Wenn alle Signale auf Grün stehen, bewegt sich auch die deutsche Konjunktur, von der das fast niemand mehr erwartet hatte. Gegenüber dem dritten Quartal war das reale BIP im vierten Quartal mit einer Verlaufsrate von etwas mehr als 2,8 Prozent gestiegen (also annualisiert oder hochgerechnet auf ein ganzes Jahr), sodass sich erstmals seit Langem die Output-Lücke verringert hat. Vorlaufende Indikatoren wie die Auftragseingänge in der Industrie oder die Ifo-Umfragen deuten darauf hin, dass der Aufschwung weitergehen wird.
Manchmal kommt die ganze Dynamik von einem ungeplanten Aufbau der Läger – die Produktion nimmt stärker zu als die Nachfrage – woraufhin es in der Folge oft zu einem abgeschwächten Anstieg oder zu einem Rückgang der Produktion kommt. Nicht so diesmal: Die Vorräte waren gegenüber dem dritten Quartal sogar geschrumpft und hatten einen negativen Wachstumsbeitrag von 0,8 Prozentpunkten bewirkt (annualisiert auf der Basis von -0,2). Das heißt, sie werden im ersten Quartal angesichts der guten Endnachfrage vermutlich aufgefüllt werden und damit dem Output einen kräftigen zusätzlichen Schub geben.
Erfreulich auch der private Konsum – offenbar fehlt den deutschen Haushalten doch das Eine oder Andere und sie sind nicht die Konsummuffel, als die sie oft dargestellt werden. Entscheidend war wohl, dass die verfügbaren Einkommen nominal mit einer (annualisierten) Jahresrate von 4,3 Prozent gestiegen waren; real waren es sogar 5,4 Prozent, da die Verbraucherpreise vom dritten zum vierten Quartal mit einer Jahresrate von 1,1 Prozent gesunken waren, den Benzinpreisen sei Dank.
Im Vergleich zu diesen Zuwachsraten bei den Einkommen nimmt sich der annualisierte Anstieg der privaten Konsumausgaben von 3,0 Prozent sogar bescheiden aus, so ungewohnt kräftig er auch ausgefallen war. Ich vermute daher, dass die Verbraucher noch Reserven haben und die Konjunktur im Verlauf dieses Jahres weiter kräftig anheizen werden. Der unaufhaltsame Anstieg der Beschäftigung – zuletzt, wie schon in den Jahren zuvor, um fast ein Prozent gegenüber dem Vorjahr – sowie die ziemlich üppige Erhöhung der Tariflöhne in der Metall- und Elektroindustrie von 3,6 Prozent nominal und etwa 4 Prozent real (Jahresdurchschnitt 2015 gegenüber 2014), die am Dienstag vereinbart wurde, weisen jedenfalls in die richtige Richtung.
Zudem hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stark verbessert. Von März 2014 bis heute war es zu einer Abwertung des handelsgewogenen Euro um nicht weniger als 10,7 Prozent gekommen, was genau die richtige Medizin für ein Land mit erheblichen Kapazitätsreserven ist.
Trotz der Abwertung sind die Einfuhrpreise sogar weiter gesunken, nämlich von Quartal zu Quartal mit einer (annualisierten) Verlaufsrate von 3,8 Prozent. Deutschland importiert also trotz des schwachen Wechselkurses Deflation und könnte, da es keine Inflationsrisiken gibt, eine zusätzliche kräftige Abwertung gut verkraften. Aber auch so hat der reale Außenbeitrag 0,8 Prozentpunkte zum BIP-Wachstum von 2,8 Prozent beigetragen. Dabei expandierten die realen Einfuhren mit einer Rate von nicht weniger als 4,2 Prozent und stimulierten damit die Konjunktur in den Partnerländern. Ich gehe davon aus, dass sich der Effekt in den kommenden Quartalen noch verstärken wird.
Enttäuscht haben nach wie vor die realen Ausgaben für Ausrüstungen (+1,6 Prozent annualisiert). Trotz der rekordniedrigen Kreditzinsen, des schwachen Wechselkurses und des überaus festen Aktienmarkts laufen die Investitionen nicht so, wie es nach vielen Jahren mit negativen Zuwachsraten jetzt einmal fällig wäre.
Die Kapazitäten sind einfach weiterhin zu wenig ausgelastet. Es ist zu hoffen, dass die Verbraucher noch eine Weile optimistisch bleiben und den Unternehmen hohe Umsätze bescheren – denn das ist es letztlich, was sie zu Investitionen animiert. Dann könnten die Ausgaben für Kapitalgüter der Turboeffekt werden, der für einen nachhaltigen und sich selbst tragenden Aufschwung nötig ist. Nicht nur das, sie werden auch für ein stärkeres Wachstum der Produktivität benötigt; sie hat sich seit Ende 2007 beunruhigenderweise gerade einmal mit durchschnittlich jährlich 0,4 Prozent erhöht und war im vierten Quartal sogar etwas niedriger als ein Jahr zuvor. Der eigentliche Wachstumsmotor stottert also.
Hilfreich wäre zudem, wenn der Staat seine beträchtlichen finanziellen Spielräume nutzen würde. In diesem Jahr dürfte es zum vierten Mal in Folge einen Haushaltsüberschuss geben. Wann kann sich der Staat noch einmal für zehn Jahre zu einem Zins von 0,30 Prozent verschulden? Es ist völlig ausgeschlossen, dass es nicht zahllose Investitionsprojekte gibt, mit denen sich gesamtgesellschaftlich eine Rendite erzielen lässt, die deutlich über diesem Wert liegt. Die Anleger drängen dem Staat ihr Geld gewissermaßen auf und verlangen dafür fast keine Zinsen. Mindestens für Investitionen in Sachkapital, aber auch für die Bildung muss es doch erlaubt sein, Schulden aufzunehmen. Ein solcher Kurswechsel wäre auch nicht schlecht für die Länder des Euroraums, die ihre Schulden abbauen müssen – das kann ihnen letztlich nur gelingen, wenn sie mehr exportieren als importieren. Unsere Regierung hat hier eine Verantwortung. Nichts kann den Euro so sehr stabilisieren wie eine robuste Konjunktur in Deutschland.