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Deutschland in der Rezession – eine Frage der Definition

 

Wenn man, wie in den USA üblich, eine Rezession definiert als zwei aufeinander folgende Quartale, in denen das saisonbereinigte reale BIP gegenüber dem jeweiligen Vorquartal zurückgeht, dann ist Deutschland nach den Zahlen, die heute vom Statistischen Bundesamt für das Jahr 2018 veröffentlicht wurden, noch nicht in einer Rezession: Um 1,5 Prozent war die reale Wirtschaftsleistung im vergangen Jahr höher als im Vorjahr. Nachdem es im dritten Quartal einen Rückgang von 0,2 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal gab, müsste es im vierten demnach rein rechnerisch wieder einem Anstieg von etwa 0,3 Prozent gegeben haben.

Ich würde eine Rezession lieber als eine Periode definieren, in der das Wachstum des BIP längere Zeit geringer ist das des Produktionspotenzials: Da dieses etwa 1,5 Prozent beträgt, herrscht inzwischen eine Rezession.

In den deutschen Medien haben wir es dagegen erst dann mit einer Rezession zu tun, wenn das reale BIP in einem Kalenderjahr niedriger ist als im Vorjahr. Da die Zuwachsrate im Jahr 2018 bei 1,5 Prozent lag, ist eine Rezession nach dieser Rechnung bisher überhaupt kein Thema, zumal für 2019 nach den gängigen Prognosen erneut im Durchschnitt ein positiver, wenn auch mickriger Wert herauskommen dürfte.

So oder so, unsere Wirtschaft stagniert. Es würde mich nicht überraschen, wenn sich das in den nächsten Monaten auch am Arbeitsmarkt zeigt. Noch nimmt die Beschäftigung (in den letzten sechs Monaten) mit einer Jahresrate von 0,8 Prozent zu und hat inzwischen den Rekordwert von 45 Millionen erreicht. Wenn die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aber weiter stagniert, wird sich ein Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht vermeiden lassen, es sei denn es kommt zu einem Stillstand bei der Produktivität, beispielsweise weil das Produktionstempo verringert wird, ohne dass Arbeitskräfte entlassen werden – die Unternehmen würden, wie in den Jahren 2012 und 2013, darauf setzen, dass die Rezession nur kurz sein wird und es daher nicht lohnt, durch den vollen Zyklus von Entlassung, Wiedereinstellung und Einarbeitung zu gehen.

Eins ist einigermaßen sicher: Es wird mehr ungenutzte Kapazitäten und einen schärferen Wettbewerb geben. Den Unternehmen und Arbeitnehmern wird es daher nicht leicht fallen, ihre Preise und Löhne um so viel anzuheben, wie sie es gerne hätten. Das Risiko einer Deflation hat wieder zugenommen. Es ist unwahrscheinlicher geworden, dass die EZB in diesem Jahr die Leitzinsen erhöhen wird. Für Anleger bedeutet das, dass sie am Bondmarkt gut aufgehoben sind, trotz der negativen Realzinsen. Aktien sind zwar seit dem Herbst deutlich billiger geworden, sie dürften aber wegen der schlechten Konjunktur vorläufig weiter unter Druck bleiben.

Warum gerade jetzt, nach einem nur fünfjährigen Aufschwung und angesichts eines boomenden Arbeitsmarkts, bereits wieder eine Rezession ansteht, ist mir nicht klar. Ich weiß natürlich, was sich auf der Nachfrageseite tut, dass sowohl die privaten Haushalte als auch der Staat trotz der sehr günstigen Entwicklung von Einkommen und Steuern zuletzt kaum ihre Ausgaben erhöht haben, und dass sich die Weltkonjunktur sichtbar abkühlt, aber warum das so ist – keine Ahnung. Warum haben die Haushalte auf einmal ihre Sparquote erhöht, warum versucht der Staat, seine Budgetüberschüsse ständig weiter zu steigern? Letztere haben inzwischen 1,7 Prozent des nominalen BIP erreicht. Zukunftsängste? Je reicher die Leute sind, desto mehr Angst haben sie?

Immerhin hat die Finanzpolitik inzwischen einen beträchtlichen Spielraum für antizyklische Maßnahmen. Während die Geldpolitik ihr Pulver de facto verschossen hat, kann der Staat wenn nötig seine Ausgaben massiv steigern und Steuern und Sozialabgaben senken. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von gerade einmal 0,2 Prozent ist geradezu eine Aufforderung, mehr Schulden zu machen und im Gegenzug in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung zu investieren, die Steuern wachstumsfreundlich zu senken, ohne dass dabei die soziale Gerechtigkeit zu kurz kommen muss. Ich hoffe, unsere Politiker sehen das ebenso.