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Ist der Kapitalismus ein Kettenbrief?

 

Schönes Stück im Kapital mal wieder zu der Frage, ob der Kapitalismus ein Kettenbrief ist. Ich teile nicht alles, was die Kollegen schreiben, kann mit dieser Beschreibung aber ebenfalls nicht viel anfangen. Soll das erstens bedeuten, dass er notwendigerweise kollabieren muss? Dafür hält er sich schon ziemlich lange – und wie die Kollegen beim Kapital gezeigt haben, ist es keineswegs so, dass die Verschuldung der volkswirtschaftlichen Sektoren gemessen an der Wirtschaftsleistung immer weiter steigt (selbst wenn sie das täte, muss das noch nicht problematisch sein, denn das kann auch strukturelle Gründe haben wie zum Beispiel mehr Finanzintermediation).

„Der Verfügbarkeit der Daten halber blicken wir mal wieder auf die USA, wo die vierteljährlichen Schuldenstatistiken der Fed bis 1952 zurückreichen. Damals beliefen sich die Schulden der nichtfinanziellen Sektoren – Verbraucher, Firmen, Staat – auf 124 Prozent des nominalen BIPs. Ein Jahrzehnt später waren es 136 Prozent, was die Kettenbriefthese zu untermauern scheint. Nur blieb das Verhältnis der Schulden zum BIP dann bis Anfang der 80er konstant.“

Solange dem Kredit die Güter nachwachsen, und es keine Probleme mit der Allokation gibt, ist alles in Ordnung. Wer einmal Statistiken zur Kreditvergabe im internationalen Vergleich studiert, wird erkennen, dass es eine Korrelation zwischen Größe des Finanzsektors und Wohlstand gibt. Mit anderen Worten: Je mehr Kredit, desto besser, zumindest in Grenzen.

Oder bedeutet Kettenbrief zweitens, dass es immer irgendwie weiter gehen muss mit Produktion und Austausch von Waren? Dann ist das ganze Leben ein Kettenbrief und die Aussage banal: Es ist vorbei, wenn es vorbei ist.

Oder ist drittens damit gemeint, dass Zins und Zinseszins uns zum Wachstum verdonnern und die Welt in Frieden vor sich hinleben könnte, würden wir nur den Zins abschaffen. Wie an dieser Stelle wiederholt mit Henry Kaspar erörtert wurde, scheint es doch genau andersherum zu sein: Ich investiere nicht, weil ich Zinsen bezahlen muss, sondern weil ich investiere und eine Rendite erwirtschafte, bezahle ich Zinsen. Die von der Aussicht auf mehr Geld, Ruhm, eine bessere Welt getriebene Investition ist die Henne, der Zins ist das Ei.

Wer also glaubt, die Welt wachse zu schnell, der muss die Menschen ändern oder sonst wie regulieren, nicht aber das Geldsystem. Die Geldschöpfung ermöglicht Wachstum, sie erzwingt es nicht. Der Einwand, der Zins verursache eine Konzentration des Kapitals in wenigen Händen, wodurch gesamtwirtschaftliche Nachfrage ausfalle zählt nicht. Der Staat kann immer Zinseinkünfte wegsteuern und an die Bedürftigen umverteilen.

Also: Vergesst die Zinskritik!

Update: Weissgarnix hat natürlich das Kapital auch gelesen und kommt zu einem völlig anderen Ergebnis. Man kann ja auch nicht immer einer Meinung sein.