Wenn es ernst wird, sind in der Währungsunion die Nationalstaaten gefragt. Es gibt, außer der Geldpolitik, keinen gemeinsamen Mechanismus zur Rettung von Regierungen, die zahlungsunfähig zu werden drohen. Die deutschen Steuerzahler, der Bundestag und das Verfassungsgericht verbitten sich bisher, dass eine internationale Stelle mit über die Finanzpolitik entscheidend. Der Brüsseler Haushalt ist zu klein (seit Jahrzehnten zwischen einem und eineinhalb Prozent des BIP der EU) und fällt daher nicht ins Gewicht. Er wird vom europäischen Parlament verabschiedet, in dem auch deutsche Abgeordnete mit zu bestimmen haben. No taxation without representation! war das Motto, als sich die Vereinigten Staaten einst vom Mutterland England lossagten. Niemand wird gern zur Kasse gebeten, wenn er gar keinen Einfluss darauf hat, was mit dem Geld geschieht. Die Kotaus, die gestern von der EZB, dem Internationalen Währungsfonds und der OECD vor der deutschen Regierung gemacht wurden, zeigen, dass diese internationalen Organisationen keine Druckmittel haben. Sie müssen betteln.
Nur mit Appellen an das Verantwortungsbewusstsein und Eigeninteresse des größten Landes und Gläubigers kommt man zur Zeit weiter. Daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern. Wenn bald auch die anderen Dominosteine zu wackeln beginnen sollten – als Kandidaten gelten Portugal, Spanien, Irland -, kann es zu einem Flächenbrand kommen. Die Forderungen der Banken und Versicherungen in den Gläubigerländern sind so hoch, dass eine Totalabschreibung ihr Eigenkapital auslöschen würde und sie verstaatlicht werden müssten, um eine Katastrophe zu vermeiden. So oder so, der deutsche Steuerzahler kann sich nicht hinwegstehlen. Durch das Herabstufen der Verbindlichkeiten durch die Ratingagenturen hat sich die Lawine inzwischen schon in Bewegung gesetzt. Viele große Investoren werden aufgrund ihrer Anlagevorschriften gezwungen, Aktiva zu verkaufen, die von einem Tag auf den nächsten auf einmal als Ramsch gelten. Dadurch brechen zumindest die Rentenkurse der Schuldnerregierungen ein und es wird für sie prohibitiv teuer, Geld an den Kapitalmärkten aufzunehmen, wenn es überhaupt möglich ist, egal wie hoch der Zins ist. Griechenland ist da bereits.
Renditen von Staatsanleihen nach Restlaufzeiten, in Prozent |
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3 Jahre | 5 Jahre | 10 Jahre | ||
Deutschland | 1,14 | 2 | 3,06 | |
Griechenland | 14,10 | 11,40 | 9,82 | |
Spanien | 2,51 | 3,26 | 4,16 | |
Portugal | 5,30 | 5,70 | 5,76 | |
Irland | 3,75 | n.a. | 5,30 | |
Italien | 2,22 | 3,05 | 4,14 | |
Quelle: Bloomberg |
Das sind pro-zyklische Aktionen – sie verschlimmern die Krise. Dagegen muss unbedingt etwas getan werden, denn die Beträge, um die es geht, übertreffen die vom Lehman Brothers-Konkurs um mindestens das Dreifache.
Im Übrigen muss endlich auch mal die Rolle der Ratingagenturen genauer untersucht werden. Sie ändern ihre Einstufungen immer erst dann, wenn das Kind schon im Brunnen ist, und sie haben gewaltige Interessenkonflikte: Bei der Verbriefung von amerikanischen Ramschimmobilien vergaben sie großzügigst Spitzenratings, so dass sich diese hybriden Papiere hervorragend vermarkten ließen – vor allem an die dummen Banker vom internationalen Finanzplatz Düsseldorf, wie es im letzten Economist ohne sonderliches Taktgefühl hieß. Die Renditen dieser Anleihen waren deutlich höher als die von staatlichen Bonds mit demselben Rating. Was dem ganzen die Krone aufsetzt, war, dass die Agenturen von den Emittenten dieser dubiosen Papiere bezahlt wurden. Daher hatten sie ein großes Interesse daran, durch positive Bewertungen Folgegeschäfte an Land zu ziehen und richtig Gewinne zu machen. Selbst die EZB ist bei der Beleihung von Papieren (Repo-Geschäften) von der Einschätzung der Agenturen abhängig. Wo bleibt da die Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank? Es wird daher langsam mal Zeit, dass sich die Geschädigten (IKB, WestLB, Depfa und so weiter, also der deutsche Steuerzahler) mal einen richtig guten amerikanischen Anwalt nehmen und die Agenturen plus die „kreativen“ Investment Banken verklagen. Warum kneifen alle die Schwänze ein. Es geht um Schäden von Hunderten von Milliarden Dollar. Think big! US-Anwälte werden nach Erfolg bezahlt!!
Zurück zu dem, was hier und heute, jedenfalls in sehr naher Zukunft zu tun ist: Griechenland Konkurs gehen zu lassen ist keine Option. Die deutsche Regierung wird, zusammen mit den anderen Gläubigern aus dem Euroland, in den sauren Apfel „Prolongierung der Forderungen“ beißen müssen. Nach dem jetzigen Modell muss Griechenland etwa zwei Prozentpunkte mehr an Zinsen zahlen als Deutschland (5 Prozent statt 3,06 Prozent). Aus wirtschaftlicher Sicht rechnet sich das also. Nur verwandelt sich unser Staat dadurch in eine Art Bank und wird das Kontrahentenrisiko „Griechenland“ sehr genau verfolgen müssen. Fragt sich, ob es noch Druckmittel hat, wenn das Geld erst einmal auf den griechischen Konten eingegangen ist. Ein wichtiger Aspekt besteht darin, die Laufzeiten der Schulden deutlich zu verlängern, damit das Ganze nicht morgen von vorne losgeht.
So oder so wird es in Griechenland eine tiefe Rezession geben, wenn die Auflagen eingehalten werde. Aber auch wenn das Land Konkurs ginge, müssen die staatlichen Ausgaben radikal gesenkt werde – es kann nämlich nur ausgegeben werden, was an Steuern hereinkommt – und das sind 13 oder 14 Prozent des BIP. Griechenland hat eine starkes Interesse daran, sich das Wohlwollen der Gläubiger zu erhalten.
Aus deutscher Sicht würden die Bruttoschulden des Staates im Umfang der Prolongationsaktion zunehmen, gleichzeitig aber auch die Forderungen. Es wäre zu prüfen, wie sich das mit dem Vertrag von Lissabon vereinbaren lässt. Wie es aussieht, macht sich niemand wirklich Sorgen um dessen „no-bail-out“-Klausel.
Aus dem Ausland wird immer wieder die Forderung an unsere Regierung herangetragen, doch endlich mit dem übertriebenen Sparen aufzuhören. Wenn die Konjunktur hierzulande besser liefe, wäre das sowohl für die Beschäftigung als auch das Wachstum besser, und es würde mehr aus Griechenland importiert. Kann man das Problem wirklich durch Wachstum lösen? Kurzfristig vermutlich nicht, längerfristig wäre es aber der Königsweg. Wenn man sich die Standards der Infrastruktur und des Bildungswesens ansieht, wäre es nicht leichtfertig, in diese Bereiche Geld zu pumpen. Investitionen in Humankapital und Sachkapital tragen sich zu einem großen Teil selbst, und man könnte die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die Sicherheit der Jobs und des Rentensystems dauerhaft verbessern. Leider ist da wenig zu sehen. Wir haben einfach bereits eine Art Rentnermentalität. Ich kann aber immer nur wieder darauf hinweisen, dass die hohen Staatsschulden keineswegs direkt in die Inflation führen müssen. Warum sonst geben sich die Anleger trotz der Schuldenberge mit 3,06 Prozent Rendite zufrieden? Der deutsche Staat hat zwar hohe Schulden gegenüber der eigenen Bevölkerung, gegenüber dem Rest der Welt ist Deutschland insgesamt aber einer der wichtigsten Gläubiger – netto hat Deutschland keine Schulden. Das erkennt man sofort, wenn man sich die Entwicklung der Leistungsbilanzsalden vor Augen hält – sie sind ja die Kehrseite der Nettokapitalexporte. Wir befinden uns in einer Liga mit so grundsoliden Ländern wie die Schweiz, Schweden, Norwegen, Holland, Österreich, China (und der OPEC).
Ein anderes Thema, das dringend auf die Agenda gehoben werden muss, ist die Zukunft der Währungsunion. Sie wird nicht überleben, wenn am Ende des Weges nicht eine politische Union steht, also auch eine gemeinsame Finanzpolitik. Warum wagt sich niemand, dazu mal eine Road Map vorzulegen, für die nächsten 50 Jahre? Woher kommt dieses Tabu? Angst vor der Bildzeitung und anderen Populisten. Ich weiß schon: Es gibt im Augenblick wichtigere Themen. Aber es wäre nicht schlecht, wenn man die Währungsunion auch dadurch stabilisieren würde.
Ich habe noch eine Empfehlung: Der Euro ist doch eine frei floatende Währung – wofür brauchen wir außer für Transaktionszwecke so hohe Währungsreserven. Der Dollar ist teuer, und der Staat kann die Gewinne der Notenbank gut gebrauchen. Diese Thema ist seit langem vollkommen vom Radarschirm verschwunden! Das muss nicht so bleiben.