Die Debatte, die Olivier Blanchard angestoßen hat, wird in Deutschland viel zu engstirnig geführt. Blanchard, der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds und Autor des wichtigsten weltweiten Standardlehrbuchs für Makro, hat es mit seinem kleinen Paper binnen Tagen geschafft, die Schlagzeilen zu beherrschen. Rethinking Macroeconomic Policy heißen die 17 Seiten, die es in sich haben. Sie sind für mich der klare Beweis für einen Paradigmenwechsel in der Volkswirtschaftslehre: Weg von der Überlegenheit des freien Marktes, hin zum Primat der Politik.
Während hierzulande vor allem die Erhöhung des Inflationsziels negativ kommentiert wird, so vom Bundesbankpräsidenten höchstpersönlich, oder auch – wen wundert‘s – vom EZB-Chefvolkswirten Jürgen Stark, liegt die eigentliche Sprengkraft in der Gesamtschau seiner Vorschläge. So habe ich in der Rundschau in einem ausgeschlafenen Stück argumentiert.
Die Animal Spirits von John Maynard Keynes, die Gefühlsschwankungen der Menschen, schimmern durch alle diese Vorschläge durch: Puffer für den Staat, einmal in der Fiskalpolitik und einmal in der Geldpolitik, um den irrationalen Schwankungen der Märkte etwas entgegensetzen zu können. Puffer auch in der Regulierung, dort heißen sie dann Kapitalverkehrskontrollen oder Eingriffe in den Devisenmarkt. Wenn ich das richtig einschätze, dann geht es in der wissenschaftlichen Theorie wieder einmal weg von der Neoklassik. Zum Glück! Denn diese Theorie ist für viel Unheil verantwortlich. Die Märkte tendieren von selbst ins Gleichgewicht, dass ich nicht lache!
Aber das Pendel schlägt nicht zurück zum mechanistischen Keynes wie er uns in der neoklassischen Synthese begegnet, sondern zu einem Keynes, der nur bei den versprengten Postkeynesianern eine Heimstatt hatte. So ungefähr die Essenz eines Vortrages, den ich Ende Februar in Frankfurt in der Polytechnischen Gesellschaft gehalten haben.
Mein Kollege von der FAZ, Patrick Welter, sieht das – wen wundert’s – ganz anders: Er schrieb Ende vergangener Woche in einer Kritik an Blanchard, der seiner Meinung nach besser geschwiegen hätte, folgende unglaubliche Sentenz: „Freie Kapitalmärkte dienen nicht nur dazu, dass das Kapital an den Ort seiner besten Verwendung wandern kann. Sie halten mehr noch die Regierungen zu einer ordentlichen Wirtschaftspolitik an. … Kapitalverkehrskontrollen, einmal zugelassen, dehnen sich aus wie Ölflecken auf dem Wasser und hemmen die Integration auch der globalen Gütermärkte.“
Diese Behauptungen waren vor der Krise schon gewagt. Heute erscheinen sie einfach nur noch surreal.
Vive Monsieur Blanchard!