Wie üblich in ihren Frühjahrsprognosen hat die EU-Kommission auch diesmal für die zweite Jahreshälfte den Beginn eines neuen Aufschwungs im Euroland vorhergesagt, der sich dann im folgenden Jahr beschleunigt. Aber wo soll er herkommen?
Die Begründung ist noch schwächer als sonst: Vor allem baut die Kommission auf die allgemeine Zuversicht. Sie kehre nämlich zurück! Warum? Weil die Staatsschuldenkrise und die Bankenprobleme demnächst dauerhaft gelöst werden dürften. Die privaten Haushalte werden ab dem Sommer wieder ausgabefreudiger, weil sich der Arbeitsmarkt stabilisieren wird und durch den Rückgang der Inflationsrate das real verfügbare Einkommen steigt. Gleichzeitig expandieren die Exporte im Fahrwasser eines wieder kräftigeren Wachstums des Welthandels, während die Importe durch die schwache Binnennachfrage kaum zunehmen. Soweit die positiven Elemente der Prognose und die Annahmen, die ihr zugrunde liegen.
Schlecht sieht es laut EU-Kommission zunächst bei den Investitionen aus. Sie sind in diesem Jahr rückläufig, aber im nächsten Jahr wird alles besser: Die Exporte laufen wieder – Stichworte: schwacher Euro, Zunahme des Welthandels -, die rekordniedrigen Zinsen stimulieren, und auch bei den Unternehmen zieht dann wieder Zuversicht ein. Die Staatsausgaben werden dagegen wegen der „notwendigen“ Konsolidierungspolitik bis 2013 in Relation zum BIP zurück gehen. Trotzdem nehmen die staatlichen Schulden in der Währungsunion weiter zu und erreichen im nächsten Jahr rund 93 Prozent des Sozialprodukts; vor der Krise, im Jahr 2007, waren es noch 66 Prozent.
Insgesamt kommt unter’m Strich im Vorjahresvergleich für Euroland beim realen BIP 2012 ein Rückgang von 0,3 Prozent heraus, 2013 eine Zuwachsrate von 1,0 Prozent. Die Arbeitslosenquote steigt in diesem Jahr auf 11,0 Prozent; in Deutschland sinkt sie auf 5,5 Prozent.
Wie so oft in der Vergangenheit, soll der Aufschwung wieder einmal von außen kommen. Früher waren vor allem die USA der Wachstumsmotor, seit einigen Jahren soll China Euroland aus der Klemme helfen. Dabei mehren sich die Anzeichen, dass sich das chinesische Wachstum gerade stark verlangsamt: Alle Aprilzahlen waren viel schlechter als erhofft, seien es die für die Industrieproduktion, die Einzelhandelsumsätze, die Ausfuhren und Einfuhren, oder die Kreditexpansion. Es sieht danach aus, als ob es im Wohnungsbau und bei den Infrastrukturprojekten zu Blasen gekommen ist, die dabei sind zu platzen. Die Zementproduktion ist beispielsweise auf ihr Vorjahresniveau zurückgefallen, ähnlich die Stromerzeugung. In dieselbe Richtung deuten der weitere kräftige Rückgang der chinesischen Inflationsraten und das Ende der Renminbi-Aufwertungen. Niemand sollte sich zu viel von China erhoffen. Auch das reale BIP der Welt nimmt in diesen Monaten, und auf absehbare Zeit, bestenfalls mit einer Verlaufsrate von 2,5 Prozent zu und damit viel langsamer als im Trend. Die Outputlücke wird größer.
Von den außenwirtschaftlichen Impulsen angestoßen soll laut Kommissionsprognose die Binnennachfrage dann spätesten im kommenden Jahr eine eigene Dynamik entwickeln. Aber wie steht es mit den Vorrausetzungen dafür? Dass die Verbraucher angesichts der rekordhohen und weiterhin steigenden Arbeitslosenquote zuversichtlicher werden könnten, ist geradezu lächerlich, ebenso wie die Annahme, dass die Staatsschuldenkrise und die Bankenprobleme in nächster Zeit dauerhaft gelöst werden könnten. Die Unsicherheit nimmt sichtbar zu. Jetzt beginnt auch das ökonomische Spanien ernsthaft in die Bredouille zu geraten, nachdem klar geworden ist, dass der Bankensektor einen viel größeren Abschreibungsbedarf hat als gedacht, der spanische Staat aber selbst sein Schuldenlimit erreicht hat. Innerhalb von fünf Jahren sind die Staatsschulden von 36 auf 81 Prozent des Sozialprodukts geklettert, und die Zinsen, die das Land zu zahlen hat, liegen jetzt bei fast allen Laufzeiten um viereinhalb bis fünf Prozentpunkte über den deutschen. Der Schuldendienst wird nicht mehr lange zu schultern sei. Spanien wankt – und mit ihm der Euro. Die Gefahr von Bank Runs liegt in der Luft.
Die Prognose der Kommission steht auf tönernen Füßen, so wie sie auf die Rückkehr der Zuversicht bei den Unternehmen und privaten Haushalten baut. Aber ohne das wird es in der Tat keinen Aufschwung geben. Wie es aussieht, wird es nur über eine beträchtliche Aufstockung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gehen. Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, bald vielleicht auch Italien müssen Zugang zu viel günstigeren Krediten bekommen als heute: Die Laufzeiten müssen stark gestreckt werden, und die Zinsen sollten nicht viel höher sein als die deutschen. Dann können von den Gläubigerländern auch sinnvolle Auflagen verlangt werden. Dazu muss ein europäisches Investitionsprogramm aufgelegt werden, das von der Größenordnung dem amerikanischen New Deal entspricht. Die Europäer brauchen eine Perspektive.
Möglicherweise reicht auch das noch nicht, um den Euro zu retten: Für einige Länder wird es nicht ohne einen teilweisen, jedoch vom Volumen her beträchtlichen Schuldenerlass gehen. Deutschland und Frankreich müssen sich großzügig zeigen. Sie können auch gar nicht anders. Die Wahl besteht für sie inzwischen darin, „sich mit einem halben Brot zufrieden zu geben, oder ganz leer auszugehen“, wie es William White kürzlich ausgedrückt hat.