Exklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: In der Dezember-Ausgabe des Wirtschaftsdienst wird die Frage beantwortet, wer von der in der Großen Koalition vereinbarten Grundrente profitieren wird. Der Kompromiss verbessert die Situation von mehr als einer Millionen Rentnern und Rentnerinnen und erhöht deren Rente im Schnitt um ein Drittel. Durch die vereinbarte Einkommensprüfung ist der betroffene Personenkreis mehr als halbiert worden. Die Wissenschaftlerinnen Charlotte Fechter, Marlene Haupt, Sandra Hofmann, Andrea Laukhuf, Werner Sesselmeier, Sabrina Spies und Aysel Yollu-Tok haben untersucht, wie sich die Kompromiss-Rente auf unterschiedliche Gruppen potenziell Anspruchsberechtigter auswirkt.
Ursprung des zähen Ringens in der Großen Koalition um die Grundrente war der Koalitionsvertrag. Dieser sieht vor, die „Lebensleistung“ besser zu honorieren. Ziel ist es, lang arbeitenden Personen eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu ermöglichen. Die Autorinnen merken dazu an: „Die gesetzliche Rentenversicherung sieht bisher kein grundsicherndes Element für den Schutz vor Altersarmut vor. Die ausgezahlte Rente aus der ersten Säule orientiert sich gemäß dem Äquivalenzprinzip an den Entgeltpunkten, dem Zugangsfaktor, dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert, der sich zwischen Ost- und Westdeutschland unterscheidet.“ Bei Rentenansprüchen von unter 865 Euro kann die sogenannte Grundsicherung im Alter beantragt werden.
Der Kompromiss für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Grundrente wurde letztlich durch den Verzicht der Union auf eine Bedürftigkeitsprüfung und die Zustimmung der SPD zu einer Einkommensprüfung erreicht. Mit 35 Beitragsjahren, die sich aus Beschäftigung, Kindererziehung und Pflegetätigkeit zusammensetzen, und 0,3 bis 0,8 Entgeltpunkten können die erworbenen Entgeltpunkte für 35 Jahre (maximal auf 0,8) verdoppelt werden. „Somit wird das lebensstandardsichernde Element der gesetzlichen Rentenversicherung relativiert, was zu einem Bruch mit der Leistungsgerechtigkeit (Äquivalenzprinzip) führt“, führen die Autorinnen aus.
Auf der Grundlage von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) analysieren sie, für welche Personengruppen, unterschieden nach Geschlecht, Region sowie verschiedenen Bildungsniveaus und Einkommensbereichen, sich die Renten in welcher Höhe durch die Kompromiss-Rente ändern. Ein direkter Vergleich des monetären Zugewinns zwischen den Gruppen ist so möglich und der Effekt der Einkommensprüfung auf die Zahl der jeweils betroffenen Personen quantifizierbar.
„Die regionale Verteilung zeigt, dass rund 4 % (ohne Einkommensprüfung 10 %) aller westdeutschen Rentner sowie 7 % (14 % ohne Einkommensprüfung) aller ostdeutschen Rentner die Kompromiss-Rente beziehen würden. Weiterhin ergibt die Analyse, dass ohne Einkommensprüfung etwa 12 % [14 % nach Einkommensprüfung] derjenigen, die aktuell eine Grundsicherung beziehen, einen Anspruch auf die Respekt-Rente hätten“, stellen die Autorinnen fest und führen weiter aus: „Die durchschnittliche Rente von allen Rentnern liegt bei 1406,03 Euro. Der Personenkreis, der nach Einkommensprüfung einen Anspruch auf die Kompromiss-Rente hätte, bezieht im Durchschnitt eine Rente von 697,49 Euro. Durch die Kompromiss-Rente erhalten diese Personen eine Erhöhung von durchschnittlich 232,98 Euro. Die Rente würde somit auf 930,47 Euro steigen.“
Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich der Kompromiss auf verschiedene Personenkreise auswirkt. Je nach Region, Geschlecht und Bildung ergeben sich teils erhebliche Unterschiede. So ist die Leistung aus der Kompromisse-Rente im Westen mit etwa 250 Euro im Schnitt um knapp 50 Euro höher als im Osten. Frauen profitieren stärker als Männer. Bei der geschlechtsspezifischen Unterscheidung wird deutlich, dass insbesondere westdeutsche Frauen durch die hier häufiger anzutreffende Teilzeitbeschäftigung vom Kompromiss profitieren. Außerdem profitieren Geringqualifizierte stärker als besser Qualifizierte.
„Die Ausgestaltung der Reform scheint einen bestimmten Personenkreis zu belohnen, während andere Gruppen davon ausgeschlossen bleiben. Während Teilzeitbeschäftigung westdeutscher Frauen honoriert wird, sind Erwerbsbiografien ostdeutscher Frauen finanziell benachteiligt, auch wenn sie häufiger von der Kompromiss-Rente profitieren“, resümieren die Autorinnen, die Kompromiss-Rente könne nicht dazu beitragen, die monetären Differenzen im Alter zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Diese seien weiterhin ein Resultat der ungleichen Verteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit im Lebensverlauf.
Die Wissenschaftlerinnen warnen zudem eindringlich vor dem erwarteten bürokratischen Aufwand der Grundrente. Die Rentenversicherung erwartet einen Mehrbedarf von mehreren tausend Stellen. Eine „negative Einkommensteuer für Rentenbezieher“ wäre aus ihrer Sicht zu bevorzugen. Sie führen dazu aus: „Diese würde ein großes Bürokratievorhaben vermeiden und vielmehr für eine automatische Verrechnung von geringer Rente mit Transferleistungen innerhalb der Einkommensteuer sorgen. Damit könnte der negativ konnotierte Gang zum Sozialamt für Rentner vermieden und zudem ein Einstieg in eine generelle Vereinfachung des Steuersystems erreicht werden.“
Lesen Sie hier die ausführliche Analyse von Charlotte Fechter, Marlene Haupt, Sandra Hofmann, Andrea Laukhuf, Werner Sesselmeier, Sabrina Spies und Aysel Yollu-Tok aus der Dezember-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:
Kompromiss zur Grundrente: Wer profitiert?, in: Wirtschaftsdienst 12/2019, S. 843-848