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Gabriels Coup

Ich habe mich gestern mit der ökonomischen Dimension der Flüchtlingsfinanzierung befasst – was aber ist von Sigmar Gabriels Vorstoß politisch zu halten?

Mein geschätzter Kollege Martin Greive hält die Forderung nach einem Sozialprogramm für die einheimische Bevölkerung polittaktisch für keine gute Idee. Ich stimme Martin zu, dass Gabriel aus Nervosität handelt. Die Situation für die SPD ist denkbar schlecht und er musste etwas tun. Wenn es wirklich seine feste Überzeugung ist, dass mehr Geld ausgegeben werden muss, dann hat er lange gewartet, anderen daran teilhaben zu lassen.

Dennoch glaube ich, dass Gabriel wiederum rein taktisch betrachtet einen Coup gelandet haben könnte. Es mag sein, dass eine Mehrheit der Deutschen gegen neue Schulden ist. Aber es geht hier nicht um die Deutschen, es geht um die Wähler der SPD. Mehr Geld für die Armen und noch dazu ein Riesenzoff mit Wolfgang Schäuble – da geht doch jedem Sozialdemokraten das Herz auf.

Gabriel hat mit seinen Äußerungen wenige Tage vor den Landtagswahlen das Profil seiner Partei geschärft – das kann sich durchaus auszahlen. Denn nichts braucht die SPD dringender als eine Mobilisierung ihrer Wähler.

 

Wer soll für die Flüchtlinge zahlen?

Der Wahlkampf ist in vollem Gang – Sigmar Gabriel will die zusätzlichen Ausgaben für die Flüchtlinge zur Not auch mit neuen Schulden finanzieren und fordert darüber hinaus neue Sozialprogramme für Deutsche, Wolfgang Schäuble hält das für „erbarmungswürdig“ und will an anderer Stelle weniger ausgeben, um die schwarze Null zu halten.

Diese Zuspitzung ist natürlich der politischen Logik geschuldet aber davon abgesehen berührt sie eine sehr wichtige ökonomische Grundsatzfrage: Wie sollen die Flüchtlingskosten finanziert werden?

Die Antwort lautet: Es kommt darauf an.

Nach der fiskalischen Theorie soll der Staat seine Ausgaben möglichst periodengerecht finanzieren. Das bedeutet: Die Nutznießer einer Ausgabe sollen auch ihre Kosten tragen. Damit gibt es zwei Alternativen:

1. Die Flüchtlingsausgaben sind Investitionsausgaben. Der Staat gibt in diesem Fall Geld für Bildung und Ausbildung aus, was die Flüchtlinge dazu befähigt einer Arbeit nachzukommen. Damit erzielen sie Einkommen und bezahlen Steuern. Sie können damit den Schuldenberg wieder abbauen, der ihretwegen aufgetürmt wurde. Die Kreditfinanzierung ist damit nicht nur unproblematisch, sondern sogar empfehlenswert – die Investition bringt eine positive Rendite.

2. Die Flüchtlingsausgaben sind Konsumausgaben. Die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt gelingt nicht – weil es nicht gelingt, die Neuankömmlinge ausreichend zu qualifizieren oder weil sie nach drei oder vier Jahren wieder das Land verlassen. In diesem Fall fliesst kein Geld zurück, den Aufwendungen stehen keine zukünftigen Erträge entgegen. In dieser Variante sollten die Ausgaben generell durch Einsparungen an anderer Stelle oder höhere Steuern finanziert werden, weil sonst folgenden Generationen zusätzliche Lasten aufgebürdet werden.

Das ist zugegeben eine vereinfachte Betrachtung. Weder wurden konjunkturelle Aspekte diskutiert (man kann argumentieren, dass es in der jetzigen Situation sinnvoll ist die Staatsausgaben hochzufahren um die Nachfrage anzukurbeln) noch politische (vielleicht dient es dem sozialen Zusammenhalt, ein wenig mehr Schulden zu machen).

Aber sie macht deutlich, dass es für die Frage der Finanzierung ganz entscheidend darauf ankommt, wie wir die Fähigkeiten der Flüchtlinge einschätzen – und wie wir uns ihre weitere Zukunft in Deutschland vorstellen: Wird es gelingen, die Neuankömmlinge so zu qualifizieren, dass sie einen positiven Beitrag zur Finanzierung des Staates leisten? Sollen sie möglichst dauerhaft in Deutschland bleiben oder nach Beruhigung der Lage in der Heimat wieder gehen? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, kann die Frage nach der richtigen Finanzierung beantwortet werden.

Im Moment übrigens werden die Flüchtlingsausgaben de facto als Konsumausgaben behandelt. Das Geld kommt aus den Haushaltsüberschüssen, die ansonsten wahrscheinlich dazu verwendet worden wären, die Steuern zu senken oder zusätzliche Investitionsprogramme zu verabschieden.