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Das Ende des amerikanischen Wirtschaftsmodells

 

Am 31. Juli gab es in der New York Times einen erstaunlichen Artikel mit dem Titel „Four Deformations of the Apocalypse„, erstaunlich vor allem deshalb, weil es sich beim Autor um David Stockman handelt. Der frühere Chef des US-Office of Management and Budget (OMB) und „uber nerd“ rechnet dort schonungslos mit der Wirtschaftspolitik der Republikaner ab.

Stockman (64) ist immerhin einer der Väter der Angebotstheorie, der supply side economics. Er hatte sich allerdings schon 1981, zu Beginn seiner Amtszeit (1981 bis 1985), mit Ronald Reagan angelegt, nach einer strengen Abmahnung dann immerhin doch noch vier weitere Jahre durchgehalten. Es folgte eine Karriere an der Wall Street, wo er zu den Mitbegründern des inzwischen zu sagenhaftem Reichtum gelangten Private Equity-Fonds Blackstone gehörte. Er hatte nach seinem Ausstieg aus diesem Fonds im Jahre 1999 eine eigene Firma gegründet (Heartland Industrial Partners, L.P.), die sich dann aber 2001 durch ihren Einstieg in die amerikanische Autozulieferindustrie auf existenzbedrohende Weise verspekuliert hatte. Im Jahr 2007 wurde Stockman angeklagt, seine Anleger durch die Manipulation von Umsatz und Gewinn betrogen zu haben. So viel ich weiß, läuft das Verfahren noch.

Das Wort „Apokalypse“ ist natürlich stark: Es steht in der theologischen Geschichtsdeutung für das katastrophale Ende der Geschichte. Bekannt sind spätestens seit Dürer die vier apokalyptischen Reiter, die am letzten Tag auf Geheiß Gottes Tod und Verderben über die Menschen bringen. Die USA sind nach Stockman an diesem Punkt angelangt, weil sich die Republikaner entgegen dem, was sie in ihren Sonntagsreden behaupten, de facto immer nur auf Gelddruckerei, Steuersenkungen für die Reichen und Staatsverschuldung verlassen hatten. Er nennt das Vulgärkeynesianismus für die begüterten Klassen. So wird manchmal aus einem Saulus ein Paulus (ich hab’s heute mit der Bibel).

Deformation Nummer eins war die Aufgabe der Einlösepflicht von Dollars in Gold durch den Republikaner Nixon im Jahr 1971. Bekanntlich hatte Milton Friedman „nachgewiesen“, dass flexible Wechselkurse Außenhandelsdefizite über kurz oder lang beseitigen würden. Nachdem die Politiker in der ganzen Welt dann aber nicht mehr gezwungen waren, einen bestimmten Wechselkurs durch diszipliniertes Wirtschaften zu verteidigen, hielt sie nichts davon ab, über ihre Verhältnisse zu leben (In Deutschland war mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen natürlich vor allem die Hoffnung verbunden, dass man endlich eine unabhängige Stabilitätspolitik würde betreiben können). Wie sich herausstellte, haben die USA in den fast 40 Jahren seit dieser Entscheidung ihre Nettoschulden gegenüber dem Ausland, also ihr kumuliertes Leistungsbilanzdefizit, um rund 8 Billionen Dollar vergrößert (55 Prozent des BIP). Die Flutwelle an Dollars hat andererseits nicht-amerikanische Notenbanken gezwungen, ihrerseits unbegrenzt Geld zu drucken (weil sie durch Dollarankäufe eine zu starke Aufwertung ihrer eigenen Währung verhindern wollten). Die Amerikaner wiederum konnten sich mit gepumptem Geld ein gutes Leben machen; dank des nach wie vor ungebrochenen Reservestatus des Dollar gelten die USA immer noch als guter Schuldner.

Die zweite Fehlentwicklung war laut Stockman der gewaltige Anstieg der amerikanischen Staatsschulden. Sie werden bis 2015 nach den heutigen Budgetplänen etwa 120 Prozent des BIP und damit griechische Dimensionen erreichen – dabei rechnet er korrekterweise die Übernahme der Municipal Bonds (Anleihen der regionalen Gebietskörperschaften) durch die Fed mit hinzu. Vor allem die Doktrin, dass staatliche Defizite nicht weiter schädlich sind, wenn sie durch Steuersenkungen verursacht sind, habe der Budgetdisziplin den Garaus gemacht. Im Fiskaljahr 2009 betrug die Steuerquote der Zentralregierung nur noch 15 Prozent des BIP – die beiden jüngsten Kriege wurden komplett durch neue Schulden finanziert, und auch sonst ließen sich republikanische Regierungen von Budgetzwängen kaum beeindrucken.

An dritter Stelle kommt die „unproduktive Expansion des Finanzsektors“: Die Beschränkungen hinsichtlich Spekulationen und Leverage wurden weitgehend aufgehoben, die Geldmenge aufgebläht. Von 1970 bis September 2008 haben sich die Aktiva der normalen Banken sowie des „Schattenbanksystems“ versechzigfacht! Dabei sind die Finanzunternehmen de facto Unterabteilungen des Staates und entziehen der Wirtschaft ständig Milliarden von Dollar durch sinnlose Spekulationen in Aktien, Anleihen, Rohstoffen und Derivativen. Sie hätten niemals überleben können ohne staatliche Einlagegarantien und mehr oder weniger kostenloses Geld von der Fed.

Die vierte Deformation ist für Stockman der ständige Abbau von anspruchsvollen Jobs in der Industrie und in Dienstleistungsbranchen wie Handel, Transport, IT und „professions“ (hochqualifizierte Selbständige). Allein im letzten Jahrzehnt sei die Anzahl solcher Jobs um 12 Prozent auf 68 Millionen zurückgegangen. Wo sind sie hingegangen? Ins Ausland! Der Ausgleich bestand in einer Zunahme von schlechtbezahlten (Teilzeit-) Jobs in Bars, Hotels, Altersheimen und dergleichen. Vom Einkommenszuwachs während der Immobilien- und Aktienblase der Jahre 2002 bis 2006 gingen zwei Drittel an die oberen ein Prozent der Haushalte, meist gespeist aus den Erträgen des Kasinos namens Wall Street. Die Einkommensverteilung ist vollkommen verzerrt.

Wo soll das alles hinführen? Die Republikaner jedenfalls haben nichts Konstruktives anzubieten. Ihr Hauptziel ist zur Zeit, das Auslaufen der Steuererleichterungen für ihre Klientel zu verhindern – das würde nämlich einen Anstieg des Grenzsteuersatzes um drei Prozentpunkte bedeuten. Alles spricht außerdem dafür, dass es keinen herkömmlichen Aufschwung geben wird. Es sähe eher nach einer „jobless recovery“ aus.

Aus deutscher oder europäischer Sicht kann man sich nur wundern, wie lange das von Stockman beschriebene Wirtschaftsmodell funktioniert hat, und wie wenig es infrage gestellt wird. Das kommt wohl vor allem daher, dass das amerikanische BIP beim jetzigen Wechselkurs pro Kopf immer noch um 20 Prozent höher ist als das westeuropäische. Die amerikanische Politik macht wohl vieles falsch, aber nicht so viel wie die Politik anderer Länder, soweit das BIP pro Kopf als Messlatte für wirtschaftlichen Erfolg verwendet wird. Kann natürlich auch sein, dass es sich die ganze Zeit um eine Scheinblüte gehandelt hat, deren natürliches Ende gerade eingeläutet wird.

Wenn es in den USA jetzt zu einer jahrelangen Stagnation kommen sollte – weil Geldpolitik und Finanzpolitik ihr Pulver verschossen haben und Schuldenabbau im privaten Sektor höchste Priorität hat -, kann man nur beten, dass die dynamischen und finanziell soliden Schwellenländer genug Eigendynamik entwickeln, damit sie, global gesehen, den Ausfall der amerikanischen Nachfrage kompensieren können. Bisher sieht es glücklicherweise noch danach aus.