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Wie deutsch ist die deutsche Politik?

 

Deutschland ist ja bekanntlich ganz gut darin, das hohe Lied der Fiskaldisziplin zu singen. Und haben sie damit nicht recht? Immerhin wuchs die Wirtschaft der Sparnation im zweiten Quartal um auf das Jahr hoch gerechnet 9,1 Prozent. Die ausgabefreudigen Amerikaner schafften nur 1,6 Prozent.

Das Beispiel Deutschland zeigt – so argumentieren nicht zuletzt viele Konservative in den USA – das deficit spending wenig bringt und sich die fiskalische Zurückhaltung auszahlt. Denn wenn der Staat nur die Finanzen in Ordnung hält, steigt die Zuversicht der Privaten und sie geben mehr Geld aus.

Aber stimmt das auch wirklich?

Angela Merkel hat zwar im Ausland bei jeder Gelegenheit die Vorzüge des Sparens gepredigt, sich selbst aber nicht an ihre Empfehlungen gehalten. Man könnte es auch so formulieren: Hayek könnte ihre Reden geschrieben haben, bei ihren Taten stand Keynes Pate.

Deutschland hat eines der größten Konjunkturprogramme weltweit aufgelegt – allein 80 Milliarden Euro aus den beiden Konjunkturpaketen und 8,5 Milliarden Euro aus dem – sicher in vielerlei Hinsicht bedenklichen – Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Dazu kommt, dass die automatischen Stabilisatoren in Deutschland viel größer sind als in den USA.

Und das Sparpaket hält auch nicht, was es verspricht. Offiziell spricht die Regierung von 80 Milliarden Euro, doch tatsächlich beläuft es sich nur auf 26,4 Milliarden Euro. Drakonische Sparmaßnahmen sehen anders aus – und die Maßnahmen greifen erst im kommenden Jahr, so dass die Fiskalpolitik noch expansiv wirkt.

Da verwundert es nicht, dass der genaue Blick auf die Daten Deutschland und nicht die USA als den großen Geldausgeber entlarvt. Zwischen dem zweiten Quartal 2007 und dem zweiten Quartal 2010 stiegen die preisbereinigten gesamtstaatlichen Konsumausgaben in Deutschland um 8,6 Prozent und in den USA um 5,8 Prozent. Die staatlichen Bruttoinvestitionen legten in Deutschland um 20,6 Prozent zu und in den USA um 5,8 Prozent. Die Staatsquote in Deutschland legte von 43,7 vor der Krise auf 48,3 Prozent in diesem Jahr zu. Ein Grund für den Unterschied: Während in Deutschland alle Verwaltungsebenen expansiv waren, standen den zusätzlichen Ausgaben auf Bundesebene in den USA Kürzungen der Bundesstaaten und Kommunen entgegen.

Keine Frage, das Haushaltsdefizit ist in Deutschland geringer als in den USA. Nach Daten der OECD liegt es auf dieser Seite des Atlantiks bei 5,4 Prozent und auf der anderen bei 10,7 Prozent. Allerdings sind nominale Defizite kein guter Indikator für die Ausrichtung der Fiskalpolitik. Denn erstens lag der amerikanische Fehlbetrag vor der Krise bei 2,8 Prozent, während Deutschland einen Überschuss von 0,2 Prozent aufwies. Und zweitens hat sich der Etatsaldo hierzulande auch verbessert, weil die Steuereinnahmen steigen. Nach Daten des Finanzministeriums liegen sie in der ersten Jahreshälfte bei 235 Milliarden Euro – und damit deutlich über Plan. Das konjunkturbereinigte Etatdefizit nahm in Deutschland zuletzt sogar stärker zu als in den USA.

Wenn es Deutschland gelungen ist, tiefrote Zahlen zu vermeiden, dann nicht weil es kein Konjunkturpaket gab, sondern weil es anders als in den USA ein ziemlich großes Konjunkturpaket gab. Der Fall Deutschland zeigt also nicht, dass Konjunkturpolitik nicht wirkt, sondern dass sie wirkt.

Das bedeutet nicht, dass die expansive Fiskalpolitik die einzige Antriebskraft der wirtschaftlichen Erholung ist. Die privaten Investitionen nahmen ebenfalls zu, genau wie die Konsumausgaben und die Außenwirtschaft. Sie machten fast die Hälfte des Wachstums im zweiten Quartal aus. Entscheidend aber ist: Statt private Nachfrage zu verdrängen, haben die Konjunkturprogramme der Regierung diese angekurbelt, indem die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aufrechterhalten wurde, als sie auszufallen drohte. Woraus folgt, dass all jene, die mit dem Verweis auf Deutschland die Vorteile eines strengen Konsolidierungskurses aufzeigen wollen, sich besser ein anderes Beispiel suchen sollten.

Viel Erfolg bei der Suche!