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Ein ziemlich robuster Aufschwung

 

Wer hätte das gedacht, die deutsche Wirtschaft, die in den ersten sechs Jahren der Währungsunion zusammen mit Italien den anderen Ländern die rote Laterne hinterher trug, hat sich auf einmal gemausert und wächst seit 2006 so rasch wie der Durchschnitt (siehe ECB Monthly Bulletin, April 2007, S. 74). Nach den Instituten, die am gestrigen Donnerstag ihr Frühjahrsgutachten vorstellten, kommt es in diesem und im nächsten Jahr zu Wachstumsraten von etwa 2 1/2 Prozent, was erneut dem Durchschnittswert entspricht. (siehe Gemeinschaftsgutachten, S. 17) Endlich sind wir wieder Durchschnitt, wie schön.

Kann nicht auch ein bisschen mehr herauskommen? Wenn die Wirtschaft jährlich nur um 2 1/2 Prozent expandiert, also langsamer als vergangenes Jahr, stehen die Chancen nicht gut, dass sich die Arbeitslosigkeit auch konjunkturell deutlich vermindert. Eine Rate von 2 1/2 Prozent ist kaum höher als die Zuwachsrate des Produktionspotentials, so dass die Output-Lücke praktisch unverändert bliebe. Die Annahme ist hier, dass das deutsche Produktionspotential etwa so rasch wächst wie das des Euroraums insgesamt, also um 2 1/4 Prozent pro Jahr (das ist eine EZB-Schätzung). Dafür spricht, dass die Investitionsquote etwa so hoch ist wie in den übrigen Ländern und das trendmäßige Produktivitätswachstum wegen des überproportional großen Anteils des Verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung ebenfalls überproportional ist. In der Industrie nimmt die Produktivität bekanntlich trendmäßig viel stärker zu als in den Dienstleistungsbereichen.

Dass Deutschland auch in den kommenden Jahren mehr eine Lokomotive als ein Mitläufer im europäischen Konjunkturzug sein könnte, ist im Grunde ziemlich wahrscheinlich, hierzulande aber keineswegs Konsens. Der wichtigste Grund ist die immer noch sehr große Dynamik der Weltwirtschaft, die Deutschland sehr entgegenkommt. Der Internationale Währungsfonds hat gerade in seinem neuen World Economic Outlook seine Prognose für die Weltwirtschaft für das Jahr 2007 bei 4,9 Prozent belassen, obwohl er die Wachstumsrate der USA gegenüber dem letzten Herbst von 2,9 Prozent auf 2,2 Prozent zurückgenommen hat. Amerika bestreitet zwar immer noch knapp ein Fünftel des Weltsozialprodukts von 51 Billionen US Dollar, die Auswirkungen auf das Gesamtergebnis dürften aber ausbleiben, weil es in Europa, Japan und vor allem den Schwellenländern besser läuft als bisher gedacht. Im Jahr 2008 sollen dann noch einmal 4,9 Prozent herauskommen. So etwas hat es seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr gegeben, behaupte ich mal.

Wenn das reale BIP der Welt um 5 Prozent steigt, dürfte der Welthandel um mindestens 7 Prozent expandieren, also um einen Faktor von fast 1 1/2 rascher. Das ist die übliche Relation. In ihr schlägt sich nieder, dass die internationale Arbeitsteilung immer intensiver wird. Wir profitieren deswegen so sehr davon, weil wir die Güter im Angebot haben, die im weltweiten Investitionsboom benötigt werden, und weil sich selbst mittlere und kleine Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten zu wettbewerbsfähigen Exporteuren gemausert haben, die sich deutlich selbstsicherer und erfolgreicher auf den Auslandsmärkten bewegen als die Konkurrenz aus dem Euroraum. Die Gewinnlage hat sich in den vergangenen Jahren zudem so sehr verbessert, die finanziellen Polster sind so dick, dass Risiken eingegangen werden können, die eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg sind. No risk, no fun; no risk, no return. Warum also sollten die Exporte 2007 und 2008 real nur um 8,4 Prozent und 8,1 Prozent zunehmen, wie es die Institute prognostizieren, nachdem es 2006 bei ähnlich starker Expansion der Weltwirtschaft noch 12,5 Prozent waren?

Hier sind die Institute zu vorsichtig, scheint es mir. Als bremsender Faktor kann sich natürlich der Wechselkurs herausstellen – die Aufwertung des Euro dürfte vermutlich weitergehen, da sich die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte nur langsam vermindern. Sie erzwingen geradezu eine Euro-Aufwertung, solange die USA alles gegen eine Rezession tun werden, also notfalls aggressiv die Zinsen senken dürften, während die beiden natürlichen Aufwertungskandidaten, der Yen und der Renminbi, durch niedrige Zinsen und aggressive Dollarkäufe für eine deutliche Korrektur der Wechselkurse nicht in Frage kommen. Glücklicherweise sind die deutschen Exporte einigermaßen aufwertungsresistent, und zwar deswegen, weil sie nicht sehr preiselastisch sind. Qualität zählt nach wie vor mindestens soviel wie der Preis.

Weiterhin kann man, glaube ich, davon ausgehen, dass der private Verbrauch ganz gut laufen wird. Nicht nur, dass die Beschäftigung mit Raten von eineinhalb Prozent zunimmt und es einfacher zu werden scheint, einen Job zu finden, auch die Löhne werden wohl endlich wieder kräftiger steigen (ohne dass dadurch das Gewinnwachstum einbrechen muss), und die Inflation könnte im Gefolge der Aufwertung geringer ausfallen als gegenwärtig erwartet. Nicht nur würde das Realeinkommen der Leute also zügiger zunehmen als in den Vorjahren, auch ihre Unsicherheit betreffend ihren Arbeitsplatz dürfte zurückgehen. Besteht nicht zudem nach all den Jahren der Knauserigkeit ein erheblicher Nachholbedarf, und gibt es angesichts einer Sparquote von 10 1/2 Prozent und rekordhoher Sparguthaben nicht genügend finanziellen Spielraum? Vermutlich kann daher auch von dieser Seite mehr herauskommen als die 0,8 Prozent real, die die Institute für den privaten Verbrauch vorhersagen. Warum nicht beispielsweise 2 Prozent? Für sich genommen würde das die Wachstumsrate des BIP um sieben Zehntel erhöhen, von 2,4 Prozent auf 3,1 Prozent.

Schließlich der Bau. Hier ist die endlose Flaute nun doch zu Ende gegangen. Warum es 2007 bei den Bauausgaben der Haushalte, der Unternehmen und des Staates sowohl 2007 als auch 2008 real nur 2,7 Prozent mehr sein sollen als in der Vorperiode ist kaum zu verstehen. Schließlich lag die Anzahl der Beschäftigten im Bau im vierten Quartal – neuere Zahlen gibt es noch nicht – um 1,9 Prozent über ihrem Vorjahresstand, die geleisteten Arbeitsstunden sind um 13,6 Prozent gestiegen und die Umsätze um 17 Prozent. Wenn das kein Boom ist. Dabei ist das angesichts des sehr niedrigen Ausgangsniveaus ganz sicher noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Mit anderen Worten, es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass in diesem Jahr bei der Wachstumsrate eine Drei vor dem Komma stehen wird. Ich halte Prognosen von 2,4 Prozent für Zweckpessimismus. Zum einen soll dadurch wohl verhindert werden, dass die Arbeitnehmer zu viel verlangen, zum anderen sollen die Begehrlichkeiten der Politiker nicht unnötig geweckt werden. Könnte ja sein, dass das Staatsdefizit bereits in diesem Jahr verschwindet, nicht erst 2008. Sei’s drum. Vielleicht hat dieser Zweckpessimismus ja auch eine gute Seite: Der Aufschwung könnte länger dauern, da der EZB bei weiterhin niedrigen Lohnsteigerungen und großen Fortschritten beim Defizitabbau weniger Argumente für eine restriktive Zinspolitik geliefert werden.