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Warum das Sparen nicht den Kredit begrenzt

 

Immer wieder gibt es größere Debatten darum, ob man den Ökonomen und ihrer Wissenschaft eigentlich trauen darf. Schließlich muten ihre Theorien und Modelle zu weilen seltsam an, mit ihren Prognosen liegen sie oft daneben und die Finanzkrise haben sie auch nicht vorhersagen können. Nun ist die Wirtschaftswissenschaft keine exakte Wissenschaft, aber den Mindeststandard, keinen theoretischen Unsinn in die reale Welt zu setzen, sollten Ökonomen schon erfüllen. Bei dem fundamentalen Thema der Geld- und Kreditschöpfung wird diese Messlatte aber regelmäßig gerissen.

Schlägt man ein beliebiges Einführungsbuch in die Ökonomie auf – etwa die Einführungstexte von Gregory Mankiw oder von Paul Krugman – wird einem dazu immer wieder die „Spartopftheorie“ des Kredits angeboten (für Kenner: die „Loanable Funds“-Theorie). Nach dieser Theorie bildet die Ersparnis einer Periode die Grundlage für den Kredit: Als erstes sparen die Haushalte (konsumieren also weniger als sie verdienen), dann geben sie die Ersparnis an die Banken, und die Banken geben sie dann als Kredit an die Unternehmen, die davon Investitionen finanzieren.

Sparen als Voraussetzung für Kredit?

Die Folgerung aus der Theorie: Je mehr die Haushalte konsumieren, desto weniger Geld bekommen die Banken und desto weniger Kredite die Unternehmen. Und desto weniger können die Unternehmen dann investieren. Sind die Investitionswünsche dann höher als die Spartätigkeit, müssten die Banken allen weiteren Kreditnachfragern mitteilen, dass der Kredittopf leider, leider schon gänzlich ausgeschöpft sei und man erst auf neue Ersparnis warten müsse.

Die klare Forderung ist dann: Haushalte müssen mehr sparen, um den Kredittopf wieder aufzufüllen! Das ist übrigens eines der Hauptargumente dahinter, mit dem ÖkonomInnen Regierungen dazu gebracht haben, das Sparen für die Rente vom staatlichen Rentensystem auf die Finanzmärkte umzuleiten – was man in Deutschland mit der Riester-Rente umgesetzt hat.

Laut dieser Theorie machen die Banken eigentlich nicht viel. Sie sind sogenannte reine „Intermediäre“, also reine Geldvermittler zwischen Sparern, die Geld verleihen, und Unternehmen, die welches leihen wollen. Spartopftheoretiker Mankiw schreibt dann auch ganz explizit: „Das Angebot an Mitteln [also Kredit, F.L.] stammt von denjenigen Menschen, die einen (derzeit überzähligen) Teil ihres Einkommens sparen und verleihen wollen. […] Ersparnis [ist] die Quelle des Angebots an Kreditmitteln.“

Aber irgendwas ist hier merkwürdig. Gehen wir das mal der Reihe nach durch: Die Theorie sagt, dass die Unternehmen nur investieren können, wenn die Haushalte sparen. Aber woher haben die Haushalte das Geld zum Sparen? Es fällt ja nicht vom Himmel. Die Haushalte müssten es vorher irgendwie als Löhne und Gewinne von den Unternehmen bekommen haben – denn das ist ja das Einkommen, aus dem sie sparen können. Die Unternehmen hatten das Geld also, bevor sie es den Haushalten gaben. Aber das mussten die Unternehmen sich doch laut Spartopftheorie von den Haushalten vorher leihen, oder?

Irgendwie beißt sich hier doch die Katze in den Schwanz. Woher soll denn ursprünglich das Geld hergekommen sein, das sich die Unternehmen irgendwann von den Haushalten geliehen haben? Haben vielleicht die Ururururgroßväter der Haushalte als Conquistadores Gold in Lateinamerika geraubt, es dann nach Europa gebracht und dreht es hier immer seine Runde zwischen Haushalten und Unternehmen, vermittelt durch die Banken? Das klingt irgendwie komisch – schon allein, weil wir nicht mehr mit Gold zahlen. Und das ist auch kein Wunder, denn diese ganze Geschichte ist natürlich nicht richtig.

Die Banken schaffen Geld und Kredit

Richtig ist, dass das Geld nicht aus Lateinamerika von den Inka und Mayas (oder sonst woher) kommt, sondern dass die Banken es einfach so neu schaffen können. Wer einen Kredit will (und für kreditwürdig erachtet wird), für den kreieren die Banken das Geld und den Kredit aus dem Nichts!

Nimmt etwa eine Unternehmerin einen Kredit auf, schreibt ihr die Bank einfach den Kreditbetrag auf ihrem Konto gut (Tada!: neues Geld und neuer Kredit sind geschaffen) und die Bank selbst erhöht ihr Guthaben um die Kreditsumme (das sind ihre Forderungen der Unternehmerin gegenüber, die diese später mit Zins und Rückzahlung bedienen muss). Das so geschaffene Geld ist sogenanntes „Giralgeld“, und der Vorgang nennt sich „Giralgeldschöpfung“.

Die Bank schafft also einfach aus der Luft simultan Kredit und Geld. Dazu muss kein einziger Haushalt auf Konsum verzichten. Tatsächlich hat noch keine Bank der Welt einen Kreditnehmer mit der Erklärung abgewiesen, dass ihr Spartopf jetzt ausgeschöpft sei und sie noch darauf warten müsse, dass sich irgendwer mit seinem Konsum zurückhält. Wenn die Unternehmerin das neu geschaffene Geld dann an ihre Angestellten in Form von Lohneinkommen zahlt, können die entscheiden, ob sie es sparen wollen oder nicht.

So kommt dann die Spartopftheorie vom Kopf auf die Füße: Die Ersparnis ist nämlich zumeist die Folge einer Kreditgewährung und nicht deren Ursache. Und wer das alles nicht glaubt, kann sich das gerne von der Bundesbank (hier) oder der Bank of England (hier) erklären lassen.

Natürlich können die Haushalte ihr Erspartes auch in Form von Krediten an Unternehmen oder die Banken weitergeben. Besonders Banken wie etwa die Sparkassen würden sich darüber natürlich sehr freuen. Aber auch das läuft in der realen Welt wieder genau nicht, wie sich die Spartopftheoretiker das vorstellen.

In der Regel bekommen Angestellte ihr Gehalt nämlich nicht bar von den Unternehmen ausgezahlt und überlegen sich dann, wie viel sie davon sparen und auf die Bank bringen. In der Regel bekommen sie es von den Unternehmen auf ihre Konten überwiesen. Die Unternehmen haben dann weniger Geld, die Haushalte mehr. Bei den Banken insgesamt liegt aber noch genauso viel Geld wie vorher, jetzt ist es nur anders verteilt.

Wenn die Haushalte dann einen Teil ihres Geldes wieder zurück an die Unternehmen überweisen, um für ihren Konsum zu bezahlen, und einen Teil auf dem Konto als Ersparnis lassen, ändert sich für die Banken wieder nichts an der Geldmenge. Es sind dann weder mehr noch weniger „Kreditmittel“ vorhanden. Ersparnis ist eben nicht – wie Mankiw das schreibt – „die Quelle des Angebots an Kreditmitteln“.

Gefahren der Spartopftheorie

Aber die Spartopftheorie ist nicht nur falsch, sie ist auch gefährlich. Denn eine höhere Ersparnis der Haushalte kann in der realen Welt ganz entgegen der Spartopftheorie dazu führen, dass die Unternehmen weniger Investitionskredit aufnehmen, und nicht mehr! Denn die wichtigste Geldquelle für Unternehmen ist nicht der Kredit, sondern der Umsatz. Der sinkt, wenn die Leute weniger kaufen. Und wenn Unternehmen weniger verkaufen, werden sie in der Regel nicht daran denken, mehr zu investieren, um sich bei schrumpfendem Absatz mehr Maschinen hinzustellen.

Dazu kommt, dass die Banken bei einem allgemeinen Umsatzrückgang mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr, sondern weniger, auf jeden Fall aber teurere Kredite an Unternehmen vergeben: Bei geringerem Umsatz bleibt den Unternehmen weniger Geld übrig, mit dem sie ihre Zinsen und Tilgung leisten können. Das steigert das Kreditausfallrisiko – und ein gesteigertes Risiko lassen sich die Banken in Form höherer Zinsen bezahlen. Denn auch wenn die Banken das Geld aus dem Nichts schaffen, gilt: Wenn die Kredite nicht bedient werden, müssen die Banken ihre Forderungen abschreiben und können pleitegehen.

Das alles ist nicht nur graue Theorie: Genau das ist es, was in einer Wirtschaftskrise passiert. Viele Haushalte (oder Unternehmen oder der Staat) verringern ihre Ausgaben, was die Umsätze einbrechen lässt, zu Kreditausfällen und dann zu Bankenkrisen führt. Zu beobachten in allen europäischen Krisenländern der letzten Jahre.

Das alles heißt nun aber, dass Banken eben nicht nur einfach Geldvermittler zwischen Sparern und Kreditnehmern sind. Sie sind selbst zentrale Akteure. Sie entscheiden nicht nur darüber, wer einen Kredit bekommt, sondern auch darüber, wie viel Kredit und (Giral-)Geld neu geschaffen werden. Sind die Banken also in einer Welt, in der sich alles ums Geld dreht, allmächtig, weil sie einfach so unendlich viel Geld schaffen und damit shoppen gehen können?

Grenzen der Geld- und Kreditschöpfung in der realen Welt

Das wäre dann allerdings doch zu schön. Denn die Banken können zwar im Prinzip unendlich viel Giralgeld schöpfen, aber wenn die Kreditnehmer das Geld irgendwo anders hin überweisen oder gar bar abheben wollen, nutzt den Geschäftsbanken all die Giralgeldschöpferei nichts mehr. Im Gegensatz zu uns Normalos akzeptieren die Banken untereinander nämlich nicht ihr jeweils selbstgemachtes Giralgeld. Untereinander wollen sie Zentralbankgeld sehen.

Zentralbankgeld ist das Geld, das allein die Zentralbank aus dem Nichts schaffen kann, und zwar dann, wenn sie den Geschäftsbanken einen Kredit gibt oder andere Aktiva erwirbt. Zum Zentralbankgeld gehört das Guthaben auf den Konten, die die Geschäftsbanken bei der Zentralbank haben und das Bargeld, das bei uns im Portemonnaie steckt oder bei den Geschäftsbanken im Tresor liegt.

Wenn wir Nichtbanken einander Geld überweisen, geschieht etwas zwischen den Banken, von dem wir in der Regel nichts mitbekommen: Die Banken, bei denen wir unsere Konten haben, schieben Zentralbankgeld zwischen ihren Zentralbankkonten hin und her.

Was heißt das genau? Wenn ich zum Beispiel im Supermarkt einkaufen gehe und per EC- oder Kreditkarte zahle, dann wird mein Konto bei meiner Bank (nennen wir sie A-Bank) belastet und der Betrag meines Einkaufes dem Supermarkt auf dessen Konto bei seiner Bank, der B-Bank, gutgeschrieben. Damit dies geschieht, muss meine A-Bank Zentralbankgeld von ihrem Konto bei der Zentralbank auf das Zentralbankkonto der B-Bank überweisen.

Der ganze Zahlungsverkehr klappt natürlich nur, wenn meine A-Bank genug Zentralbankgeld hat oder sich auf die Schnelle leihen kann. Hat sie nämlich nicht genug davon (obwohl mein Guthaben bei ihr groß genug ist), kann sie meine Zahlung nicht abwickeln und dann hat sie ein Problem (und ich auch!). Im schlimmsten Fall ist sie pleite. Dann habe ich zwar formal immer noch das schöne Giralgeld. Aber ich kann damit im wahrsten Sinne des Wortes nichts kaufen, weil ich es von der Bank weder bar abheben noch irgendwohin überweisen kann.

Und woher bekommen die Banken ihr Zentralbankgeld? Sie können es sich direkt bei der Zentralbank leihen oder untereinander auf dem sogenannten „Interbankenmarkt“. Auf dem Interbankenmarkt können Banken mit besonders hohen Guthaben bei der Zentralbank ihr „überschüssiges“ Zentralbankgeld an Banken verleihen, die es gerade brauchen.

Wenn die Banken untereinander Zentralbankgeld auf dem Interbankenmarkt verleihen, so wird kein neues Zentralbankgeld geschaffen. Das Geld fließt nur zwischen den Zentralbankgeldkonten der Geschäftsbanken hin und her. Nur wenn sich die Banken Zentralbankgeld bei der Zentralbank leihen, entsteht auch neues Zentralbankgeld.

Daher rührt auch die Wichtigkeit des Zentralbankzinses: Mit dem Leitzins bestimmt die Zentralbank, wie viel neues Zentralbankgeld kostet. Je höher der Zins ist, desto teurer werden Zentralbankgeldkredite für die Geschäftsbanken.

Wie eingeschränkt die Banken in ihrer Kreditvergabe trotz aller Geld- und Kreditschöpfung aus dem Nichts sind, hat etwa die Finanzkrise aus dem Jahr 2008/09 gezeigt: Als in den USA die Investmentbank Lehman Brothers pleitegegangen ist, brach sofort der Interbankenmarkt zusammen. Banken wussten nicht mehr, ob sie sich untereinander noch trauen konnten: Würde demnächst eine andere Bank zusammenbrechen? Dann würde man nämlich seine Interbankenforderungen verlieren und vielleicht selbst in die Pleite schlittern.

Also liehen sich die Banken von jetzt auf gleich nichts mehr untereinander. Damit stockte aber plötzlich die Fähigkeit der Banken, Zahlungen untereinander zu leisten. Wäre nichts geschehen, hätten die Banken geschlossen werden müssen und die Menschen wären nicht mehr an ihr Geld gekommen. Die Banken hätten zwar im Prinzip weiterhin Giralgeld schöpfen können – aber damit hätten sie sich eben nichts kaufen können. Die Giralgeldschöpfung ist ein mächtiges Instrument in der Hand der Banken, aber dadurch werden sie noch lange nicht allmächtig.

Genau für so eine Situation braucht man übrigens Zentralbanken. Als die Interbankenmärkte zusammenbrachen, ist die Zentralbank als „Ausleiher der letzten Instanz“ (Lender of Last Resort) eingesprungen. Damit blieben die Banken zahlungsfähig, und die Menschen konnten weiterhin problemlos Geld untereinander überweisen.

Summa summarum heißt das: Auch wenn die Banken Geld „aus dem Nichts“ schaffen können, so bleibt die Verfügbarkeit von Zentralbankgeld die wesentliche Beschränkung für ihre Kredit- und Geldschöpfung. Die Ersparnis der Haushalte beschränkt die Kredit- und Geldschöpfung aber nicht! Es wäre zu schön, wenn diese Erkenntnis aus der realen Wirtschaftswelt auch Einzug in die ökonomischen Einführungsbücher finden würde.