Exklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Vor sieben Jahren war die Besteuerung von Kapitaleinkommen gravierend geändert worden. Damals diagnostizierte Finanzminister Peer Steinbrück, dass sich Kapitaleinkommen in Deutschland zunehmend der Besteuerung entzögen und prägte den Spruch: “Lieber 25% von x als 42% von nix.“ Das war in Kurzform die politische Begründung für eine Abgeltungsteuer von 25 Prozent auf Dividenden, Zinseinkünfte und Veräußerungsgewinne, die deutlich unter dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent lag.
Mittlerweile wird Kapitalflucht und Steuervermeidung aber immer schwieriger. Die OECD hat einen automatischen Informationsaustausch über Kapitaleinkünfte beschlossen und die EU müht sich darum Steuergestaltung zu erschweren. Daher gibt es eigentlich keinen Grund mehr, Kapital anders zu besteuern als Arbeit. Sollte die Abgeltungsteuer also abgeschafft werden? Was dafür und was dagegen spricht diskutieren Experten im Zeitgespräch der Februar-Ausgabe des Wirtschaftdienst.
Die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen gilt vielen als ein Argument für die Abschaffung der Abgeltungsteuer und damit einer höheren und progressiven Besteuerung von Kapitaleinkommen.
Margit Schratzenstaller vom WIFO gibt in ihrem Debattenbeitrag einen Überblick über die aktuelle akademische Diskussion zur Besteuerung von Kapitalerträgen und folgert daraus, dass nicht nur verteilungspolitisch sondern auch aus Gründen der Effizienz nun die Bedingungen gegeben seien, die „Optionen für eine Angleichung der Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen gründlich zu prüfen.“
Insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden sozialen Ungleichheit argumentiert Manfred Gärtner von der Universität St. Gallen, dass „[d]ie Abschaffung der Abgeltungsteuer nicht mehr und nicht weniger [wäre] als der Weg zurück zur ursprünglich von den Wählern doch offensichtlich gewünschten Gleichbehandlung von Arbeits- und Kapitaleinkommen bei der Finanzierung öffentlicher Aufgaben, einschließlich der Möglichkeit, gerade auch Kapitalerträge bei der Verfolgung verteilungspolitischer Ziele heranzuziehen.“
Aber ebenso gut kann steuersystematisch argumentiert werden. Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, hält die Abgeltungsteuer sogar für verfassungswidrig, weil sie gegen die Gleichbehandlung aller Einkünfte und das Leistungsfähigkeitsprinzip verstößt, das fordert, dass Steuerpflichtige gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich besteuert werden.
Ganz anders sehen das Clemens Fuest (Präsident des ZEW und designierter Chef des ifo-Instituts) und Christoph Spengel von der Uni Mannheim, sowie Sachverständigenratsmitglied Lars Feld zusammen mit Mitarbeitern des Stabs des Sachverständigenrates. Sie wenden sich in ihren Beiträgen gegen eine Abschaffung der Abgeltungsteuer.
Fuest und Spengel verweisen darauf, dass die Abgeltungsteuer in Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Staaten, die eine solche Steuer erheben, überdurchschnittlich hoch sei. Zudem müsste man bei Dividenden – auf die ein Großteil der Kapitaleinkünfte entfällt – berücksichtigen, dass diese als Unternehmensgewinne schon zuvor mit Körperschaft- und Gewerbesteuer belastet würden. Bei einer Abschaffung der Abgeltungsteuer könnte es sein, dass ausgeschüttete Gewinne in der Spitze mit bis zu 63 Prozent belastet würden. Auch träfe es nicht zu, dass mit Steuermehreinnahmen zu rechnen sei.
Es gehe nicht darum die Abgeltungssteuer abzuschaffen, so Fuest und Spengel, sondern sie dahingehend zu verbessern, dass die steuerliche Diskriminierung des Eigenkapitals gegenüber dem Fremdkapital korrigiert wird. Geeignet wäre hier das Konzept der dualen Einkommenssteuer, wie es der Sachverständigenrat u.a. in Zusammenarbeit mit dem ZEW entwickelt hat. Das sehen auch die Autoren des Sachverständigenrats so, die Finanzierungsneutralität des Steuersystems müsse verbessert werden, wodurch gerade „junge, innovationsstarke und wachstumsorientierte Unternehmen“ profitieren würden.
Hier der Link:
Zeitgespräch: Abschaffung der Abgeltungsteuer – gerechter und steuersystematisch einheitlicher?, in: Wirtschaftsdienst 2/2016, S. 83-100 (mit folgenden fünf Beiträgen: Abgeltungsteuer: Reformieren statt abschaffen von Clemens Fuest, Christoph Spengel; Zurück in die steuerliche Steinzeit? von Désirée I. Christofzik, Lars P. Feld und Uwe Scheuering; Gute Gründe für eine substanzielle Kapitalbesteuerung von Margit Schratzenstaller; Abgeltungsteuer adieu: Eine Frage des Anstands und gut für alle von Manfred Gärtner; Die Abgeltungsteuer löst keine Probleme, sondern ist selbst ein Problem von Gerhard Schick)