendwann mal definitionsgemäß platzen und uns dann in den Abgrund ziehen werden, aus dem wir gerade mal so eben begonnen haben hervorzuklettern. Wenn ich mir allerdings die Kurs-Gewinnverhältnisse der chinesischen oder indischen Aktienindices anschaue – 23,4 und 19,4 für Schanghai und Mumbai, auf der Basis der erwarteten Gewinne für 2009 -, würde ich eher folgern, dass wir es bislang noch nicht mit richtig großen Blasen zu tun haben und die Weltwirtschaft von dieser Seite her nicht sehr gefährdet ist.

Klar ist allerdings, dass die Outputlücke, so groß sie immer noch ist, sowohl in Deutschland als auch im Euroland insgesamt zur Zeit schrumpft und damit der Zeitpunkt näher rückt, an dem die EZB die Zügel anziehen wird. Wenn der Euro nicht so fest wäre! Er sorgt dafür, dass die Inflation unter Kontrolle bleiben wird und eine dauerhafte Deflation immer noch eine realistische Chance hat. Der EZB sind dadurch glücklicherweise die Hände gebunden. Erst wenn es beim Wechselkurs eine Wende geben sollte und die Konjunktur gleichzeitig genügend robust erscheint, ist an höhere Zinsen zu denken. Woran lässt sich festmachen, dass die Konjunktur robust ist? Vor allem an stagnierenden oder, besser noch, sinkenden Arbeitslosenquoten im Euroraum. Bisher steigen diese jedoch weiterhin Monat für Monat und werden bald die 10-Prozentmarke erreicht haben. In Deutschland sieht es unter den gegebenen Umständen ganz gut aus, bei unseren Nachbarn aber keineswegs. Das schließt eine Wende in der Wirtschaftspolitik für’s Erste aus.