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Kompass für die EZB

 

Am Donnertag passiert es. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird zum ersten Mal seit dem 6. Oktober 2000 wieder die Zinsen erhöhen. Die EZB wird zum ersten Mal seit Juni 2003 überhaupt wieder die Zinsen verändern. Damals war Wim Duisenberg noch Präsident.

So unmissverständlich, wie der jetzige Präsident, Jean-Claude Trichet, den Zinsschritt vor zehn Tagen angekündigt hat, so groß sind seither aber auch die Irritationen, wohin die Reise gehen wird. Wird die Erhöhung um voraussichtlich 25 auf dann 2,25 der Beginn einer Serie weiterer Schritte hin zur Normalisierung sein? Wird die EZB rasch jedes kleine Fünkchen Hoffung auf den Aufschwung mit Zinserhöhungen zu ertränken suchen? Oder will die EZB nur die letzte Zinssenkung vom Juni 2003 vergessen machen, als die Zinsen auf das „Notstandsniveau“ von zwei Prozent gesenkt worden sind? Ich glaube, Letzteres ist der Fall. Ich ziehe meine Quintessenz aus drei sehr ausführlichen Gesprächen mit Menschen aus den berühmten „Notenbankerkreisen“ in der vergangenen Woche. Demnach ist die Grundstimmung alles andere als „hawkish“.

Trotzdem bin ich natürlich überhaupt nicht einverstanden mit der Entscheidung. Ich halte sie zum jetzigen Zeitpunkt für unnötig riskant. Die EZB wäre klüger beraten, noch ein paar Monate zu warten, bis sich der Aufschwung auch tatsächlich als solcher nachweisen lässt, bis der Arbeitsmarkt davon profitiert. Noch ist alles wackelig, wenngleich es bei den wichtigen Investitionen Hoffnungsschimmer gibt. Da es weit und breit keine Inflationsgefahren gibt, ist die Erhöhung übereilt. Im gegenwärtigen Stadium brennt überhaupt nichts an.

Das Dilemma der EZB heißt mal wieder: Kommunikation. Keiner weiß, was und wie die Herren und Damen Ratsmitglieder denken und nach welchen Indikatoren sie ihre Entscheidungen ausrichten. Klar scheint nur zu sein, dass fast alle den Zinssatz in Höhe von zwei Prozent als zu niedrig ablehnen. Das große Thema sind derzeit die negativen Realzinsen am kurzen Ende. Das bereitet den Geldpolitikern Bauchschmerzen. Irgendwie scheinen sei zu fühlen oder zu wissen, dass negative Realzinsen am kurzen Ende unsinnige Spekulationen von Hedgefunds und anderen hochgehebelten Investoren hervorrufen, die in der Realwirtschaft mehr Schaden anrichten als helfen. Und bis mindestens Mitte 2006 wird die Inflation in Euroland noch über zwei Prozent verharren, sprich würde es noch negative Realzinsen geben, wenn nicht jetzt gehandelt würde. Die Studien, die das nachweisen könnten, würden noch geschrieben, wurde mir versichert – verlinken kann ich sie deshalb leider nicht.

Das Problem: Jeder weiß zwar, dass sich die EZB mit den rekordniedrigen Notenbankzinsen schwer tut, dass sie nur zustande gekommen sind, weil Chefvolkswirt Issing zum ersten Mal in seinem Leben ganz kurz einem anderen monetären Phänomen als der Inflation in die Augen gestarrt hatte, nämlich der Deflation. Doch mit den zwei Säulen der EZB-Strategie lässt sich das nicht kommunizieren, also verfällt man auf Tricks, die wiederum am Markt nicht verstanden werden. Wie jetzt wieder.

„Vorbeugen ist besser als heilen“, tönen der österreichische Notenbankchef Liebscher und andere, um der bevorstehenden Zinserhöhung Argumentationskraft zu verleihen. Das ist jämmerlich. Issings Kunstgriff ist die entfachte Debatte, dass die Kerninflationsrate, also die Inflation ohne die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise, dem Verbraucherpreisindex hinterherhinkt, wie ich es in „Issings Baucherhöhung“ dargelegt habe. So ließe sich strategiekonform der Zinsschritt erklären. Doch es gibt absolut keine Anzeichen, dass bei der gegenwärtigen Verhandlungsschwäche der Arbeitnehmer, die hohen Energiekosten sich irgendwie in Lohnssteigerungen niederschlagen würden. Hierbei handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver.

Es geht nicht um Inflationssorgen, viel eher dürften die verantwortlichen Geldpolitiker realisiert haben, dass Euroland mit dem Ölpreisschock nur dann halbwegs zurecht kommt, wenn weder Lohn- noch Fiskalpolitik auf ihn reagieren. Also die höheren Energiekosten, die das Wachstum bremsen, einfach akzeptiert werden, wie es ja gegenwärtig der Fall ist. Im Gegenzug kann die EZB dann mit niedrigeren Leitzinsen unterstützend auf die Konjunktur einwirken.

Ich glaube tatsächlich, dass dieses halbwegs koordinierte Vorgehen zur Zeit im Eurotower en vogue ist. So lässt sich auch Trichet verstehen, der die Zinsanhebung nicht als Beginn einer Reihe von Zinserhöhungen verstanden wissen wollte, wie er ziemlich klar vor dem Europäischen Parlament ausführte. Sie soll „withdrawing some of the accomodation which is embedded in the present monetary stance.“

Ich glaube, die EZB plant zur Zeit nur eine Erhöhung um insgesamt 50 Stellen auf das Niveau vor Juni 2003. Sollte die Erholung tatsächlich in einen Aufschwung münden, wird die Notenbank auch vor weiteren Zinserhöhungen nicht zurück schrecken. Aber momentan dürfte sie genauso unsicher wie alle anderen sein, ob der Aufschwung tatsächlich kräftig ausfällt. Mit der Zinserhöhung am Donnerstag, will sie die Chance nutzen, von den Notstandszinsen wegzukommen – und von negativen Realzinsen. Mehr nicht.