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Neue (amerikanische) Wachstumsschwäche

 

Ich habe gerade im Project Syndicate zwei Beiträge gelesen, die sich mit der stets aktuellen Frage befassen, wie es denn nun mit der Konjunktur weitergehen kann. Beide Autoren, Nouriel Roubini und Kenneth Rogoff, zeichnen jeweils ein Bild, das keinen Anlass für große Erwartungen gibt. Roubini hat geradezu wieder Oberwasser („Double-Dip Days„). Nachdem er neuerdings auf’s Geldverdienen aus ist, hatte er sich einige Zeit mit seinem Forschungsteam dem Konsensus genähert, dass doch noch alles gut werden würde. Jetzt, da sich in den USA die Anzeichen mehren, dass es vorläufig doch nicht zu einem sich selbst tragenden Aufschwung kommen wird, ist er, wenn auch erst mal im Konjunktiv, zu seinem ursprünglichen Katastrophenszenarium zurückgekehrt.

Der Deleveraging-Prozess des privaten Sektors, also die Sanierung der Bilanzen, einschließlich der Bilanzen der Haushalte, durch Verkauf von Aktiva, Abbau von Schulden, Stärkung der Eigenkapitalbasis sowie Sparsamkeit, habe gerade erst einmal begonnen. Nachfrageschwäche sei dadurch vorprogrammiert. Gleichzeitig steigern die Staaten ihre Verschuldung, um die Wirtschaft nicht gänzlich einbrechen zu lassen, was aber nichts anderes heißt, dass an dieser Stelle fleißig an einer Erhöhung der Leverage gearbeitet wird – was die Fortschritte im privaten Bereich konterkariert und, so ist zu vermuten, letztlich den unvermeidlichen Anpassungsprozess nur verlängert.

Da wichtige Länder wie die USA, Großbritannien oder Spanien, aber auch Griechenland und Irland in dieser Falle säßen, seien die Aussichten für die Weltwirtschaft ganz schlecht. Roubini mag sich, anders als ich, nicht mit der Idee anfreunden, dass die Weltwirtschaft auch dann einigermaßen zügig expandieren kann, wenn es in Amerika nicht läuft. Ich habe mal beim IWF nachgesehen: Auf diese Ländergruppe entfällt, gerechnet in Kaufkraftparitäten, etwa 27 Prozent des globalen Outputs. Ganz schlimm sieht es, wie stets, im Euroland aus, da läuft für Roubini gar nichts – alternde Bevölkerung, schwacher privater Verbrauch und dann noch die Versuche, ausgerechnet in der Krise die Staatsfinanzen zu sanieren. Hierzulande sind nicht unhaltbare Bilanzrelationen und Überschuldung das Problem, sondern die Abhängigkeit von der Auslandsnachfrage. Über Japan braucht man natürlich erst gar nicht zu reden.

Für Roubini gibt es daher keinen Ausweg, auch wenn er sich etwas bedeckt hält und klare Aussagen nicht mehr so liebt wie einst. Der weitere Konjunkturverlauf lässt sich entweder mit einem flachen U oder einem L beschreiben. Sein etwas dürftiger Rat besteht darin, sich gut anzuschnallen – fasten your seatbelts.

Ken Rogoff von Harvard kommt zu einer ähnlichen Diagnose („An Age of Diminished Expectations„), macht sich aber wenigstens Gedanken darüber, wie sich Entwicklungen à la Japan vermeiden lassen. Er bietet zwei Rezepte an: zum Einen sollte eine deutlich höhere Inflationsrate angestrebt werden. Da können wir alle zustimmen – das ist so wie „motherhood and apple pie“, einfach gut. Fragt sich nur – wie komme ich von hier nach da, von deflationären Tendenzen zu Preissteigerungen von 3 Prozent und mehr, wenn der Geldmultiplikator durch das Deleveraging außer Kraft gesetzt worden ist. Das ist so, wie zu sagen, wir brauchen höhere Lohnsteigerungen, ohne zu erklären wie das bei dezentralen Verhandlungsprozessen gehen könnte, also ohne eine nationale Lohnpolitik.

Das andere Rezept Rogoffs heißt Produktivitätssteigerungen. Auch gut, und schon eher zu verwirklichen, etwa durch den wachstumsorientierten Umbau des Steuersystems oder die Förderung von Wettbewerb und Investitionen in Sachkapital und Bildung. Das ist wegen der Herausforderungen seitens der dynamischen Schwellenländer ohnehin angesagt. Wenn die strukturelle Wachstumsschwäche, die sich nach Rogoff und Roubini abzeichnet, so oder so lange bestehen bleiben wird, sollte der Reformwille, der sich dann zwangsläufig entwickelt, dazu genutzt werden, überfällige Reformen voranzutreiben (finde ich).

Das ist natürlich alles ziemlich angebotsorientiert. Am plausibelsten wären für Deutschland und alle übrigen Überschussländer Lohnsteigerungen von mindestens 3 Prozent, wie sie etwa Peter Bofinger vorgeschlagen hat. Eigentlich müssten es 4 Prozent sein: 2 Prozent für die Zielinflation plus 2 Prozent für die mittelfristige Wachstumsrate der Stundenproduktivität sowie einen geringen Zuschlag für die langjährige Lohnzurückhaltung. Wenn das zu einer höheren Lohninflation und Verbraucherpreisinflation führen sollte – sei’s drum, wir brauchen das ohnehin angesichts der aktuellen Inflationsrate von etwa 1 Prozent. Zudem: Warum soll nicht auch der Verbraucher eine Rolle beim Strukturwandel auf der Angebotsseite spielen. Dieser Aspekt wurde in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig ernst genommen. Nur kann mir jemand sagen, wie wir die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärken können?

Vielleicht geht’s diesmal allerdings auch von alleine – hören wir nicht, dass Fachkräfte erstmals wieder händeringend gesucht werden?