Die Operation hat begonnen. Die amerikanische Zentralbank hat den Leitzins gesenkt. Und zwar unerwartet kräftig um einen halben Prozentpunkt. Es ist die erste Zinssenkung, die unter Ben Bernanke beschlossen wurde. Sie ist das Bekenntnis des noch neuen Chefs an der Spitze der Fed, dass die US-Konjunktur schweren Zeiten entgegen geht, dass das globale Finanzsystem unter Stress steht. Der schwierigere Teil des Abbaus der unheimlichen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft ist eingeläutet. Jetzt heißt es anschnallen und Daumen drücken.
Daumen drücken für den Neuen an der Fed-Spitze, der erst am 1. Februar 2006 den Posten von Alan Greenspan übernahm. Bislang gab es unter ihm lediglich drei Zinserhöhungen und seit 15 Monaten unveränderte Leitzinsen. Es ist die erste Zinssenkung seit Juni 2003. Es wird nicht die letzte bleiben. Sicher ist, dass es für Bernanke die wichtigste Entscheidung in seinem Leben als Notenbanker war. An dieser Zinssenkung werden sie ihn messen. Ganz gleich, wie sich die Finanzkrise und die amerikanische Konjunktur weiter entwickeln.
Das Problem von Ben Bernanke ist ein vierfaches: Er muss zusehen, dass aus der amerikanischen Immobilienkrise keine Rezession folgt. Er muss die weltweit schwelende Kreditkrise eindämmen und wieder für Vertrauen sorgen. Aber er darf dabei keine Inflationsgefahren heraufbeschwören. Nicht bei diesem Leistungsbilanzdefizit, dieser Abhängigkeit Amerikas von ausländischem Geld. Last but not least muss Bernanke auch ein Auge auf den Dollar gerichtet haben. Er darf nicht abschmieren, nicht bei diesem horrenden Leistungsbilanzdefizit, das weiter finanziert werden muss. Für die Probleme eins und zwei sind niedrigere Leitzinsen die richtige Medizin, für die Probleme drei und vier eher unveränderte. Die 50 Basispunkte Zinssenkung sind mutig. Sie sprechen eine klare Sprache, worum sich Bernanke mehr Sorgen macht. Aber auch die Bewegung zwischen Euro und Dollar war eindeutig. Direkt im Anschluss an die Zinssenkung schoss der Euro auf einen neuen Rekord – ganz nah an 1,40 Dollar je Euro!
Ob Bernanke mit dem großen Schritt seine Feuertaufe bestanden hat, werden die nächsten Wochen zeigen. Vieles spricht dafür.
Erstens wirkt sich die Immobilien- plus Kreditkrise dämpfend auf das Wachstum aus, da gibt es eigentlich kein Vertun mehr. Auch wenn die Daten am aktuellen Rand noch gemischte Signale senden, die laufenden Revisionen der Wachstumserwartungen für 2008 dürften eher noch zu optimistisch sein. Denn auch der rekordhohe Ölpreis zieht den gebeutelten US-Verbrauchern das Geld aus der Tasche. Der IWF soll laut Agenturberichten für 2008 nur noch 2,2 Prozent Wachstum in Amerika erwarten, nach zu letzt noch 2,8 Prozent.
Zweitens kommt die Finanzkrise allmählich in der Realwirtschaft an. Der Bank Run in England auf den Hypothekenfinanzierer Nothern Rock ist so ein beunruhigendes Puzzleteil. Warum? Weil die Bank nichts, aber auch gar nichts mit den schwachen amerikanischen Hypotheken, subprime genannt, zu tun hat. Sie finanziert britische Häuslebauer und bricht aus heiterem Himmel zusammen. Überall auf der Welt passieren zur Zeit völlig unzusammenhängende Dinge out of the blue, die doch alle eines gemeinsam haben: Einen großen Vertrauensverlust der Banken in die jeweils anderen Banken. Hier gilt es Vertrauen wieder herzustellen, bevor sich die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wiederholen. Deshalb kann die Welt von Glück reden, dass Bernanke der mächtigste Mann ist. Denn es gibt wohl kaum einen Wissenschaftler in Amerika, der sich mit dem dunkelsten Kapitel des Geldkapitalismus so ernsthaft beschäftigt hat, wie Ben Bernanke.
Und doch wird es der Fed und Amerika nicht alleine gelingen, das globale Ungleichgewicht aus der Welt zu schaffen. Amerika hat nach dem Platzen der Technologieblase die Welt mit expansiver Geld- und Fiskalpolitik vor einer Deflation bewahrt. Deutschland, Japan und China haben sich an Amerikas Importhunger gesund gestoßen. Jetzt ist es an der Zeit zurück zugeben. Zuletzt wuchsen Japan, Deutschland und Co. schneller als Amerika, das war die sanfte Variante der Anpassung im Aufschwung. Jetzt folgt die unsanfte – im Abschwung.
Wie gibt man zurück?
Na durch etwas expansivere Geld- und Fiskalpolitik als einem lieb ist. Ganz einfach. Finanzminister Peer Steinbrück und seine Kollegen EU-Finanzminister können ihre ausgeglichenen Haushalte vergessen und die Europäische Zentralbank kann schon mal nach Code-Wörtern für Zinssenkungen suchen.
Tun sie es nicht und bleiben stur, dann kollabiert halt der Dollar, dann schießen die globalen Inflationserwartungen empor. Die in Deutschland gerne zitierte Mantra, dass jeder seine Hausaufgaben machen muss, ganz unabhängig von den anderen, funktioniert im Kapitalismus nun mal nicht.
An der Operation für den Patienten Amerika muss sich die ganze Welt beteiligen.