Exklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Die Globalisierung wird insbesondere von Populisten für Arbeitslosigkeit und soziale Probleme verantwortlich gemacht. Welchen Einfluss hat sie aber tatsächlich auf den westdeutschen Arbeitsmarkt? War Deutschland anders von der Globalisierung betroffen als die USA oder europäische Partnerländer? Ist auch bei uns mit einer Revolte der „Abgehängten“ gegen das Establishment zu rechnen? Und was kann und sollte man aus ökonomischer Sicht tun, um den Globalisierungsverlierern zu helfen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine Autorengruppe um Jens Südekum, Professor am Düsseldorf Institute for Competition Economics in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienst.
Donald Trump hat die US-Wahl gewonnen und Großbritannien hat sich für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden, nicht weil Wähler in den urbanen Zentren dafür gestimmt hätten, sondern weil „Abgehängte“ in den alten Industriezentren gegen die Globalisierung und deren Folgen für ihre Arbeitsplätze protestieren wollten. So interpretieren die Autoren die wichtigen Entscheidungen von 2016. Sie fragen sich, ob auch in den 2017 anstehenden Wahlen in Deutschland Protektionismus ein entscheidender Faktor sein wird.
Was hat sich tatsächlich verändert? Zunächst einmal ist festzustellen, dass seit Beginn des Jahrtausends China einen enormen Anstieg seines Weltmarktanteils im Verarbeitenden Gewerbe erlebt hat. Für Deutschland besonders relevant ist außerdem die Öffnung Osteuropas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Mit beiden Gebieten hat sich der Außenhandel rasant entwickelt – und dies nicht nur durch importierte Güter, die einen Konkurrenzdruck auf deutsche Produkte ausüben, sondern auch in Hinblick auf Exporte, für die sich die Absatzchancen in den prosperierenden Ländern deutlich verbessert haben.
Welche Regionen in Deutschland gehören zu den Gewinnern? Welche sind die Verlierer? Die Autoren haben diese anhand des regionalen Beschäftigungswachstums und seiner sektoralen Zusammensetzung in den alten Bundesländern, für die es konsistente Daten seit 1978 gibt, identifiziert. Vor allem Regionen, in denen importkonkurrierende Produkte hergestellt wurden, haben verloren (vgl. Karte): das Ruhrgebiet (Schwerindustrie), die Pfalz (Textil) und Oberfranken (einfache Elektroartikel). Die Gewinner sind Regionen, aus denen Produkte mit komparativen Vorteilen gegenüber anderen Ländern kommen, wie z.B. Autos, Maschinen und andere Investitionsgüter sowie Pharmaerzeugnisse – und diese Regionen liegen fast ausschließlich in Bayern und Baden-Württemberg.
Was sind nun die Unterschiede zu den USA? Dazu verweisen die Autoren unter anderem auf die viel beachtete Studie von Autor, Dorn und Hanson zum „China-Schock“. Tatsächlich gibt es auch dort Jobverluste, die räumlich stark konzentriert sind. Es gibt aber – anders als in Deutschland – keine Gebiete, die dezidiert die Absatzchancen im Ausland nutzen konnten. Dies spiegele sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Handelsbilanz wider: Die USA haben dort wachsende Defizite zu verzeichnen, während Deutschland und China zunehmende Überschüsse ausweisen.
Die Autoren konstatieren: „Die Zustimmung für Donald Trump war in Gegenden höher, die stärker von chinesischer Importkonkurrenz betroffen waren. Vergleichbare Evidenz liegt für die BrexitAbstimmung vor.“ Was ist in Deutschland zu erwarten? Da durch die Globalisierung insgesamt sogar noch Arbeitsplätze hinzugewonnen werden konnten, werden protektionistische Tendenzen wohl weniger im Mittelpunkt stehen, sondern eher die Frage der Zuwanderung. Dennoch müsse etwas für die Globalisierungsverlierer getan werden, was nicht zuletzt der ökonomischen Logik entspräche, dass die „Gewinner“ der Globalisierung Kompensation leisten.
Grundsätzlich sorgt das progressive Steuersystem ja dafür, dass Zugewinne vom Staat verteilt werden können. Allerdings sei die Umverteilung hier nicht unbedingt zielgenau. Die drei Autoren fordern daher insbesondere Maßnahmen zur Qualifikation und zur Mobilitätsförderung, damit Beschäftigte, die aufgrund der Globalisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, wieder eine Stelle finden. Sie schließen: „Die Gefahr ist in der gegenwärtigen historischen Situation mit Händen greifbar, dass sich der Globalisierungsfrust ansonsten in einer extremen protektionistischen Gegenreaktion entlädt, die den Kuchen für alle kleiner macht.“
Lesen Sie hier exklusiv vorab aus der Januar-Ausgabe des Wirtschaftsdienst den Artikel von Jens Südekum, Wolfgang Dauth und Sebastian Findeisen:
Verlierer(-regionen) der Globalisierung in Deutschland: Wer? Warum? Was tun?, in: Wirtschaftsdienst 1/2017