Spätestens mit der heutigen Zinserhöhung stimuliert die Europäische Zentralbank (EZB) das Wachstum Eurolands nicht mehr. Das dürfte Jean-Claude Trichet genauso sehen, der wohl das A-Wort auf der gleich beginnenden Pressekonferenz vermeiden wird. Das A-Wort ist das berühmte „akkomodierend“, das die EZB-Volkswirte seit Jahren nutzen, um zu signalisieren, dass ihre Geldpolitik konjunkturfördernd ist. (Nachtrag: Ich habe mich geirrt! Trichet hat „policy remains on the accommodative side“ gesagt. Unglaublich. Das sollte er mal vorrechnen!) Gerade hat die EZB den Leitzins auf vier Prozent angehoben. Damit hat sie die Zinsen binnen 18 Monaten verdoppelt! Bremst sie schon? Wahrscheinlich noch nicht. Aber erste Bremsspuren an den Immobilienmärkten und bei der Immobilienkreditvergabe vor allem in Spanien, Irland und Frankreich sind nicht mehr zu leugnen. Ja, die Banken erwarten sogar wieder strengere Vergabekriterien für Immobilienkredite, wie der jüngste Lending Survey der EZB zeigt Seite 5 und 6). Es ist an der Zeit innezuhalten, Mister Trichet. Vier Prozent sind genug.
Erstens sind Inflationssorgen Hirngespinste einiger Geldmengenversessener Ratsmitglieder, wie dem deutschen Bundesbankpräsidenten Axel Weber. Zweitens würde bei einem weiteren Zinsschritt nach oben nicht nur die Geldpolitik den Aufschwung bremsen. Auch der Euro und die langfristigen Zinsen, die gerade die Marke von 4,5 Prozent geknackt haben, wirken sich dämpfend auf das Wachstum aus. Holger Schmieding von der Bank of Amerika rechnet den Bremseffekt des Euro in den vergangenen 18 Monaten auf rund 0,5 Prozentpunkte Leitzins um. Sprich: Ceteris paribus hat die EZB ihren Leitzins heute auf 4,5 Prozent erhöht – von zwei Prozent Ende 2005!
Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Grundmelodie der EZB nach wie vor „im Zweifel restriktiv“ lautet. Wenn wir uns das Wachstum Eurolands etwas stark vereinfacht anschauen, dann wurde es aus zwei Quellen gespeist: Dem Immobilienboom und dem Exportboom. Ersterer kühlt sich merklich ab, nicht zuletzt, da das Gros der Immobilienkredite am kurzen Zins hängt, also variabel verzinst wird. Die Häuslebauer in Spanien etwa zahlen heute zweimal so viel Zinsen wie noch im Dezember 2005. Da fehlt viel Geld in der Haushaltskasse, das nicht mehr für den Konsum zur Verfügung steht. Nach Schätzungen der Bank of America wird die Hälfte aller Immobilienkredite in Euroland variabel verzinst, in Spanien sind es gar 90 Prozent. Auch der Exportboom schwächt sich ab, weil Amerika nicht mehr so richtig drive hat, weil der Euro in den vergangenen zwei Jahren deutlich teurer geworden ist.
Deshalb muss eine kluge Geldpolitik jetzt pausieren. Denn jetzt kann nur noch die Binnennachfrage aus Investitionen und Konsum das Wachstum hoch halten, für neue Jobs sorgen. Bei den Investitionen sieht es ordentlich aus, der Konsum ist nach wie vor ein Hoffnungswert, wenngleich mit höherer Wahrscheinlichkeit als noch vor ein paar Monaten. Aber jeder Geldtheoretiker weiß, dass Zinserhöhungen mit einer Verzögerung von etwa einem Jahr auf die Realwirtschaft einwirken. Viele Zinserhöhungen der EZB haben deshalb noch gar keine Wirkung entfalten können. Das dicke Ende kommt noch. Draufsatteln darf die EZB jetzt nichts mehr. Es reicht!
Denn inflationäre Gefahren drohen nach wie vor nicht. Die Euroland-Inflation liegt derzeit bei 1,9 Prozent, bei der Kernrate sind es 1,8 Prozent. Zieht man den Mehrwertsteuerschock ab, die administrierten Preiserhöhungen, die exogen vorgegeben sind, landen wir bei 1,6 Prozent und 1,5 Prozent oder sogar noch 0,1 Prozent tiefer, je nachdem wie man die deutsche MWST-Erhöhung im Endeffekt abgreift. Das ist voll in der EZB-Range einer Inflation unter, aber nahe zwei Prozent. Also keine Panik meine Herren EZB-Räte.
Die Löhne ziehen an, stöhnt es aus den inflationsphoben Researchabteilungen der Notenbanken. Schon gut, es stimmt, dass die Löhne leicht anziehen. Aber warum darf nicht auch mal der Faktor Arbeit etwas vom Aufschwung abbekommen, liebe Notenbanker? Außerdem müsst Ihr, wenn ihr redlich seid, auf die Lohnstückkosten schauen! Und die bewegen sich ganz im Gegensatz zu Amerika noch nicht nach oben, dümpeln um die Nulllinie rum. Also gemach. Ihr könnt das Wachstum mit einer neutralen Geldpolitik stützen, für mehr Jobs sorgen, ohne dass die heilige Inflation anzieht. Ihr könnt natürlich auch das Wachstum abwürgen und hinterher wieder über die verkrusteten Arbeitsmärkte lamentieren und Strukturreformen fordern. Die bringen jedoch solang nichts, solange Ihr nicht dem Wachstum eine Chance gebt.
Ich weiß, ganz im Inneren habt Ihr vor etwas ganz anderem Angst: Vor einer Implosion der Finanzmärkte. Zu viel billiges Geld ist auf der Jagd nach Rendite und leistet Übertreibungen Vorschub: Beim Private Equity, bei den Hedgefunds, bei den Credits. Das ist eine Sorge, die ehrenhaft ist. Aber glaubt Ihr wirklich, Ihr könntet mit einem Instrument, dem Zinssatz, zwei Herren dienen? Der realen Sphäre und der monetären? Das ist Unsinn. Und glaubt Ihr wirklich, dass die Carry-Trades im Yen und Schweizer Franken ein Ende haben werden, weil Ihr die Zinsen erhöht? Das ist eine Illusion. An den Finanzmärkten wird es irgendwann krachen. Schon recht. Aber Ihr könnt es sowieso nicht verhindern. Deshalb ist es besser, jetzt die Konjunktur laufen zu lassen, und später mit Zinssenkungen die Scherben des Finanzcrashs aufzukehren, so er dann kommt.
All we are saying: give growth a chance!