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Für Fortgeschrittene

 

Ganz allmählich scheint sich der Blick auf das Wesen Kapitalismus zu ändern. Selbst in Deutschland. Das ist sensationell. Jetzt hat sogar die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die gerne so tut, als handele es sich dabei um eine Tauschwirtschaft und nicht um eine Geldwirtschaft, ihren Lesern erklärt, dass ein Land nicht permanent Überschüsse aufhäufen kann. Und sie haben Wolfgang Stützel und seiner Saldenmechanik eine kleine Referenz erwiesen (leider online nicht verfügbar). Wahnsinn. Und weil ich deshalb gerade so gut gelaunt bin, sollten wir uns jetzt an den Kapitalismus für Fortgeschrittene wagen. An das Geheimnis dieses auf Schulden basierenden Geldsystems. Es lautet: Der Gläubiger muss es seinem Schuldner ermöglichen, die Schulden zurück zu zahlen. Er muss ihn zahlungsfähig halten.

So eine Frage tritt in einer Tauschwirtschaft, wo Person A seine Äpfelchen gegen die Birnchen der Person B tauscht, natürlich nicht auf. Und leider befindet sich das herrschende Paradigma der Volkswirtschaft noch immer auf diesem debilen Niveau. Aber gut, das ist eine andere Debatte. In der Geldwirtschaft dagegen kann es Überschüsse und Defizite geben. Und dann stellt sich rasch die Frage, wer finanziert eigentlich die Defizite? Die Antwort: Natürlich der, der die Überschüsse anhäuft. Und schon wird klar, wo das Dilemma dauerhafter Überschüsse liegt: Der Schuldner wird irgendwann seine Schulden nicht zurück zahlen können. Also muss die Schuld in irgendeiner Weise reduziert werden.

Bleiben wir, weil es so schön ist, beim Beispiel Außenhandel, Deutschland/Griechenland oder China/USA. In beiden Fällen sollte klar sein, dass der Exporteur in realen Terms nie das zurück erhalten wird, wofür er die Güter einst verkaufte. Einfach gelagert ist der Fall China/USA. Der Yuan wertet auf und die Amis entschulden sich gegenüber China über wertlosere Dollar. (By the way: In den 60er Jahren war ein Dollar vier Mark wert, heute sind es etwas mehr als 1,50. Auch die Deutschen haben den Gegenwert für ihre Exporte in die USA nicht zurück bekommen.) Bei dem Pärchen Deutschland/Griechenland gibt es, weil es die Option Abwertung nicht gibt, mehrere spannende Möglichkeiten.

Die eine, die harmloseste, lautet: Umverteilung. Die EU erhöht die Fördertöpfe, Deutschland zahlt ein paar Milliarden Euro mehr rein, und die Griechen können ihre Schulden weiter bezahlen (das schlägt Ulrich Kater, Deka-Chefvolkswirt, in der FR vor).

Etwas weniger harmlos und technisch gar nicht so einfach zu realisieren: Euroland setzt auf hohe Inflation und zaubert die Staatsschulden einfach weg. Die krassere Alternative lautet Staatsbankrott. Die Griechen erlassen ein Moratorium und zahlen nur noch sagen wir 20 Prozent zurück. Dann bekommen die deutschen Banken und Lebensversicherer ein paar Probleme und vielleicht muss dann der deutsche Steuerzahler die Banken wieder retten. Interessant ist noch eine Variante, mit der sich alle großen Staaten entschulden könnten: Der Währungsschnitt. Jedes Land streicht eine Null, dann sind die Staaten saniert und die Halter von Staatsanleihen angeschmiert.

Auf eine dieser fünf Varianten oder eine Mixform wird es hinauslaufen. Das ist sicher. Immer werden die Defizitländer, die Schuldner, profitieren und die Überschussländer, die Sparer, verlieren. Warum das so sein muss: Wie oben schon geschrieben, weil die Schuldner zahlungsfähig bleiben müssen.

Gibt es nicht auch eine „marktmäßige“ Variante, mögen jetzt die Anfänger in Sachen Kapitalismus fragen? Die gibt es gewiss. Sie lautet: Es darf keine Überschüsse geben, die man auch Akkumulation nennen kann. Nachdem Deutschland drei Jahre mehr exportiert hat, als es importiert hat, muss es mehr importieren als exportieren. So einfach ist das – in der Theorie.

Und schon ist das Geheimnis gelüftet. Was man schön an den Überschüssen/Defiziten der Staaten erklären kann, gilt natürlich auch innerhalb einer Volkswirtschaft. Je geringer die Akkumulation, je gleichverteilter das Vermögen, desto dynamischer ist die Volkswirtschaft. Und auch hier gilt, dass Umverteilung die sanfteste Form ist gegen die marktmäßig voranschreitende Akkumulation vorzugehen. Eine Geldwirtschaft schafft große Haufen. Haufen, die je größer desto erdrückender für die Volkswirtschaft werden.

Das wussten zwar schon die alten Griechen, die sich auf die Institution Jubeljahre besannen, und nach 49 Jahren einfach wieder den Urzustand der Verteilung herstellten. Die modernen Ökonomen scheinen es zumindest in den vergangenen 40 Jahren vergessen zu haben.