Die Schwellenländer erheben in der Debatte um die Nachfolge von Dominique Strauss-Kahn den Anspruch, dass die Spitze des Internationalen Währungsfonds mit einer Persönlichkeit aus ihren Reihen besetzt wird. So verständlich dieses Anliegen sein mag, so wenig verstehe ich, wieso jemand aus einem Schwellenland auf diesen einflussreichen Posten gewählt werden sollte. Denn die wichtigsten potenziellen Kreditgeber müssen darüber bestimmen dürfen, wer sie vertritt. Und das sind nun einmal die Westeuropäer und die Nordamerikaner. Warum sollte ein Brasilianer, Chinese oder ein Thailänder deren Interessen im Auge haben?
Einst wurde der IWF ins Leben gerufen, um temporäre Hilfe bei Währungskrisen zu gewähren. Dabei handelte es sich um Probleme bei der Aufrechterhaltung fester Wechselkurse gegenüber dem Dollar, die vor allem dadurch entstanden, dass einem Land die Währungsreserven ausgegangen waren. Es war daher nicht mehr in der Lage, Dollars zu verkaufen, um so eine bestimmte Parität aufrecht zu erhalten; andererseits erschien es aus konjunkturellen Gründen oft als nicht zumutbar, die inländischen Zinsen so stark anzuheben, dass es zu Dollarzuflüssen kam. Die Währungsreserven waren zuvor entweder durch anhaltend große Defizite in der Leistungsbilanz aufgebraucht oder, häufiger, durch private Nettokapitalabflüsse, also Kapitalflucht. Die wiederum wurden häufig dadurch ausgelöst, dass die Anleger ihren Glauben an eine verbesserte internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes verloren hatten. Im Grunde ist für kapitalarme Länder nichts gegen dauerhaft negative Leistungsbilanzsalden zu sagen – sie reflektieren, wenn man so will, deren gute Renditeerwartungen. Wenn es aber letztlich nur dazu kommt, dass ausländisches Kapital inländische Ersparnis ersetzt, setzt irgendwann bei den Portfolio-Investoren Ernüchterung ein und sie machen nicht mehr mit. So kommen, und kamen, in der Regel Währungskrisen zustande.
Die Überbrückungskredite des IWF sind daher an die Bedingung geknüpft, dass das Land alles tut, um wieder kreditwürdig zu tun werden. Das bedeutet in der kurzen Frist, dass es seine inländische Nachfrage durch höhere Zinsen, eine restriktive Finanzpolitik und/oder eine Abwertung so reduziert, dass es nicht mehr so auf Kapitaleinfuhren angewiesen ist, was natürlich weh tut. Es hat dem IWF bei armen und überschuldeten Ländern einen schlechten Ruf eingebracht.
Inzwischen gibt es das Bretton Woods-System fester Dollarparitäten nicht mehr, der IWF aber ist immer noch da. Er hat sich – im Wesentlichen unter französischer Führung – seit den siebziger Jahren zu einer Art fiskalpolitischer Feuerwehr gemausert. Er wird zu Hilfe gerufen, wenn Politiker in Krisenländern nicht die Kraft haben, unpopuläre aber notwendige Reformen oder Veränderungen durchzusetzen. Manchmal braucht man eine Art Knecht Ruprecht, einen strengen ausländischen Zuchtmeister. Das ist heutzutage im Wesentlichen die Rolle des IWF. Institutionen sterben nicht, sie werden vielmehr immer größer, wenn es ihnen gelingt, neue Aufgaben zu identifizieren und sich unentbehrlich zu machen. So geschehen beim IWF.
Er bewegt nach den jüngsten Mittelaufstockungen gewaltige Summen an Geld, an Geld, für das am Ende vor allem die Steuerzahler in den OECD-Ländern aufkommen müssen. Die Quote der USA beträgt zur Zeit 17,75 Prozent, die Summe der Quoten der 17 Euroländer 23,25 Prozent. In den Berichten über den Währungsfonds wird letztere Zahl allerdings nie explizit genannt, weil die Währungsunion für den IWF einfach nicht existiert und nicht als Block auftreten darf. Bei Abstimmungen werden die Stimmen Deutschlands (6,14 Prozent), Frankreichs (4,52 Prozent), Italiens (3,32 Prozent) oder Hollands (2,17 Prozent) jeweils mit denen von Ländern aus anderen Gegenden der Welt zusammengelegt und verlieren dadurch ihre Wirkung. Das macht sich vor allem gegenüber den USA bemerkbar, die trotz ihres eigentlich nicht übermäßig großen Gewichts de facto ein Veto bei den Entscheidungen des Fonds haben und dadurch dessen Politik dominieren.
Es ist an der Zeit, dass die Europäer das ändern. Sie müssen mit einer Stimme sprechen dürfen und dadurch ebenfalls ein Vetorecht bekommen. Schließlich haben sie ja ihre Geld- und Währungspolitik auf die EZB (das Eurosystem) übertragen. Dann wäre es auch leichter zu akzeptieren, dass die Schwellenländer und Entwicklungsländer größere Quoten und Stimmrechte erhalten – in den nächsten zwei Jahren werden sie, wenn man ihr Sozialprodukt mit Kaufkraftparitäten statt mit aktuellen Wechselkursen auf einen gemeinsamen Nenner bringt, die klassischen Industrieländer (meist Mitglieder der OECD) überholt haben. Zur Zeit haben die wichtigsten Schwellenländer bei den IWF-Quoten gemeinsam aber nur ein Gewicht von 13,1 Prozent. Das verteilt sich wie folgt: China 4,01 Prozent, Russland 2,50 Prozent, Indien 2,45 Prozent, Brasilien 1,79 Prozent, Mexiko 1,53 Prozent und Südafrika 0,79 Prozent. Gar keine Frage, da stimmt etwas nicht. Wir brauchen eine ganz andere Verteilung der Quoten. Aber die Euroländer sollten nur dann die überfälligen Konzessionen machen, wenn sie als Einheit abstimmen dürfen. Dann dürften sie auch nichts dagegen haben, dass sie ein etwas geringeres Gewicht auf die Waage bringen als die USA, deren nominales BIP bei den jetzigen Wechselkursen und Kaufkraftparitäten vorläufig noch größer ist (circa 14 Prozent bei 1,41 Dollar je Euro). Auf alle Fälle muss angestrebt werden, dass die USA ihr Veto verlieren.
Eine andere Frage ist, warum schon wieder ein Franzose, oder vielmehr eine Französin, an die Spitze des IWF gehievt werden soll. Gibt es in Deutschland denn keine geeigneten Kandidaten? Wie wäre es mit Klaus Regling, Thomas Mirow oder Axel Weber? Peer Steinbrück wäre auch nicht schlecht, aber der will wohl in anderthalb Jahren gegen Frau Merkel antreten.