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Kohls Mädchen auf Abwegen

 

Ich verstehe die positiven Schlagzeilen in der deutschen Presse zum absehbaren Griechenland-Kompromiss der EU nicht. Es wird wahrscheinlich einen Deal geben auf dem Gipfel in Brüssel morgen, der Internationale Währungsfonds (IWF) wird einen Teil der Arbeit übernehmen, die Staaten Europas werden auf freiwilliger Basis einspringen, wenn das nicht reicht.

Das ist die schlechteste denkbare Lösung.

Für die Griechen selbst ist ein Gang zum IWF zunächst rein ökonomisch gesehen durchaus attraktiv. Die Konditionen des Fonds sind lockerer als die der EU. Das Problem ist: Europa nimmt damit alle politischen Risiken auf sich, die ein Gang zum IWF mit sich bringt: Panik an den Märkten, Imageschaden für die Währung und das Eingeständnis, nicht einmal ein vergleichsweise kleines Problem wie das griechische selbst lösen zu können. Mit einer solchen Union ist kein Staat zu machen – aber vielleicht ist ja auch genau das neuerdings das Ziel deutscher Europapolitik.

Weil zugleich bilaterale Hilfen gegeben werden können (und es absehbar ist, dass diese auch geleistet werden müssen, denn mehr als rund 15 Milliarden Euro wird den Griechen wegen ihrer relativ geringen Quote im Währungsfonds nicht zustehen) werden sich die Europäer auch mit den Scherereien auseinandersetzen müssen, die mit dieser Art der Unterstützung einhergeht: Verfassungsklagen, Populismus, die Wut der konservativen Presse in Deutschland.

Am Ende wird das europäische Projekt beschädigt sein und trotzdem wird es teuer. Vielleicht entgeht mir ja hier ein genialer Schachzug der Kanzlerin, und es kommt ganz anders. Aber so wie der Plan jetzt präsentiert wird, verstehe ich ihn nicht.

Meine Version der Geschichte geht so: Berlin ist in Panik, weil in NRW gewählt wird und man sich außerstande sieht, der Bevölkerung und den vorgestrigen Ökonomen zu erklären, warum eine Währungsunion ohne Transferzahlungen dauerhaft nicht funktioniert. Deshalb wird jetzt auf Zeit gespielt und wenn in ferner Zukunft doch noch deutsche Gelder fließen, wird man versuchen, es so zu verkaufen, dass es nicht nach Hilfszahlungen aussieht.

Europa war immer ein teleologisches Projekt mit dem Ziel einer „ever closer union“. In diesem Sinne wäre es kluge Politik gewesen, endlich die Realitäten in einer Währungsunion anzuerkennen, die Integration voranzutreiben und den Griechen mit vereinten Kräften und gegen scharfe Auflagen zu helfen. Merkels größter Fehler ist, dass sie es bisher nicht einmal versucht hat. Ich will nicht ausschließen, das in zehn Jahren von der EU nicht viel mehr übrig ist als der Binnenmarkt.