Ich bin jetzt schon eine Weile der Ansicht, dass der Euro nur überleben wird, wenn es weitere Fortschritte in Richtung politische Union gibt. So wie es grundsätzlich in der Europäischen Union der 27 erlaubt ist, dass einige Länder in einzelnen Bereichen des Einigungsprozesses rascher vorangehen, man denke an das Schengen-Abkommen oder eben auch den Euro, so könnte ich mir vorstellen, dass es so etwas auch innerhalb Eurolands geben könnte. Beispielsweise die Begebung gemeinsamer Anleihen durch solche Länder, deren Bonität so gut ist wie die Deutschlands und die bereit sind, ihre Finanzpolitik zunehmend zu vereinheitlichen und füreinander zu haften.
Deutschland könnte sich mit den Niederlanden, Österreich und Finnland zusammentun und die finanzpolitischen Bedingungen definieren, bei denen gemeinsame Anleihen auch aus Sicht des besten Schuldners ins Auge gefasst werden könnten. Wer immer dem Club beitreten wollte, um von den niedrigen Anleiherenditen zu profitieren, hätte diese (strengen) Auflagen zu akzeptieren. Diese wären der Einstieg in eine gemeinsame Euroland-Finanzpolitik. Die Mitglieder des ClubMed kämen nicht umhin, sich anzupassen und mitzumachen. Ich ignoriere an dieser Stelle erst mal den Einwand, dass die Hürden verfassungsrechtlicher und politökonomischer Art viel zu hoch sind für ein solches Projekt. Ich halte das aber auf lange Frist für den einfachsten Weg in Richtung finanzpolitische und damit auch politische Union. Die Idee kommt sicher zu früh, aber sie wäre etwas, auf das hinzuarbeiten sich lohnte.
Die Krise kommt gerade recht, um noch einmal allen humorlos vor Augen zu führen, dass der Euro in der Tat eine feste politische Verankerung braucht. Zur Zeit ist er frei schwebend und damit allen möglichen Unwettern ausgesetzt. Ich denke allerdings, dass die Mehrheit hierzulande und auch im übrigen Euroraum am Projekt der gemeinsamen Währung festhalten will und bereit ist, neue Wege zu gehen, insbesondere also nationale Hoheitsrechte abzugeben. Man wird dabei nicht um Verfassungsänderungen herumkommen.
Wie die meisten Krisen hat auch diese also mindestens eine gute Seite: Sie zwingt die Politik und die Medien, sich darüber klar zu werden, wie es mit Europa weitergehen soll und was getan werden muss. Die Integration wird auf diese Weise sicher weiter vorankommen. Das andere Positive ist natürlich die sehr gut in die aktuelle Konjunkturlandschaft passende Euro-Abwertung. Das soll nicht heißen, dass wir ein Interesse daran haben könnten, die Euro-Krise ad infinitum zu verlängern.
Der Maastricht-Vertrag hat sich als unwirksam erwiesen – er ist nicht mehr als eine Absichtserklärung, die in einer Krise wie der jetzigen ohne Relevanz ist. Damit der Euro eine vollwertige Währung wird, reicht es nicht, wie wir gerade lernen, dass es eine gemeinsame Zentralbank gibt. Benötigt wird auch eine zentrale unabhängige Aufsichtsbehörde für den Finanzsektor (oder drei, wie im Larosière-Papier vorgeschlagen), mit Biss, also Durchgriffsrechten, sowie eine gemeinsame Finanzpolitik und letztlich einen europäischen Finanzminister, den die Herren Geithner und Strauss-Kahn anrufen können, wenn es um Entscheidungen geht. Die Kakophonie der Akteure Trichet, Schäuble, Sarkozy, Merkel, van Rompuy und so weiter muss beendet werden. Sie zeigt, dass es an einem gemeinsamen Konzept fehlt. Wenn es dabei bleibt und bei den Rettungsprogrammen immer nur, und immer nur in höchster Eile, draufgesattelt wird, ohne dass die Folgen bedacht werden, wäre es besser, man gäbe uns die D-Mark zurück. Ich staune, dass ich auf einmal solche Sätze schreibe.
Horst Köhler dürfte im Übrigen vor allem deshalb zurückgetreten sein, weil er diese konzeptlose Hektik nicht mehr länger durch seine Unterschriften gutheißen wollte.
Die Frage ist, wie es weitergehen kann. Anfang Mai hatte der Europäische Rat einen Rettungsschirm von 500 Mrd. Euro beschlossen, an dem sich der Internationale Währungsfonds (IWF) mit noch mal ca. 250 Mrd. Euro beteiligen wird. Der europäische Teil besteht aus einer Kreditlinie der EU über 60 Mrd. Euro und weiteren 440 Mrd. Euro, die durch die Mitgliedsländer der Währungsunion gewährleistet werden. Hierfür wurde die „European Financial Stability Facility“ (EFSF) aus der Taufe gehoben – eine Zweckgesellschaft, die sich durch die Begebung von Anleihen finanziert, die durch die Euroländer garantiert werden. Über einen Zeitraum von drei Jahren können Länder, die zahlungsunfähig sind, Hilfen in Anspruch nehmen. Die Vergabe der Mittel ist an strenge finanzpolitische Auflagen, also Sparprogramme, gebunden, die von der Kommission in Zusammenarbeit mit dem IWF und der EZB ausgehandelt und von der Eurogroup der Finanzminister genehmigt werden.
Das ist erst mal ein gewaltiges Volumen. Es reicht allerdings nur, wenn nicht eines Tages auch Italien und Frankreich anklopfen. Das wäre dann aber ohnehin das Ende der Währungsunion, denn Deutschland als de facto einziger Gläubiger könnte solche Summen nicht schultern, ganz abgesehen davon, dass die no-bailout-Klausel noch stärker verletzt wäre als ohnehin. Bei einigen kleinen Ländern wie Griechenland, Irland, Portugal und selbst Spanien kann man eine restriktive Haushaltspolitik erzwingen (gegen finanzielle Hilfen), bei den großen ist das nicht so leicht – und womöglich auch deshalb gar nicht erstrebenswert, weil die pro-zyklischen Auswirkungen auf den Euroraum insgesamt zu groß wären. Bei Frankreich oder Italien würden die Auflagen mit großer Sicherheit milde ausfallen, einfach weil es nicht anders geht und weil es die ökonomische Vernunft gebietet. Frankreich und Italien müssten von sich aus ein Interesse daran haben, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen und mit den tugendhaften Ländern zu kooperieren.
Insgesamt handelt es sich bei diesem riesigen Rettungsschirm um einen Schritt in Richtung gemeinsame Finanzpolitik. Die „Sünder“ werden, wie im ursprünglichen Maastricht-Vertrag, angehalten, Budgetdisziplin zu üben. Ihre Haushaltsgesetze würden schon im Frühstadium von einer Behörde wie Eurostat kritisch begutachtet – sie könnte zusätzliche restriktive Maßnahmen verlangen, wenn ich das recht verstanden habe. Eine zentrale europäische Behörde erhielte zusätzliche Hoheitsrechte. Das geht also in Richtung weitere politische Integration. Wir sollten uns darüber freuen.
Noch einmal zu dem anderen positiven Aspekt dieser Krise: Eine schwache Währung ist in der aktuellen Situation ja eine hervorragende Medizin. Sie scheint auch bereits anzuschlagen, wenn ich mir die Umfragewerte zur Konjunktur, die Auftragseingänge und die Zahlen vom Arbeitsmarkt ansehe. Da das Risiko einer Deflation ziemlich hoch ist, nützt alles, was tendenziell Inflation bewirkt, einschließlich einer schwachen Währung. Wenn China mit einem unterbewerteten Yuan gut fährt, warum nicht auch mal Euroland? Durch Abwertung eine Deflation vermeiden und Wachstum zu stimulieren! So lange niemand das für eine geplante Aktion, also den Einstieg in einen Abwertungswettlauf hält, sollten wir nicht klagen. Und uns auch darüber freuen. Oder?
Zudem vermute ich mal, dass die staatlichen Defizite in Euroland mit einer schwachen Währung und dem dadurch stimulierten stärkeren Wachstum rascher verschwinden werden als gedacht. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben gerade für das Jahr 2010 für Deutschland ein Staatsdefizit von nicht mehr viel über 4 Prozent des BIP vorhergesagt. In den anderen Ländern dürfte es in dieser Hinsicht demnächst auch eher erfreuliche Überraschungen geben. In den USA tut hingegen der feste Dollar, was die Wachstumsaussichten angeht, zunehmend weh.