Exklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Über das „Bedingungslose Grundeinkommen“ wird schon seit langem diskutiert. Zwar gibt es Modellversuche, aber in einer gesamten Volkswirtschaft wurde es bisher noch nicht eingeführt. Interessant ist, wie sich dieses Konzept auf die wichtigen ökonomischen Faktoren Lohn, Arbeits- und Kapitaleinsatz, Produktivität, Inflation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft auswirkt. Thieß Petersen von der Bertelsmann-Stiftung stellt in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienst Überlegungen zu den möglichen Zusammenhängen und Wirkungen an. Er kommt aber angesichts der Unsicherheiten und Gefahren zu dem Ergebnis, dass die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens ein großes ökonomisches Wagnis wäre.
Thieß Petersen geht bei seinen Überlegungen davon aus, dass ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ (BGE) in Deutschland flächendeckend für jeden Bürger eingeführt wird. Die Höhe des BGE soll sich am sozio-ökonomischen Existenzminimum orientieren und ist steuerfinanziert, wobei das BGE selbst steuerfrei bleibt. Der prinzipiellen Konzeption eines BGE entsprechend entfallen im Gegenzug alle steuer- und beitragsfinanzierten Sozialtransfers. Eine Ausnahme bilden dabei die Kranken- und Pflegeversicherung, die außerhalb des BGE organisiert werden.
Der Autor verzichtet darauf, spezielle Konzepte und Ausgestaltungen des BGE zu diskutieren (hierzu gibt es mittlerweile eine umfangreiche Literatur), und konzentriert sich bei seiner Analyse der gesamtwirtschaftlichen Effekte auf drei Aspekte dieses Einkommens, nämlich: seine Unbedingtheit, seine Höhe und seine Finanzierung. Dabei stellt sich heraus, dass „selbst qualitative Aussagen über die Entwicklungsrichtung der [makroökonomischen] Indikatoren – Anstieg, Rückgang oder Konstanz – mit großer Unsicherheiten verbunden [sind].“ Neben den komplexen Wirkungszusammenhängen in einer Volkswirtschaft sind ein wesentlicher Grund für diese Unsicherheit die nicht eindeutig vorrausehbaren Reaktionen von Bürgern und Unternehmen bezüglich ihres Arbeitsangebotes oder ihrer Arbeitsnachfrage:
- Das Arbeitsangebot der Bürger: Das „BGE reduziert den Zwang, den Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit zu verdienen.“ Je geringer das Einkommen und je unbefriedigender die Tätigkeit ist, die ein Beschäftigter ausübt, desto eher wird damit zu rechnen sein, dass dieser Beschäftigte sein Arbeitsangebot einschränkt. Bezieher hohen Einkommen werden ihr Arbeitsangebot dagegen kaum ändern. Anderseits hätten Personen, die bisher Transferleistungen bezogen haben, einen Anreiz ihr Arbeitsangebot auszudehnen, da die Anrechnung des Erwerbseinkommens auf die Transferleistung beim BGE entfällt. Geht man davon aus, dass das Arbeitsangebot insgesamt zurückgeht, so der Autor, würde das zu einem Anstieg des Lohns insbesondere für geringer qualifizierte Arbeitskräfte führen.
- Die Arbeitsnachfrage der Unternehmen: Falls es zu einem Rückgang des Arbeitsangebots und einem Lohnanstieg kommt, haben die Unternehmen einen Anreiz mehr Kapital und Technologie einzusetzen, und weniger Arbeit nachzufragen. Anderseits würde ein Wegfall der Lohnnebenkosten durch das BGE die Nachfrage nach Arbeit erhöhen. Insgesamt, so der Autor, sei es jedoch plausibel, dass das Arbeitsangebot stärker zurück geht als die Arbeitsnachfrage, die Beschäftigung per Saldo sinkt und mit einem Anstieg der Löhne zu rechnen sei.
- Ein Anstieg der Löhne führt tendenziell zu einem Preisanstieg. Ebenso wie ein hinreichend hohes Grundeinkommen, das einkommensarmen Haushalten ein höheres verfügbares Einkommen und höhere Konsumausgaben ermöglicht. Anderseits kann ein verringertes Arbeitsangebot aber auch zu einem Rückgang der Konsumausgaben führen. Ebenfalls relevant für den Preisanstieg ist die Finanzierung des BGE. So würde eine Erhöhung der Umsatzsteuer oder der Produktionssteuern zu steigenden Preisen führen.
- Die Arbeitsproduktivität könnte steigen, wenn die Beschäftigten die Freiheit durch ein BGE für eine bessere Ausbildung nutzen würden, und mehr Kapital und Technologie eingesetzt würde. Allerdings könne dieser Effekt aufgrund einer möglicherweise höheren Besteuerung des Kapitals gedämpft werden.
- Die internationale Wettbewerbsfähigkeit hängt nicht zuletzt von den Lohnstückkosten ab – dem Verhältnis zwischen Löhnen und Arbeitsproduktivität. Steigen die Löhne stärker als die Arbeitsproduktivität, nimmt die Wettbewerbsfähigkeit ab und im anderen Fall nimmt sie zu. Eine Prognose sei da nicht möglich. Die Finanzierung des BGE über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer hätte zusammen mit dem Wegfall der Sozialversicherungsbeiträge dagegen eine „fiskalische Abwertung“ und damit eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zur Folge.
- Die Einkommensverteilung kann sich, wie oben beschrieben, zugunsten der unteren Einkommensgruppen und weniger qualifizierter Beschäftigter verbessern – dies umso mehr, wenn das BGE höher als die bisherigen Transferzahlungen ist. Anderseits dürfte eine kapitalintensivere Produktion die Verteilung der Markteinkommen zugunsten der Kapitaleigentümer verschieben. Würde das BGE durch eine Besteuerung höherer Einkommen finanziert, verringere dies die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen.
Wie sich die Einführung eines BGE letztendlich auf das Wirtschaftswachstum auswirkt, hängt primär von der Entwicklung des Arbeits- und Kapitaleinsatzes, des technischen Fortschritts und der Produktivität ab. Wie die Analyse zeigt, ist bei der Einschätzung der Effekte eine Menge Spekulation im Spiel. „Angesichts dieser großen Unsicherheit über die Reaktion des Arbeits- und Kapitalangebots sind keine eindeutigen Aussagen über die makroökonomischen Konsequenzen eines BGE möglich“, schreibt Petersen. Problematisch seien dabei insbesondere die Verhaltensänderungen der privaten Haushalte und Unternehmen. „Deren Reaktionen ’sind bei großen strukturellen Veränderungen schwer vorauszusehen'“. Von daher “ wäre die flächendeckende Einführung eines BGE ein großes ökonomisches Wagnis.“
Ließe sich das ökonomische Risiko reduzieren? Man könnte ein BGE auf niedrigem Niveau einführen, was aber bedeutet, dass „die wesentlichen Vorteile eines BGE nicht zum Tragen“ kämen. Oder man wartet, bis die Kapitalintensität der Produktion hinreichend hoch ist.
Lesen Sie hier exklusiv vorab ausführlich den Beitrag von Thieß Petersen zum „Bedingunglosen Grundeinkommen“ aus der September-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:
Makroökonomische Effekte eines bedingungslosen Grundeinkommens, in: Wirtschaftdienst 9/2017