Exklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Der deutsche Blick auf das österreichische Rentensystem führt schnell zu einer einfachen Frage: „Warum sind die Renten in Österreich so viel höher als bei uns?“ Wie in Deutschland gab es auch in Österreich verschiedene Reformen der öffentlichen umlagefinanzierten Rentenversicherung, allerdings wurde dort am Ziel der Lebensstandardabsicherung im Alter festgehalten. Kritiker des österreichischen Systems wenden nicht zuletzt deshalb ein, dass es nicht nachhaltig zu finanzieren sei. Diesen Vorwurf entkräften Florian Blank, Camile Logeay, Erik Türk, Josef Wöss und Rudolf Zwiener in einem Beitrag in der März-Ausgabe des Wirtschaftsdienst.
Den Kern des österreichischen Rentensystems bildet nach vielen Reformen und auch Kürzungen nach wie vor die umlagefinanzierte österreichische Rentenversicherung (ÖRV). Betriebliche und private Renten spielen eine untergeordnete Rolle und haben nur eine ergänzte Funktion. In der ÖRV gilt „das Ziel der weitgehenden Lebensstandardsicherung im Alter.“ Die ÖRV erbringt neben verschiedenen Rentenleistungen auch Leistungen zur Gesundheitsvorsorge. „Die individuellen Leistungen bemessen sich an […] den gezahlten Beiträgen und gegebenenfalls weiteren rentenrechtlich relevanten Zeiten (z.B. Kindererziehungszeiten). Die Anpassung der Rentenanwartschaften folgt der Entwicklung der beitragspflichtigen Einkommen, jene der laufenden Renten der Inflationsrate.“
In die ÖRV sind neben Arbeitnehmern auch Selbständige und Beamte einbezogen. Die Finanzierung der ÖRV erfolgt über die Beiträge der Versicherten, die bei speziellen Gruppen bezuschusst werden, und einen Zuschuss des Bundes im Rahmen einer Ausfallhaftung. Da der Beitragssatz fixiert ist, ist Letzteres das variable Element, das die Finanzierung bei Einnahme- oder Ausgabeschwankungen garantiert. Der Beitragssatz beträgt seit 1988 unverändert 22,8 Prozent, wobei 12,55 Prozent von den Arbeitgebern und 10,25 Prozent von den Beschäftigten getragen werden. Die breite Finanzierungsbasis einer solchen „Erwerbstätigenversicherung“ und der im Vergleich zu Deutschland höhere Beitragssatz ermöglichen deutlich höhere Leistungen als hierzulande. So liegt in Deutschland im Jahr 2016 die durchschnittliche Nettorente bei 857 Euro, in Österreich sind es 1329 Euro, wie die Autoren in einer Tabelle zeigen.
Wie steht es um die finanzielle Nachhaltigkeit dieses System, die in der Rentendebatte von Kritikern immer wieder angezweifelt wird?
Zunächst stellen die Autoren fest, dass „Nachhaltigkeit ein politisches Konzept“ ist, dass sich einer unstrittigen wissenschaftlichen Definition entzieht. Mit Blick auf die österreichische Rentenpolitik beschreiben sie die politische Dimension wie folgt: „Relativ breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, was (und wie es) finanziert werden soll, trägt zur Nachhaltigkeit eines Rentensystems bei.“ Hinsichtlich der ökonomischen Aspekte konzentrieren sie sich dann auf eine fiskalische Betrachtung, das heißt die Entwicklung der Ausgaben, die Art der Finanzierung, den demografischen Wandel, die Generationengerechtigkeit, staatliche Zuschüsse und die „implizite Staatsschuld“, da sich die Kritik insbesondere an ihr ausrichtet.
Langfristprojektionen gehen davon aus, dass 2040 14,7 Prozent des BIP und 2060 14,4 Prozent des BIP für Rentenausgaben benötigt werden. Verglichen mit 13,9 Prozent des BIP im Jahr 2013 sei dies eine bemerkenswert moderate Entwicklung, insbesondere dann, wenn man sich die deutliche Alterung der Gesellschaft vor Augen führt. Einen wesentlichen Anteil an diesem Effekt hat der erwartete Rückgang an Ausgaben für Pensionen von Beamten, die durch Ausgliederungen und Angleichungen des Pensionsrechts erzielt werden.
Der Global Pension Index von Mercer, der häufig zur Beurteilung von Rentensystemen herangezogen wird, bescheinigt dem österreichischen System eine geringe finanzielle Nachhaltigkeit. Allerdings, so die Autoren, ist dieser Index gerade für die Analyse der Nachhaltigkeit von Rentensystemen völlig unbrauchbar, da in ihm vor allem „Indikatoren zur Bedeutung und Ausgestaltung […] von kapitalgedeckter (Zusatz-)Vorsorge“ einfließen. „Ein hoher Anteil von Kapitaldeckung […] wird entsprechend positiv bewertet. […] (umlagefinanzierte) Rentensysteme werden im Gegenzug völlig unzureichend berücksichtigt […]“ Bei dem dahinter stehenden Gedanken, dass kapitalgedeckte Systeme unempfindlicher gegenüber dem demografischen Wandel seien, handele es sich allerdings um einen Trugschluss. Außerdem habe sich spätestens mit der Finanzkrise „der Glaube an die Effizienz der Finanzmärkte und deren Renditeversprechen als Irrglaube herausgestellt.“
Aus demografischer Sicht ist die Lage in Österreich besser als in Deutschland: Das Verhältnis der Menschen ab 65 Jahren zu den 15- bis 64 Jährigen lag in Deutschland 2015 bei 32 Prozent – in Österreich waren es nur 27,5 Prozent. Bis 2060 sei in Deutschland mit einem Anstieg auf 55 Prozent zu rechnen, in Österreich auf 51 Prozent. Die etwas entspanntere Situation in Österreich hat vor allem damit zu tun, dass die Alpenrepublik in der Vergangenheit relativ mehr Migranten aufgenommen hat. Allerdings solle man den sogenannten Altersquotienten nicht überbewertet. Es kommt unter anderem auch auf die Höhe der Erwerbsbeteiligung und Ausgestaltungen am Arbeitsmarkt an, die sich positiv auf die Zahl der rentenversicherten Erwerbstätigen auswirken. In Österreich erfolgte eine „Weiterentwicklung der Rentenversicherung zur Erwerbstätigenversicherung“. „Letztendlich geht es um ein gutes Zusammenspiel zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik“, schreiben die Autoren.
Gegen das Umlagesystem wird häufig eingewendet, dass dies nicht für eine Gerechtigkeit zwischen den Generationen sorge und jüngere Generationen übermäßig stark belastet werden. Dem halten die Autoren entgegen, dass bei einem Umstieg auf ein kapitalgedecktes System „die jüngere Generation bereits heute (und nicht erst in der Zukunft) höhere Ausgaben zu stemmen“ hat, weil der Kapitalstock erst angespart werden müsste. Außerdem sei die junge Generation von sinkenden Leistungen am stärksten betroffen und erbe so ein schlechteres gesetzliches Rentensystem.
Zur Frage staatlicher Zuschüsse halten die Autoren fest: „Über die Nachhaltigkeit eines Systems sagt ein hoher oder niedriger Zuschuss des Staates wie auch die Ausgestaltung als Ausfallhaftung an sich nichts aus. Die Finanzierungsarchitektur eines Rentensystems ist Ausdruck der politisch gestalteten und regulierten Verteilung der Kosten zwischen Steuerzahlern und Beitragszahlern.“
Unterm Strich kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass das österreichische Rentensystem allen Unkenrufen zum Trotz durchaus als finanziell nachhaltig bezeichnet werden kann. Abschließend spiegeln sie die Möglichkeiten für Deutschland aus dem österreichischen Modell zu lernen: „Aus deutscher Sicht zeigt der Blick auf das österreichische Rentensystem, dass das sozialpolitisch Mögliche – anders als oft behauptet – nicht ökonomisch determiniert ist. So gesehen kann der Fall Österreich auch helfen, für die deutsche Rentenpolitik Alternativen aufzuzeigen. Dies betrifft zentrale Themen wie die Verbesserung des Leistungsniveaus, die Verbesserung der Grundsicherung und den Übergang zur Erwerbstätigenversicherung, aber auch die Grundhaltung zum Sozial(versicherungs)staat als einem politisch gestaltbaren, leistungsfähigen und bewahrenswerten Teil der deutschen Gesellschaft.“
Lesen Sie hier exklusiv vorab ausführlich den Beitrag von Florian Blank, Camile Logeay, Erik Türk, Josef Wöss und Rudolf Zwiener aus der März-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:
Ist das österreichische Rentensystem nachhaltig?, in: Wirtschaftdienst 3/2018, S. 193-199