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Hoch verehrter Alan Greenspan,

 

an dieser Stelle ein paar bewundernde Worte zu Ihrem Abschied. Ja, ich bewundere Ihr Verständnis vom Kapitalismus und Ihre Geldpolitik. Ihre libertären Ansichten dagegen und Ihre politischen Machenschaften möchte ich ausblenden. Diese sind mir suspekt, dafür bin ich wohl zu sehr überzeugter Alteuropäer. Sie mögen das verzeihen oder auch nicht. Sei es drum.

Ihre Geldpolitik jedoch hat es mir angetan. Natürlich, weil sie diametral entgegengesetzt ist zu dem, was ich hier in Euroland erdulden muss. Wie viele Arbeitslose hätten wir weniger, wenn Sie nicht in Washington seit 18 Jahren die Wirtschaft lenkten, sondern von Frankfurt aus? Wie viel Wohlstand und Wachstum hätte es dann hier gegeben, wenn nicht alles immer wieder im Sinne der Stabilitätskultur und aus schrecklicher Angst vor Inflation klein gehalten, ausgebremst, zu Nichte gemacht worden wäre? Natürlich ist auch die Geldpolitik immer Spiegel der historischen Erfahrungen. Und da lautet das amerikanische Trauma Deflation gepaart mit Depression. Das deutsche (und zum Teil europäische) dagegen Hyperinflation gepaart mit Depression. Aber auch unter Berücksichtigung der etwas anders gelagerten öffentlichen Meinung dies und jenseits des Atlantiks, könnten Ihre Kollegen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Menge von Ihnen lernen.

Zur Inflation: Sie haben gewusst, dass das Risiko Inflation beherrschbar ist. Das einzige, was Notenbanken wirklich können, ist es, durch höhere und hohe Leitzinsen die Dynamik abzuwürgen, Konkurse und Arbeitslose zu produzieren. Dann verzichten die Unternehmen auf ihre Gewinne, um wenigstens ihre Waren an den Mann oder die Frau zu bringen. Dann haben die Arbeitnehmer nichts mehr in der Hand um müssen mit geringen oder keinen Lohnzuwächsen fertig werden, im schlimmsten Fall sinken sogar die Löhne. All das nimmt der Inflationsdynamik ihre Wucht, die Preise steigen langsamer und die Notenbank kann mit Zinssenkungen hoffen, das Wachstum wieder in Gang zu bringen. Das kann sie aber nur hoffen. Wenn die Pferde nicht saufen wollen, können Sie die Wirtschaft mit billiger Liquidität fluten, wie Sie wollen, nicht wahr Alan Greenspan?

Deshalb war Ihre Geldpolitik im höchsten Maße klug. Im Zweifel haben Sie die Zinsen gesenkt, um das Vertrauen während Konjunktur- oder Finanzmarktkrisen wieder herzustellen. Das Risiko ist asymmetrisch verteilt: Inflation ist beherrschbar, Deflation nicht. Einzige Einschränkung: Die Notenbank muss die Liquidität über den Zinssatz steuern dürfen. Wenn sie Geld für den Staat drucken muss, damit dieser damit Kriege oder sonst etwas finanziert, ist natürlich auch Inflation nicht beherrschbar. Aber sowohl in Europa als auch in Amerika ist das im Sinne kapitalismuskonformer Vorschriften geregelt.

Zu den Erwartungen: Mit Ihrer im Zweifel lockeren Geldpolitik haben Sie es geschafft, die Erwartungen der Menschen positiv zu beeinflussen. The show must go on! Der Kapitalismus ist ein System, das auf Optimismus fußt, darauf, dass das Morgen besser ist als das Heute. Verzicht, Gürtel-enger-schnall-Parolen und Nullwachstum verträgt das System als Ganzes nicht. Mit Sparen, vor allem mit mehr Sparen im Strumpf, ist noch nie ein Land aus der Wachstumskrise gekommen. Warum? Weil das Nettogeldvermögen einer geschlossenen Volkswirtschaft oder der Weltwirtschaft insgesamt immer gleich null ist. Es gibt nur soviel Geldvermögen wie es Schulden gibt. Wenn alle Geld sparen wollen, kann niemand sparen. Zum Sparer muss es immer das Pendant geben, das sich verschulden möchte. Und genau an dieser Stelle setzen die Erwartungen an.

Wenn die Menschen, volkswirtschaftlich getarnt als Haushalte, Unternehmen oder Staat, an ein besseres Morgen glauben, verschulden sie sich. Gehen Risiken ein. Denn sie wissen, dass sie den Kredit zurückzahlen müssen, irgendwann. Sonst droht der Schuldenturm, der Offenbarungseid, Konkurs, Armut. Deshalb geht nur der einen Kredit ein, der hofft, am Ende reicher oder zumindest gleich reich aus dem Vertrag wieder raus zu kommen. Schulden treiben die Wirtschaft an, denn damit werden Konsumgüter vorfinanziert, Investitionen oder Straßen. Jeder Häuslebauer weiß im optimistischen Szenario, dass die ersten Jahre die schwersten sind. Dann wird auf den Urlaub verzichtet, der Dollar oder Euro zweimal umgedreht. Aber in ein paar Jahren sind die Löhne höher, ist das Haus mehr wert und der Schuldenturm weiter entfernt. Herrscht dagegen der Stabilitätswahn, die Sparmanie und jeder denkt, dass er morgen schlechter dran ist, als heute, dann geht gar nichts mehr, dann ist die Krise programmiert.

Ihre Kritiker werden einwenden, man könne es mit dem Optimismus auch übertreiben. Wenn sich alle zu sehr verschulden, komme irgendwann der Punkt, an dem die Rezession unausweichlich werde. Aber was bricht dann zusammen? Die Gläubiger-Schuldner-Beziehungen, klar. Die Sparer bekommen einen Teil ihres Geldes nicht mehr und die einige Schuldner sind pleite. Aber die Häuser stehen dann immer noch, die Unis, Straßen, Maschinen auch noch. Die sich an die Rezession anschließende Erholung wird später auf dem alten Level starten, oder Alan Greenspan? Ist es diese Gewissheit, die Sie immer hat ruhig schlafen lassen?

Ein Wunsch zum Schluss: Schreiben Sie doch in den Ihnen noch verbleibenden Jahren ein Buch. Nein, nicht wie Sie 18 Jahre die Welt gerettet haben, Millionen Amerikanern Wohlstand, Glück und Hoffnung geschenkt haben. Schreiben Sie ein Buch über den Kapitalismus und sein Finale. Einen zweiten Marx sozusagen. Ich versprechen Ihnen heute, an Ihrem letzten Tag im Amt, ich werde es zweimal kaufen. Einmal für mich und einmal für Otmar Issing, der fast genauso lange wie Sie auf dieser Seite des Atlantiks die europäische Geldpolitik bestimmt hat. Ab 1990 als Chefvolkswirt bei der Bundesbank. Anschließend hat er das Fundament der Geldpolitik für die EZB gelegt und acht Jahre die Wachstumsraten für Euroland beeinflusst. Amerika und Europa lagen beim Wachstum lange Zeit gleich auf, zunächst lag Europa nach dem Krieg vorn, ab Ende der 70er Amerika. Aber nie war der Abstand zwischen den Vereinigten Staaten und Euroland so groß, wie seit Ende der 80er Jahre, als Sie für Amerika und Issing für Euroland die Geldpolitik verantwortet haben.

Ich finde, Issing muss Ihr Buch lesen. Ich will es lesen. Leben Sie noch ein Weilchen und mischen Sie sich ein. Denn ich glaube, wenn es einen Lebenden gibt, der das System durchschaut, dann sind Sie es, Alan Greenspan.

Mit den besten Grüßen und Wünschen aus Frankfurt

Ihr Robert Heusinger

PS: Für alle regelmäßigen Besucher des Blogs HERDENTRIEB: In einigen Kommentaren ist Greenspan sehr schlecht weggekommen, immer mit dem Hinweis auf den Artikel im Economist. Ich empfehle – ganz bescheiden – Thomas Fischermann’s und meinen Artikel in der ZEIT und noch zehnmal besser (aber zwanzigmal so lang) das Paper von Alan Blinder und Ricardo Reis.