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Mehrwertsteuern runter, Energiesteuern rauf

 

Heute morgen auf Bloomberg übertrafen sich die Analysten mit pessimistischen Prognosen. Der Ifo-Index ist im November auf 85,8 gefallen und hat damit fast das Niveau von Anfang 1993 erreicht, den seit der Wiedervereinigung niedrigsten Wert. Die Erwartungskomponente des Index ist im freien Fall, während sich die aktuelle Lage, die andere Komponente, noch ganz gut hält – den Unternehmen ging es ja bis vor kurzem nicht schlecht. Aber auch hier ist der Abwärtstrend inzwischen ziemlich steil.

Ifo Geschäftsklima - November 2008

Die Rezession ist im Mainstream angekommen. Es muss offenbar etwas getan werden, damit die Arbeitslosigkeit nicht zu stark steigt. Wenn das reale BIP 2009 um 1 Prozent gegenüber 2008 sinkt, wie das jetzt der Konsens ist, bedeutet das angesichts eines Trendwachstums von rund 2 Prozent, dass sich die Outputlücke um weitere drei Prozentpunkte vergrößert, nach etwa 0,7 Punkten im laufenden Jahr. Diese Lücke gilt es wenigstens teilweise durch finanzpolitische Maßnahmen zu schließen, am besten durch solche, die ohnehin geplant sind.

  1. Am wirksamsten ist – die Briten machen es gerade vor – eine deutliche Senkung der Mehrwertsteuer. Das ist sofort umzusetzen und hilft vor allem denen, die eine hohe Konsumneigung haben und von einer niedrigeren Einkommensteuer nichts hätten, weil sie oft überhaupt keine zahlen. Wird die Steuer um drei Punkte auf 16 Prozent gesenkt (vielleicht mit einer zeitlichen Begrenzung von, sagen wir, drei Jahren), erhöht sich die Kaufkraft der Verbraucher um 27 Mrd. Euro. Um eine Größenvorstellung zu vermitteln: ein Prozent des BIP sind 25 Mrd. Euro. Eine Reduzierung der Einkommensteuer oder die Aussetzung des Soli haben den Nachteil, dass ein erheblicher Teil des höheren Nettoeinkommens in die Ersparnis und den Abbau von Schulden geht. Ein Vorteil niedrigeren Steuer auf den Verbrauch ist, nebenbei gesagt, der Rückgang der Inflationsrate, der es der EZB leichter machen sollte, die Zinsen zu senken.
  2. Im Gegenzug – damit wir uns weiter von Energieimporten unabhängig machen und die Umweltziele rascher erreichen – würde ich die Steuern auf den Energieverbrauch erhöhen, wenn auch nicht im selben Umfang, wie die Mehrwertsteuer gesenkt wird, vielleicht insgesamt um 10 Mrd. Euro. Die niedrigen Ölpreise sind die Gelegenheit! Wann sonst ließe sich so etwas politisch so leicht durchbringen? Dabei müssen wir vorankommen mit der gleichmäßigen Besteuerung aller fossilen Energiearten. Es kann nicht angehen, dass Benzin weiterhin mit 7,3 Cent pro kWh, Diesel mit 4,7 Cent, Erdgas mit 1,4 Cent und Heizöl mit 1,2 Cent besteuert wird. Wo ist da die steuersystematische Logik? Um den Übergang zu erleichtern, sollte der Anpassungsprozess vielleicht über ein Jahrzehnt hinweg gestreckt werden. So ähnlich würde ich auch bei der Pendlerpauschale verfahren: Wiedereinführung zu alten Sätzen, gefolgt von einer linearen Reduzierung auf Null bis zum Jahr 2019. Dadurch haben die Leute Zeit, sich an die neuen relativen Preise anzupassen, also die teurere Energie. Im Übrigen ist es jetzt langsam an der Zeit, Kerosin (Kraftstoff JetA 1) in einer europaweiten Anstrengung normal zu versteuern, auch hier mit langen Übergangsfristen; bis jetzt ist es bei Verwendung durch gewerbliche Luftverkehrsunternehmen steuerfrei. Warum gucken die Finanzminister nicht mal, was sich da machen lässt?
  3. Auf der Ausgabenseite ist eigentlich auch klar, was gemacht werden muss, auch wenn die Wirkungen nicht so schnell eintreten wie bei einer Senkung der Mehrwertsteuer. Wir brauchen mehr Lehrer (das könnte sehr rasch umgesetzt werden), bessere Schienenwege und Straßen, und die Schulen müssen dringend renoviert werden. Das alles hat zudem mittelfristig positive Effekte auf die Produktivität und hilft beim Strukturwandel hin zu einer wissensbasierten und effizienten Volkswirtschaft. Ausgaben zur Rettung von Opel sind das Letzte, was wir brauchen. Nicht Opel muss geholfen werden, sondern den Leuten, die ihre Arbeit verlieren. Sie müssen, vermutlich mit staatlicher Hilfe und den richtigen Anreizsystemen, etwas lernen, was am Markt eine Zukunft hat. Die Autoindustrie darf nicht das nächste Subventionsfass ohne Boden werden, nach dem Kohlebergbau und der Landwirtschaft. Insgesamt gilt auch hier, dass Kleckern nicht hilft – das Investitionsprogramm sollte mindestens 25 Mrd. Euro umfassen.

Es ist nicht zu erwarten, dass die langfristigen Zinsen durch diese Maßnahmen steigen werden. Ein höheres Defizit führt nicht zu einer Verdrängung der privaten Schuldner – diese sind ja gerade dabei, ihre Schulden abzubauen. Bis auf Weiteres besteht an der Bonität des staatlichen Schuldners kein Zweifel. Da wir uns auf eine Deflation zu bewegen, gewinnen Anleihen mit guter Bonität an Attraktivität: Wenn die Inflation eines Tages bei –1 Prozent angelangt ist, bekommen Anleger, die heute eine zehnjährige Bundesanleihe kaufen, real 4,3 Prozent. Das lässt sich mit Aktien heutzutage nicht so schnell verdienen. Wer noch eine Oma hat, sollte ihr mal diesen Tipp geben. In Japan, wo immer noch Deflation herrscht, sind die nominalen Renditen von zehnjährigen Staatspapieren inzwischen bei 1,4 Prozent angelangt. Das ist die Benchmark für mich, da bewegen wir uns hin.

Ich will nicht sagen, dass es nie wieder Inflation geben wird. Nur jetzt, im Augenblick, ist durch den Zwang, Schulden abzubauen, also weniger Geld auszugeben, weltweit mit einer Nachfrageschwäche und fallenden Preisen zu rechnen. Wer kann da schon die Preise oder Löhne so erhöhen, dass daraus Inflation entsteht? First things first, und der Kampf gegen die Inflation hat nun einmal in dieser Situation nicht die größte Priorität.