Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Schwacher Euro, starke Wirtschaft

 

Die Schwäche des Euro wirkt wie ein massives Konjunkturprogramm – und sie heizt inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Währungsunion die Inflation an. Es ist ein bisschen wie in den Wirtschaftswunderjahren, als eine unterbewertete D-Mark für hohe Wachstumsraten und, in den frühen siebziger Jahren, für einen starken Anstieg der Inflationsraten sorgte.

Noch besser: Vorlaufende Indikatoren wie der Purchasing Managers Index (PMI) für Euroland, die Erwartungskomponente des Ifo-Index sowie die deutschen Auftragseingänge in der Industrie und im Bau lassen erwarten, dass sich der Aufschwung fortsetzen wird, Donald Trumps protektionistische Pläne hin oder her. Die Erwartungen sind besser als die Lage.

Im vierten Quartal war das reale BIP Deutschlands gegenüber dem dritten Quartal trotz des freundlichen Umfelds nur um 0,4 Prozent gestiegen. Vor allem in der Industrie war es nicht so gut gelaufen. Wie die erste Grafik suggeriert, wird sich das im Verlauf des ersten Halbjahres aber deutlich verändern; wenn der Zusammenhang zwischen ifo-Erwartungen und der Produktion im verarbeitenden Gewerbe so stabil ist wie in der Vergangenheit, ist mit Zuwachsraten in der Größenordnung von 3,5 Prozent zu rechnen, was dann auch zu höheren Zuwachsraten beim BIP führen wird.

Grafik: Ifo Erwartungen und Industrieproduktion

Getrieben wird die Expansion nun schon seit einiger Zeit vom privaten Verbrauch, der vom anhaltenden Anstieg der Beschäftigung und Tariflöhne profitiert (im 4. Quartal im Vorjahresvergleich +0,6 beziehungsweise +2,3 Prozent). Das ist ein ziemlich neues Phänomen und offenbar darauf zurückzuführen, dass die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nachgelassen hat. Insgesamt ist die deutsche Wirtschaft im Augenblick sehr wettbewerbsfähig und benötigt ständig zusätzliches Personal. Mit anderen Worten, solange der Wechselkurs da bleibt wo er ist, dürfte der Konsum der Haushalte, auf den 54 Prozent des BIP entfallen und der damit die bei Weitem die wichtigste Nachfragekomponente ist, weiter für solides Wachstum sorgen.

Wie der nächsten Grafik zu entnehmen ist, entwickelt sich der staatliche Konsum, der zusätzlich knapp 20 Prozent des BIP ausmacht, noch dynamischer. Niedrige Schuldzinsen, die gute Lage am Arbeitsmarkt und die gute Konjunktur insgesamt haben die öffentlichen Finanzen so verbessert, dass – ich übertreibe nur wenig – die Ausgaben kaum mit den Einnahmen Schritt halten. Der Staat erwirtschaftet seit Jahren Überschüsse. Fragt sich, ob das so bleiben wird. Auch hier vermute ich, dass der Wechselkurs die wesentliche Determinante ist. Noch ist der Euro auf dem Weg nach unten, weil die Fed die Zinsschraube weiter anziehen wird, während die EZB für’s Erste bei ihrer expansiven Politik bleiben dürfte. Dem Staat wird das Geld daher nicht ausgehen und es ist wahrscheinlich, dass er es großzügig ausgeben wird, zumal eine wichtige Wahl ansteht. Mindestens bis einschließlich des dritten Quartals wird die Finanzpolitik den Fuß auf dem Gaspedal lassen.

Grafik: Konsumausgaben der Privaten und des  Staates in Deutschland

Nicht so gut sieht es bei den Ausrüstungsinvestitionen aus: Die deutschen Unternehmen lassen sich weder durch hohe Gewinne, niedrige Zinsen, hohe Aktienkurse noch durch ihre Exporterfolge dazu bewegen, mehr zu investieren. Nicht nur das, sie haben ihre Ausgaben im Verlauf des vergangenen Jahres real sogar gekürzt. Möglicherweise kommen sie mit dem vorhandenen Kapitalstock gut zurecht, haben also noch Kapazitätsreserven. Zu dem Schluss komme ich auch, wenn ich den Produktionstrend in der Zeit vor 2009 bis in die Gegenwart verlängere. Noch ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht so stark gestiegen, dass die Unternehmen bereits am Limit operierten. Der schwache Euro könnte ein zusätzlicher Grund für die Investitionszurückhaltung sein – da es keine Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit gibt, besteht wenig Anlass, die Betriebskosten durch eine kapitalintensivere Produktion zu vermindern. Andere Gründe fallen mir nicht ein. Es würde mich aber überraschen, wenn die Ausrüstungsinvestitionen weiter rückläufig wären – dazu passt nicht die optimistische Grundhaltung der Unternehmer.

Grafik: Ausrüstungsinvestitionen und Bauinvestitionen in Deutschland

Alles spricht dafür, dass die Bauinvestitionen, die einen Anteil von knapp 10 Prozent am nominalen BIP haben, weiter gut laufen werden. Die Aufträge an das Baugewerbe lagen real im vierten Quartal um nicht weniger als 10,2 Prozent über ihrem Vorjahreswert und sind damit deutlich rascher gestiegen als die Bauproduktion. Die Auftragsbücher sind so voll, dass die Firmen für den Rest des Jahres genug zu tun haben. Da die Hypothekenzinsen wegen der anziehenden Inflation von nun an der Tendenz nach steigen werden, müssen sich die potenziellen Bauherren beeilen: So billig wie heute wird Baugeld auf Jahrzehnte hinaus nicht mehr sein. Das wirkt für die Konjunktur wie ein Turboeffekt.

Insgesamt haben wir es also mit einer robusten Inlandsnachfrage zu tun; die Abhängigkeit von der Konjunktur im Ausland und vom Wechselkurs ist entsprechend zurückgegangen. Deutschland hat sich seit dem zweiten Halbjahr 2015 sogar zu einer Art Lokomotive für den Rest der Welt und insbesondere für den Euroraum entwickelt. Es hätte angesichts des finanziellen Spielraums des Staates mehr sein können, und es hätte schon viel früher passieren müssen. Dann wäre die Eurokrise nicht so eskaliert und die Sparpolitik, zu der die Schuldnerländer gezwungen wurden, wäre weniger extrem ausgefallen, vor allem was ihre Effekte auf die Jugendarbeitslosigkeit angeht. Spät ist nicht zu spät. Es sieht jetzt danach aus, dass alle Volkswirtschaften des Euroraums 2017 expandieren und zunehmend große sogenannte Primärüberschüsse in ihren Haushalten erreichen werden. Sie sind also in der Lage, ihre Schulden vereinbarungsgemäß zu bedienen. Das gilt auch für Griechenland, Portugal und Italien.

Grafik: Leistungsbilanzsaldo Deutschlands

Es hilft jedenfalls, dass die deutschen Einfuhren real seit Mitte 2015 etwa doppelt so rasch zunehmen wie die Ausfuhren und dass der Saldo der Leistungsbilanz kräftig zurückgeht. Im Wesentlichen spiegelt das die Tatsache wider, dass die Konjunktur hierzulande seit Jahren besser läuft als bei den europäischen Partnerländern. Eine Rolle spielt darüber hinaus, dass die deutschen Löhne wegen der starken Nachfrage nach Arbeit kräftiger zunehmen. Die sogenannte interne Abwertung (als Gegensatz zu der nicht möglichen Abwertung des Wechselkurses) durch Kostensenkungen (sprich Lohnzurückhaltung) scheint in den Krisenländern endlich zu gelingen. Die sozialen Probleme, die mit ihr einhergingen, haben aber zeitweise vor allem außerhalb Europas dazu geführt, dass die weitere Existenz des Euro infrage gestellt wurde. Das bleibt leider immer noch ein Thema. In den holländischen und französischen Wahlen wird das ein zentrales Thema sein.

Ich wünsche mir, dass nun von deutscher Seite Vorschläge gemacht werden, wie sich eine solche kostspielige Strategie in Zukunft vermeiden lässt. Der Deal muss darauf hinauslaufen, dass die Krisenländer ihre Modernisierungsprozesse weiterführen und ihnen im Gegenzug ein Einstieg in einen weitergehenden horizontalen Finanzausgleich und/oder eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung angeboten wird. Irgendwann müssen die nächsten Schritte in Richtung einer immer engeren Union der Völker Europas ohnehin getan werden. Der Euro wird nicht überleben, wenn die Solidarität der Mitgliedsländer nicht deutlich gestärkt wird.