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So haben wir gerechnet – Eine Replik

 

Seit Freitag kritisieren und debattieren die Hirten sowie Kommentatoren des Blogs den Aufruf und die Rechenkünste der 189 deutschen Professoren. Jetzt melden diese sich zu Wort. Der Verfasser des Aufrufs, Bernd Lucke, verteidigt seine Rechnung und wirft dem Hirten Mark Schieritz vor, ungenau gerechnet zu haben. Der HERDENTRIEB hat Bernd Lucke gebeten, seine Replik hier nochmals ausführlich in einem Gastkommentar darzulegen.

So haben wir gerechnet

Von Bernd Lucke

Im Herdentrieb wird polemisch suggeriert, Deutschlands Ökonomen könnten nicht rechnen. Keine Sorge! Das Problem liegt einzig darin, dass sich Herdentrieb-Autor Mark Schieritz in volkswirtschaftlichen Fachtermini verheddert hat.

Schieritz kritisiert eine Aussage des Plenums der Ökonomen zum Refinanzierungsbedarf Spaniens, Portugals und Irlands bis 2013. Er bezweifelt die Zahlen unter Bezug auf angeblich andere Angaben, die von der Deutschen Bank und Goldman Sachs stammen. Aber diese Angaben beziehen sich nicht, wie er eindeutig falsch schreibt, auf den „Refinanzierungsbedarf“ sondern auf den gesamten „Finanzbedarf“ dieser Staaten. D. h. sie enthalten nicht nur die Refinanzierungserfordernisse sondern auch „Projektionen“ der Banken zur Neuverschuldung dieser Staaten bis 2013. Mark Schieritz vergleicht also Äpfel mit Birnen.

Die Stellungnahme des Plenums bezog sich eindeutig auf den Refinanzierungsbedarf. Dieser beträgt für Spanien, Portugal und Irland rund 310 Milliarden Euro. Das AAA-fähige Volumen des Schirms liegt bei 552 Milliarden Euro, so dass sich eine Überdeckung des Refinanzierungsbedarfs um fast 80 Prozent ergibt. Dass sich eine geringere Überdeckung des Rettungsschirms ergibt, wenn auch Projektionen für Neuverschuldung berücksichtigt werden, ist natürlich nicht verwunderlich. Aber selbst dann bestätigt sich die Position des Plenums, dass das gegenwärtige Volumen des Rettungsschirms ausreicht: Legt man drei Prozent Neuverschuldung pro Jahr zugrunde, beträgt die Überdeckung immer noch 27 Prozent.

Allerdings sind Abschätzungen des Finanzbedarfs (also unter Einschluss der Neuverschuldung) sehr problematisch. Niemand kennt verlässlich die Budgetdefizite Spaniens, Portugals und Irlands bis 2013 – schon gar nicht unter den Austeritätsauflagen, die mit dem Rettungsschirm einhergehen würden. Wenn die Deutsche Bank und Goldman Sachs „Projektionen“ dieser Budgetdefizite veröffentlichen, die nahelegen, dass der Rettungsschirm fast ausgeschöpft werden könnte, sollte man vorsichtig sein: Diese Institutionen haben ihr eigenes Interesse am Rettungsschirm. Es verwundert, wie kritiklos Mark Schieritz diese Zahlen übernimmt.

Die einzig belastbaren Zahlen sind die Refinanzierungsbedarfe. Auf diese hat sich das Plenum bezogen und festgestellt, dass auch nach deren Saturierung noch ein Volumen in Höhe von 80 Prozent dieser Bedarfe unter dem jetzigen Schirm verfügbar ist. Es verbleibt also noch reichlich Raum für Neuverschuldung. Wer darüber hinaus bestehende Risiken so hoch einschätzt, dass 80 Prozent Überdeckung nicht reichen, der sollte diese Risiken konkret quantifizieren. Eine Erhöhung des Schirms zu fordern, ohne das zugrundeliegende Risiko überhaupt beziffern zu können, ist keine verantwortliche Politik. Schließlich sind im Ernstfall mit dem Schirm konkrete Zahlungsverpflichtungen zu Lasten der Allgemeinheit verbunden.

Im Herdentrieb wird auch die Abschätzung des AAA-fähigen Volumens des Schirms mit 552 Milliarden Euro kritisiert. Tatsächlich ergibt sich genau dieses Volumen, wenn man die Anteile der AAA-gerateten Länder im EFSF und die Beiträge der EU und des IWF addiert. Nun scheint es aber in Brüssel eine Tendenz zu geben, den Schirm klein zu reden, indem behauptet wird, auch die AAA-gerateten Länder müssten eine Überdeckung von 120 Prozent bereitstellen, um AAA geratet zu werden. Dies ist ökonomisch nicht nachvollziehbar, vermutlich spielen auch hier politische Interessen eine Rolle. Aber selbst wenn man die Beiträge der AAA-Länder um die umstrittenen 120 Prozent auf dann rd. 480 Milliarden Euro reduziert: Der Refinanzierungsbedarf von 310 Milliarden Euro ist zu 55 Prozent überdeckt. Und addiert man noch die (fragwürdigen) Neuverschuldungsprojektionen zum Refinanzierungsbedarf hinzu hat der Schirm selbst bei Zugrundelegung des kleineren Volumens noch eine Überdeckung von zwölf Prozent. Diese Rechnungen bestätigen daher nachdrücklich, was das Plenum festgestellt hat: Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Schirm vergrößert werden muss.

Bei all dem darf aber nicht in den Hintergrund treten, worum es eigentlich geht: Regelungen zur Schuldenkrise, die das Ausfallrisiko insolvenzbedrohter Staaten angemessen kanalisieren. Das Plenum wendet sich gegen die vollständige Risikoübernahme durch die EU zu Lasten der Allgemeinheit und verlangt statt dessen eine Beteiligung der privaten Gläubiger an den Kosten einer Insolvenz. Immer größere Rettungsschirme dagegen können fatale Folgen haben, falls es in Zukunft zu einer großen Staatsinsolvenz kommt. Und dies zu verhindern liegt nicht in der Macht der EU: Griechenland oder Irland könnten jederzeit entscheiden, den beschwerlichen Umstrukturierungspfad zu verlassen und den Schuldendienst einzustellen. In diesem Fall kämen enorme finanzielle Lasten auch und gerade auf den deutschen Steuerzahler zu – und es ist nicht zu erkennen, dass die Politik dafür in irgendeiner Form Vorsorge getroffen hat.